Meeresforscher Dr. rer. nat. Matthias Haeckel vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel erklärt, wie der unterseeische Rohstoffabbau zunehmend wirtschaftlich lukrativ wird und warum Bagger am Meeresgrund die weltweite Biodiversität bedrohen.
Herr Haeckel, über die Tiefsee wissen wir immer noch weniger als vom Mond. Mittlerweile aber dringt der Mensch zur Erschließung neuer Rohstofflager in immer größere Meerestiefen vor und bedroht damit diese einzigartige Unterwasserwelt. Warum?
Der Trend geht bei der Öl- und Gasförderung seit Jahren dahin, dass man in immer größere Tiefen vordringt, einfach weil dort noch große Lagerstätten zu finden sind. Bei einigen neuen Ölfeldern im Santos-Becken vor Brasilien, im Golf von Mexiko und vor der Küste Afrikas reden wir inzwischen über Wassertiefen von etwa 1.500 Metern. Allerdings ist das momentan noch die Ausnahme, weil die Förderung in der Tiefsee teuer und damit nicht so wirtschaftlich ist. Je größer die Entfernung von der Küste, desto teurer wird es – die Kostenkurve steigt exponentiell an. Das ist das einzige, das die Förderung momentan limitiert. Denn technisch sind die Firmen dazu in der Lage.
Mit schwindender Erdölmenge an Land und steigendem Ölpreis könnte diese Fördermethode allerdings an Attraktivität gewinnen.
Ja. Es ist definitiv eine Preisfrage.
Welche Risiken bestehen bei der Förderung von Öl und Gas in der Tiefsee?
An sich die gleichen, die wir bereits von der Förderung an Land oder in küstennahen Gewässern kennen. Im Falle eines Lecks tritt Öl aus und es bildet sich ein Ölteppich, der die örtliche Tier- und Pflanzenwelt bedroht. Aufgrund der Meeresströmungen können dabei auch bei einem Vorfall in tieferen Gewässern durchaus die Küstengebiete betroffen sein. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass es bei einem Leck in großer Tiefe natürlich wesentlich schwieriger wird, dieses wieder zu schließen. Ein bekanntes Beispiel ist sicher der „Deepwater Horizon"-Unfall, im Golf von Mexiko im Jahr 2010 geschehen, dessen Bohrloch in einer Wassertiefe von 1.500 Metern lag. Somit tritt in der Zwischenzeit sehr viel mehr Öl aus, und die Umwelt trägt schwere Schäden davon.
Öl und Gas sind nicht die einzigen Rohstoffe, auf die es die Menschen am Meeresgrund abgesehen haben. Mittlerweile gibt es Pläne für Tiefseetagebau. Um welche Rohstoffe geht es dabei?
Hauptsächlich um Metallerzvorkommen in Form von Manganknollen, Massivsulfiden und kobaltreichen Krusten. Sie enthalten jeweils Kobalt, Kupfer und Nickel – die drei wirtschaftlich interessantesten Metalle, die unter anderem für Smartphones und andere Elektronik benötigt werden. Zudem enthalten sie seltene Erden. Zwar nur im Spurenbereich, aber selbst das ist interessant, denn die Metallgehalte sind zum Teil deutlich höher als in den Lagerstätten an Land. Die Massivsulfide weisen zudem zum Teil deutlich höhere Gehalte an Zink, Gold und Silber auf.
In welchen Tiefen befinden sich diese Rohstoffe?
Das ist unterschiedlich. Massivsulfide kommen weltweit an den Plattengrenzen in Wassertiefen von mehr als 1000 Metern vor. Ähnlich tief ist es auch bei den kobaltreichen Krusten, die sich auf den Felshängen von untermeerischen Bergen bilden. Die Manganknollen liegen auf dem Meeresboden der Tiefsee im Schnitt bei 4.000 bis 5.000 Metern.
Wie geht der Abbau dieser Metallerze vonstatten? In solchen Tiefen kann man ja nicht einfach mit dem Bagger herumfahren.
Im Prinzip wird es aber tatsächlich so sein. Die Rohstoffe sollen im Grunde abgebaggert oder abgefräst werden. Für den Abbau werden unbemannte Unterwassermaschinen verwendet, die über ein Kabel mit einem Schiff verbunden sind, von wo aus die Piloten das Gerät steuern. Ein Knollenkollektor wird zum Beispiel so groß wie ein Muldenkipper im Landtagebau sein und über den Meeresboden fahren, fast wie ein großer Staubsauger. Für Flachwasser von einigen Hundert Meter besitzt die Industrie langjährige Erfahrungen. Der nächste Entwicklungsschritt ist nun der Transfer der Technologie in die Tiefsee.
Was auch in diesem Fall vermutlich von den Weltmarktpreisen für die genannten Metalle abhängt?
Richtig. Nehmen wir das Beispiel Manganknollen: Dort gab es bereits Mitte der 1970er-Jahre erste Untersuchungen, als die Metallpreise sehr hoch waren. Eine zweite Welle folgte Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre. Immer wenn die Preise auf dem Weltmarkt so hoch waren, dass es lukrativ wurde, hat man sich näher damit beschäftigt – und dann wieder das Interesse verloren, als die Preise wieder sanken. Der letzte Höhepunkt war dann während der Wirtschaftskrise 2007/2008, als Kobalt und Kupfer ungefähr dreimal so teuer waren wie heute und Nickel sogar fünfmal so teuer. Bei solchen Preisen lohnt sich der Abbau. Allerdings sind seitdem immer wieder neue Vorkommen an Land entdeckt worden sowie verbesserte Förder- und Verhüttungstechniken entwickelt worden, durch die sich die Ausbeute steigern lässt. Dadurch sind die Metallpreise erneut gesunken. Trotzdem ist der Antrieb nach wie vor da, die marinen Vorkommen zu erschließen. Die Argumente sind, dass im Zuge der zunehmenden Weltbevölkerung, der rasant voranschreitenden Industrialisierung von Ländern wie China und Indien, sowie der Energiewende zum Beispiel durch vermehrten Ausbau von Windrädern und Solaranlagen, immer größere Mengen an Kobalt, Kupfer und Nickel gebraucht werden. Sofern wir nicht unser Konsumverhalten ändern, benötigten wir in 20 Jahren vermutlich mehr Metall als wir an Land abbauen oder recyceln können. Dann ginge es ohne die Rohstoffe aus der Tiefsee vermutlich nicht mehr.
Wenn wir doch insgesamt noch so wenig über die Tiefsee wissen: Lässt sich überhaupt abschätzen, wie sich der intensive Tagebau dort auswirken würde?
Das wissen wir eigentlich schon seit 25 Jahren. Beim Abbau der Rohstoffe, egal ob sie nun abgefräst oder abgebaggert werden, wird die Meeresboden-Oberfläche abgetragen. Diese ist allerdings auch Heimat für ganz spezifische Faunen und Ökosysteme, die wir damit zerstören. Und weil sich diese Hartsubstrate über einen sehr langen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren bilden, entziehen wir den Organismen, die darauf siedeln, dauerhaft ihre Lebensgrundlage.
Über welche Flächen reden wir dabei?
Die Flächen, die pro Jahr abgebaut würden, sind je nach Rohstoff sehr unterschiedlich. Bei den Massivsulfiden sind es wenige Quadratkilometer pro Jahr und Abbaugebiet, bei den Manganknollen dagegen ein paar Hundert. Das mag sich erst einmal wenig anhören. Beim Abbau gerät darüber hinaus allerdings auch klein gemahlenes Erzmaterial und feinkörniges Sediment ins Wasser. Diese Partikelwolke verteilt sich und setzt sich wieder ab, wodurch ein weitaus größeres Gebiet in Mitleidenschaft gezogen wird, weil der Meeresboden damit zugedeckt wird und die Fauna am Ende regelrecht erstickt. Wir schätzen, dass die betroffenen Flächen etwa zwei- bis fünfmal so groß sein werden wie die eigentlichen Abbaugebiete. Da kommt man dann schon in die Größenordnung der Regenwaldabholzung.
Wenn es Millionen Jahre dauert, ehe sich die Natur von diesem Eingriff wieder erholt, dann kann ein solcher Abbau doch eigentlich nie wirklich nachhaltig sein.
So ist es. Es muss jedem klar sein, dass wir die Tiefseebergbau-Flächen für eine sehr lange Zeit, also nachhaltig, schädigen. Wenn wir an Land einen ausgedienten Braunkohletagebau zuschütten und renaturieren, ist bereits nach zwei Jahrzehnten nicht mehr viel davon zu sehen. Das ist in der Tiefsee nicht der Fall, weil alle Prozesse dort deutlich langsamer ablaufen. Die Sedimentation, also die Bildung eines neuen Bodensatzes, liegt bei weniger als einem Zentimeter in tausend Jahren.
Sie haben den Regenwaldvergleich angebracht. Die dortige Abholzung ist schlimm für Flora und Fauna, hat aber vor allem auch Folgen für das Weltklima. Drohen beim Tiefseebergbau ähnlich globale Auswirkungen?
Für den Kohlenstoffkreislauf eher nicht, weil die Tiefsee daran insgesamt nur einen sehr kleinen Anteil von ein paar Prozent hat. Dafür spielen eher die Schelfgebiete der Ozeane und die Kontinentalhänge eine Rolle. Allerdings wissen wir derzeit noch nicht, welche Rolle die Tiefsee für die weltweite Biodiversität besitzt. Man vermutet, dass die Biodiversität in der Tiefsee mindestens genauso hoch ist wie in den Regenwäldern, wenn nicht sogar höher. Viele Faunenarten sind zudem quer über den Ozean miteinander verwandt. Es findet also irgendeine Art von Genaustausch statt, ohne dass wir im Augenblick wissen, über welche Zeiträume das passiert und über welche räumlichen Zwischenschritte. Insofern ist die Frage auch, ob es nicht vielleicht noch viel größere Auswirkungen hat, wenn wir eine Fläche wie die Clarion-Clipperton-Zone im Pazifischen Ozean, wo sich besonders viele der begehrten Manganknollen finden, durch den Abbau zerstören. Diese Fragen können wir momentan leider noch nicht beantworten.