Für Geschäftsleute ist Hannover ein wichtiger Messestandort. Schauspieler schätzen das klare Hochdeutsch der Region. Zwei Bundespräsidenten und ein Kanzler begannen ihre Karrieren in der Stadt an der Leine. Als Touristenziel ist sie dagegen weniger bekannt. Zu Unrecht.
Hannover ist ein besonderer Fall unter den eher unbekannteren Landeshauptstädten der Republik. Denn die Stadt an der Leine ist durchaus eine weltbekannte Metropole. Hier finden jedes Jahr die größten Messen des Erdballs statt: Die Hannover Messe ist die größte Investitionsgütermesse der Welt, und die Computermesse Cebit verteidigt seit vielen Jahren ihren Status als weltweit größte Ausstellung für Informationstechnik. Hinzu kommen 128 weitere große und kleinere Ausstellungen.
Dennoch gilt die Wirtschaftsmetropole vor allem bei Deutschen eher nicht gerade als touristische Destination. Was im Widerspruch zu den Besucherzahlen steht. Wirft man nämlich einen Blick auf die Übernachtungszahlen der Stadt an der Leine, so reiht sich hier aktuell ein Rekord an den nächsten: Satte 2,23 Millionen Gästeübernachtungen konnte Hannover für 2016 verbuchen, eine nochmalige Steigerung der Rekordzahlen aus dem Jahr 2015 um 0,4 Prozent. Noch interessanter ist jedoch die langfristige Steigerung der Übernachtungszahlen. Seit 1999 (1,1 Millionen Übernachtungen) hat sich die Zahl konstant mehr als verdoppelt. Diese Tatsache lasse den Rückschluss zu, dass neben den Messebesuchern die Zahl der Freizeit-Touristen, aber auch die Anzahl der Corporate Events, Tagungen und Kongresse in der Region Hannover deutlich gestiegen sein müsse, heißt es von der Marketinggesellschaft der Stadt. Doch was macht Hannover für Touristen und andere Nicht-Messebesucher attraktiv?
"Die Stadt ist in erster Linie sehr grün", sagt Sandra Strehlau, Online Marketing Managerin bei der Hannover Marketing und Tourismus GmbH. "Wir haben die Eilenriede, den größten Stadtwald Deutschlands und der ist sogar größer als der Central Park." Genauer gesagt mit 640 Hektarn fast doppelt so groß. Doch Hannover bietet mehr als die größte städtische "grüne Lunge" Deutschlands: "Eines unserer Highlights sind die Herrenhäuser Gärten, die schon Staatschefs wie Barack Obama, François Hollande, Matteo Renzi und David Cameron beeindruckt haben", unterstreicht Marketingfrau Strehlau. Kein Wunder, die barocke Gartenanlage gilt als eine der bedeutendsten in ganz Europa.
Ein Mekka für Pyrotechniker
Kernstück ist der Große Garten mit der Orangerie und einem Irrgarten, der nach einem Plan von 1674 mit achteckigem Grundriss angelegt wurde. Dazu gibt es Kaskaden, eine Grotte mit Glas- und Spiegelmosaiken. Und im Großen Garten ist eine der letzten Arbeiten der Künstlerin Niki de Saint Phalle zu sehen. Von Mai bis September findet in den Gärten des Schlosses Herrenhausen der Internationale Feuerwerkswettbewerb statt, bei dem an fünf Samstagen die renommiertesten Pyrotechnik-Teams der Welt gegeneinander antreten.
Doch nicht nur Staatsgäste und Messebesucher lassen sich von Herrenhausens barockem Flair und dem "grünen" Hannover begeistern auch die Hannoveraner selbst stehen zu ihrer Stadt und der sogenannten Region, die 2001 aus der Zusammenlegung des Landkreises mit der kreisfreien Stadt Hannover entstand.
Fabian Hüper (41) lebt seit vielen Jahren in Ronnenberg vor den Toren Hannovers. Über das gut ausgebaute ÖPNV-Netz und die vielfältigen Straßenanbindungen schafft er es binnen 30 Minuten in die City: "Hannover hat alles, was ich mir von einer Stadt wünsche: kulturelle Angebote, Einkaufsmöglichkeiten, jede Menge Freizeitangebote und natürlich auch städtisches Flair", sagt Hüper. Dazu eine ganze Reihe Großveranstaltungen, zu denen auch Gäste von weiter her kommen zum Maschsee-Fest im August beispielsweise oder zum "größten Schützenfest der Welt" im Juni/Juli. Auch der beliebte Flohmarkt in der Altstadt am Leineufer zieht jede Menge Besucher an. Der hat durchaus Volksfestcharakter und ist der älteste Deutschlands. Unter dem Motto "Schlendern, Schauen, Feilschen" gehen hier Antiquitätenfans auf die Jagd nach Mobiliar und Porzellan aus Großmutters Zeiten und kommen genauso auf ihre Kosten wie Schallplatten- oder Comicsammler.
Dazu gibt es renommierte Museen wie das Sprengel-Museum, das zu den bedeutendsten Museen der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zählt. Stolz ist man hier auf den Bestand von Werken der Künstlergruppen "Blauer Reiter" oder der Dresdner "Brücke", aber auch einzelner Künstler wie Emil Nolde, Paul Klee oder Max Beckmann. Das Museum August Kestner hingegen steht für Kulturgeschichte und das "Wilhelm Busch Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst" präsentiert nicht nur eine einzigartige Sammlung seines Namensgebers, sondern satirische Kunst aus vier Jahrhunderten.
Um zeitgenössische Kunst und die aktuellen Produktionsbedingungen geht es bei "Made in Germany Drei", eine zweimonatige Veranstaltungsreihe im Sommer, bei der sich Deutschlands Kunstszene mit all ihren Facetten präsentiert. Dabei sind Künstler wie Raphaela Vogel, Viktoria Coeln oder das Berliner Performance Kollektiv "She She Pop".
Zudem ist Hannover seit 2014 "Unesco City of Music". Ein Label, das nur wenige Städte weltweit erhalten haben darunter Liverpool, Adelaide oder Kingston und mit dem die musikalische Vielfalt ausgezeichnet wurde. In Hannover wurde auch die Schallplatte erfunden von Emil Berliner, der später in die USA auswanderte und auch als Erfinder des Grammofons gilt. Die Stadt ist bekannt für ihre gewachsene Chormusik- aber auch die lebendige Weltmusik-Szene. Das und eine stattliche Zahl von Beschäftigten in der Musikwirtschaft tragen zum Ruf der Leine-Stadt in Kulturkreisen bei ebenso wie die Hochschule für Musik, Theater und Medien. Für Pop- und Rockfans wird Hannover im Juni und Juli gar zur Konzerthauptstadt. Dann finden zahlreiche Open-Air-Konzerte in der HDI-Arena oder auf der Parkbühne statt. Von Robbie Williams über Coldplay bis hin zu Depeche Mode.
Die Schallplatte kommt aus Hannover
Wichtigster Zweig der Wirtschaftsmetropole bleiben allerdings die Messen. Wer in Asien, Australien oder den USA nach Innovationen im Maschinen- und Anlagenbau sucht oder diese vertreiben will, macht sich zur Hannover Messe auf. Die jährliche Ausstellung ist "Weltleitmesse der Industrie" und wird von der Kanzlerin persönlich eröffnet. Auf dem größten Messegelände der Welt, das fast 500.000 überdachte Quadratmeter und 26 Messehallen bietet, wird "Big Business" gemacht: So kamen zur Hannover Messe in diesem Jahr 6.500 Aussteller aus 70 Ländern. Schon vor Beginn kündigte der Veranstalter satte 5,6 Millionen Geschäftskontakte an. Wie formulierte es der frühere Cebit-Chef Ernst Raue? Messen seien auch im Internetzeitalter unverzichtbar, denn "Geschäfte werden zwischen Menschen gemacht". Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Im vergangenen Jahr, als die USA Partnerland der Hannover Messe waren, kamen rund 190.000 Fachbesucher zur Ausstellung, davon reisten 30 Prozent aus dem Ausland an. 5.000 Besucher kamen aus den USA, 6.000 aus China, 30.000 aus dem europäischen Ausland Dennoch hat die Cebit beschlossen, ihr Konzept zu ändern. Denn die Messe zählte zuletzt gesunkene Besucherzahlen und reagiert darauf mit einem neuen Termin. 2018 wandert sie vom März in den Juni. Außerdem soll der "Festivalcharakter" der weltweit größten IT-Messe ausgebaut werden mitsamt einem Campus auf dem Messegelände: "Vergessen Sie alles, was Sie über die Cebit wissen", so der offizielle Werbeslogan.
Während also Hannover als Messestandort weltweit ein Begriff ist, schätzen viele Deutsche die niedersächsische Landeshauptstadt als unbedeutend ein. Zu Unrecht, wenn man nur an einige politische Akteure denkt, die von hier aus eine Karriere in der Bundespolitik gestartet haben: Gerhard Schröder war acht Jahre niedersächsischer Ministerpräsident, bevor er seine Staatskanzlei in Hannover verließ, um die Berliner Republik zu regieren. In der gleichen Staatskanzlei lernte auch Christian Wulff das Handwerk des Landesvaters, bevor er später Bundespräsident wurde. Auch der aktuelle Schlossherr des Bellevue, Frank-Walter Steinmeier, begann seine politische Karriere in Hannover. Ab 1991 arbeitete der Jurist unter dem damaligen Ministerpräsidenten Schröder als Referent für Medienrecht und Medienpolitik.
Und auch jenseits von Messen und Politik kann sich Hannover international behaupten. Ausländische Sprachschüler nehmen sich die Hannoveraner Aussprache genauso zum Vorbild wie hiesige Schauspieler und Moderatoren. Schließlich wird hier reinstes und unverfälschtes Hochdeutsch gesprochen. Ein ganz besonderes Vorbild sahen allerdings die Architekten der chinesischen Provinzstadt Changde in Hannover. Daher bauten sie die Hannoveraner Innenstadt in Changde nach. Dort gibt es nun Backsteinhäuser norddeutschen Stils, einen Leibnizplatz, eine Hannoversche Straße und einen Bahlsenplatz. Das Projekt zeige das große Interesse in China an Deutschland, findet Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok, der eigens zur Eröffnung nach China gereist war. Mit dem 370 Millionen Euro teuren Nachbau wollen die chinesischen Initiatoren Touristen und Investoren nach Changde locken.
Ob sie damit ähnlich erfolgreich wie die originale Stadt in Niedersachsen sein werden, bleibt abzuwarten.
Frank M. Wagner