Nostalgisch ist die Fahrt im gemieteten 2 CV auf der Ederberglandroute, vorbei an einem National- und Naturpark und der Deutschen Märchenstraße.
Sanft wippen wir nach links und rechts, das knatternde Geräusch des Motors beruhigt das Nervensystem. Der Wind, der unsere Haare kräuselt, gibt den endgültigen Startschuss für die Endorphine. Das unregelmäßige Flattern und Klappern des hinteren Fensters durchbricht den Rhythmus. So muss sich Ente fahren anfühlen am liebsten mit offenem Rolldach. Gezogen von zwei Pferden vermittelt der 2 CV (Deux Cheveaux) französisches Lebensgefühl mitten in Nordhessen.
Auf der Ederberglandroute knattern nur wir. Um uns herum ist es grün, sehr grün. Wir sind, ausgehend vom angrenzenden Sauer- und Siegerland-Wittgenstein, nicht nur im waldreichsten Kreis Deutschlands, sondern in einem der größten Buchenwälder Mitteleuropas. Der an die 6.000 Hektar große National- und Naturpark Kellerwald-Edersee im Landkreis Waldeck-Frankenberg ist seit 2011 Unesco-Weltkulturerbe. Durchfahren kann man das Schutzgebiet natürlich nicht. Dafür gibt es geführte Erlebniswanderungen oder den herrlichen Ederhöhenweg, über den man den Fluss von seiner Quelle im Rothaargebirge bis zur Mündung der Fulda zu Fuß begleiten kann. Auf knapp 300 Kilometern finden sich viele mit dem Deutschen Wandersiegel ausgezeichnete Premiumwanderwege wie der herrliche Panoramapfad Hatzfeld. Sie führen durch fünf Ederseitentäler und Naturschutzgebiete wie den "Battenfelder Driescher" oder das "Ederknie am Auhammer".
Wir nehmen uns theoretisch schon mal eine Tour vor, knattern aber gemütlich weiter. Vorbei an sanften Hügeln, stillen Bachtälern, schnieken Gutshäusern und vermoorten Tälern sind wir mitten im Ederschen Auenland, pardon Märchenland, mitten auf der Deutschen Märchenstraße. Die Geschichten der Brüder Grimm haben in Nordhessen ihren Ursprung.
Bei einem märchenhaften Zwischenstopp in Bergfreiheit alias Schneewittchendorf erinnert eine kleine Steingruppe am Ortseingang an die hier entstandene Mär aus dem 16. Jahrhundert.
Schneewittchen soll im echten Leben die schöne Tochter des hessischen Grafen Philipp IV. von Bad Wildungen gewesen sein. Mit zarten 16 Jahren wurde Margarethe von Friedrichstein von der Stiefmutter an den kaiserlichen Hof zu Brüssel verbannt. Ohne Happy Märchen-End verstarb sie mit 21 unter mysteriösen Umständen. Die Bergarbeiten wurden damals unter schlechten Bedingungen von Kindern verrichtet. Mit ihren Zipfelmützen, taillierten Lederröckchen und verwachsener Haltung glichen sie Zwergen.
Sowohl Battenberg mit seinem Hänsel und Gretel-Brunnen und dem begehbaren Mini-Bergstollen als auch die idyllischen Bilderbuchörtchen Allendorf oder Hatzfeld sind fachwerkgeschmückt. Das Markenzeichen der Region findet im Rathaus von Frankenberg seinen bauästhetischen Höhepunkt. An diesem idyllischen Ort ist unsere Ausgangsadresse. Im zauberhaften Relais & Châteaux Hotel "Die Sonne in Frankenberg", direkt am historischen Markt, befindet sich auch der Fünfsterne-Entenstall. Unsere Charleston-Ente oder einen roten R4 mit Revolverschaltung kann man für 79 Euro am Tag als Kultgefährtin mieten. Mit Routenplan und Picknick ausgestattet ist dieser immer sonnige Ort der perfekte Ausgangspunkt.
Wir kurven weich gefedert durch die ederbergischen Serpentinen und erinnern uns an die Hinfahrt, die wir mit dem Rad an der Ederquelle bei Lützel in Nordrhein-Westfalen begonnen haben. Ganz in der Nähe kreuzt der freundliche Fluss auch seine Schwester-Quellen Lahn und Sieg und fließt ein Stück durch das angrenzende Fürstentum Siegerland-Wittgenstein. Der 185 Kilometer lange Eder-Radweg wurde in den letzten vier Jahren neu angelegt und verbindet Nordrhein-Westfalen und Hessen durch einen 350 Meter langen Tunnel. Flussabwärts gibt es kaum Steigungen und man rollt geschmeidig bergab bis Fulda. Empfohlener erster Zwischenstopp ist das von eleganten Schieferhäusern geprägte Fürstentum der Grafen Sayn und Wittgenstein. Dort wird Jagd und Musik großgeschrieben.
Hier wohnt noch ein echter Prinz
Im schnuckeligen Schloss von Bad Berleburg mit verträumtem Schlosspark wohnt sogar noch ein echter Prinz. Seine Durchlaucht Richard ist liiert mit der Königlichen Hoheit Prinzessin Benedikte, Schwester der dänischen Königin. Täglich streift Prinz Richard durch seine Wälder, schaut liebevoll nach Forst und Getier. Die Hirschbrunft zieht von September bis Mitte Oktober viele Besucher an. Märchenland eben!
Zweimal täglich öffnet das Schloss seine Tore. Vier kundige Damen geleiten durch seine seit 500 Jahren bewohnten Räume. Dabei lernt man auch den 1530 erbauten alten Teil kennen, der eher an ein Ritterburggewölbe erinnert. Persönlich trifft man das Prinzenpaar auf dem jährlich am ersten Juliwochenende stattfindenden Musikfestival, wo Schirmherrin Benedikte die Gäste begrüßt.
Zum Nächtigen und Speisen empfiehlt sich das liebevoll vom Ehepaar Benkendorf geleitete Hotel-Restaurant "Alte Schule" mit pittoreskem Biergarten und historischer Krämerladen-Rezeption. In den drei um- und ausgebauten Schiefersteingebäuden besticht ein origineller Mix aus Edellandhausstil und ehemaligem Schulgebäude. Aus den zu Menükarten transformierten Schulheften sollte man sich unbedingt ein Hirsch-Krüstchen (Regionales Schnitzel mit Kartoffelsalat) mit einem frisch gezapften Bosch oder Krombacher Regiobier bestellen und sich zum Kaffee danach in die spacige Silberlounge setzen.
Wir blinzeln ins Sonnenlicht, das sich gerade auf einer zwölf Quadratkilometer großen Wasseroberfläche spiegelt. Wir haben unser heutiges Streckenziel, den 27 Kilometer langen Edersee, erreicht. Zahlreiche Elektroboote und eine kleine Personenfähre tuckern über Deutschlands zweitgrößten Stausee. Wenn das Wasser flach ist, soll man in seiner Mitte eine versunkene Brücke und Kirchturmspitze sehen können. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde an der Talsperre ein 400 Meter langes Wasserkraftwerk gebaut. Das pumpt das Wasser nachts tief aus dem Berg. Der Technikfreak-Beifahrer seufzt beglückt, und wäre unsere Ente ein Kater, würde sie jetzt schnurren. Sie darf jetzt ruhig in der Sonne dösen und wir stechen mit der Fähre in den Edersee.
Anke Sademann
Info:
Anfahrt:
Das Relais & Châteaux Hotel Sonne in Frankenberg vermietet Oldtimer Enten CV2 und R4 für 79 Euro am Tag.
Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen:
Landfrauenmarkt im Rathaus Frankenberg immer samstags von 8 bis 12 Uhr,
www.sonne-frankenberg.de
kostenlose Stadtführung bis 31. Oktober in Frankenberg, samstags um 10.30 Uhr. Treffpunkt vor dem Rathaus.
Schlossführung Bad Berleburg täglich 10.30 und 14.30 Uhr
(Mai bis Oktober) fünf Euro/Kinder 1,50 Euro.
Tipps:
Den besten Blick auf den Edersee hat man auf dem 120 Meter hoch gelegenen Schloss Waldeck.
Übernachtung:
Hotel "Alte Schule" in Bad Berleburg, www.hotel-alteschule.de
Essen:
Hotel-Restaurant "Sonne Stuben" in Frankenberg
Fischessen am Edersee:
Rehbach direkt am Edersee
Seeshipping:
Abendrundfahrten mit Musik
23,50 Euro, www.personenschifffahrt-edersee.de
Weitere Informationen:
www.ederbergland-touristik.de, www.nationalpark-kellerwald-edersee.de