Ein Streifzug durch St. Pauli, das Tor zum Hafen und Szeneviertel schlechthin.
Sergeant Peppers Lonely Hearts Club Band dieses unerreicht schrille, aber genauso liebenswerte Album der "Fab Four" aus Liverpool feiert in diesem Jahr sein 50. Jubiläum. Ihre Karriere begannen die vier Beatles im legendären "Star Club" auf St. Pauli. Dem Album ist kaum etwas Menschliches fremd, es geht um Liebe, Drogen, Leiden schlicht um das Leben. Genau dies zeichnet auch St. Pauli als Hamburger Stadtteil am Hafen aus: Geht man durch die Straßen, begegnet man fröhlichen Gruppen von Mädchen und Jungs, Touristen, Studenten, Anzugträgern im schicken Slim Fit Menschen, die bereit sind, am Samstagabend den Kiez zu stürmen und die ihren Spaß haben wollen. Aber auch Menschen, die auf der Straße leben, sich etwa unter einer der Brücken entlang der Helgoländer Allee eingerichtet haben.
Abstecher zum alten Elbtunnel
Doch bleiben wir noch etwas am Wasser: Auf einer der Hafenfähren der Linie 62 nähert man sich den St. Pauli-Landungsbrücken eine Möglichkeit, im Nahverkehr neben den Angeboten "Großer Hafenrundfahrten" oder Barkassentörns durch die Speicherstadt zu fahren. Ein frischer Wind weht auf dem Oberdeck, begeisterte Touristen aus dem Alpenraum schwärmen: "Mei, schau Dir des Riesenschukastl an. Und die Leute da oben, wie die Ameisen!" Imposant zieht eines der Kreuzfahrtschiffe vom Stadtteil Grasbrook in der neuen, stetig wachsenden Hafencity kommend mit der Flut elbabwärts, vor sich die über 130 Kilometer bis zur Mündung in die Nordsee bei Cuxhaven. Mit rund 800.000 Passagieren und 200 Anläufen soll dieses Jahr ein neues Rekordjahr werden, schätzt Hamburg-Tourismus. Bevor die Gangway herunterklappt, schweift der Blick Richtung Steinwerder mit den Musicaltheatern, zu den Museumsschiffen "Cap San Diego" und "Rickmer Rickmers" über die Landungsbrücken bis zum Alten Elbtunnel. Die Landungsbrücken sind das, was sie sind: nah am Hafen ein "Umschlagplatz" für Touristen und Einheimische, die per Fähre in die Stadt kommen, um zu arbeiten, oder in den Hafen müssen. Dieser ist nach Rotterdam der zweitgrößte Seehafen in Europa und gehört zu den neun größten Containerhäfen der Erde. Jährlich werden hier nach Angaben von Hamburg-Tourismus mehr als acht Millionen Container umgeschlagen.
Auf dem Weg zum Kiez lohnt sich ein Abstecher zum Alten Elbtunnel. 1911 wurde das ambitionierte Bauwerk eröffnet; gepflegt und instand gehalten ist der Tunnel heute ein wichtiges Stück Hamburger Geschichte und ein Wahrzeichen. "Noch ein bisschen weiter herein, bitte!", macht der Liftführer einen jungen Mann, der gerade in Damenbegleitung mit dem Rad den Fahrkorb zum Autoaufzug 2 betritt, darauf aufmerksam, dass die hintere Hälfte des Drahtesels noch außerhalb der Kabine ist. Dann senken sich die Falltore. "Ach ja, richtig!" Nun, es ist auch kaum vorstellbar, dass die junge Frau später nur mit "einer halben Portion" zufrieden gewesen wäre. "Sicher nicht!", lacht sie. Unten angekommen, warten exakt 426,5 Meter gekachelte Röhren unter der Elbe. Auf Steinwerder, unweit der Musicaltheater und der Werft Blohm und Voss, gelangt man wieder ans Tageslicht. Ein erfrischender Spaziergang. "Wenn die Philippinos von den Schiffen hier herüberkommen, dann glauben sie es auch oft nicht, dass dies Fahrstühle sind!", merkt der Liftführer an, bevor der nächste Schwung Fußgänger und Radler strömt. Bei Eröffnung war der Tunnel die erste Flussunterquerung Europas und nötig, denn das Wachstum des Hamburger Hafens hatte Raum gegriffen, auf den Bereich südlich der Elbe. Für Fußgänger und Radfahrer ist die Benutzung kostenlos.
Wechselvolle Geschichte
Weiter Richtung Kiez: Etwas höher gelegen, entlang der Bernhard-Nocht-Straße, geht es beschaulicher zu, Hotels des ehemaligen St.-Pauli-Immobilienkönigs und Begründers des "Eros-Centers", Willi Bartels, liegen hier, neben dem Tropeninstitut, der Deutsche Wetterdienst hat hier seine Hamburger Niederlassung und gewohnt wird hier natürlich auch. Geht man nun weiter Richtung Norden, beginnt der Bereich um die Reeperbahn. Von der Davidstraße zweigt die Herbertstraße ab, die berühmt-berüchtigte Sex-Meile nur für über 18-Jährige, und nicht für Besucher-Frauen! Erste dort tätige Damen sind an diesem frühsommerlichen Abend schon unterwegs. Unten am Ende der Davidstraße tummeln sich die Touristen um den Eingang zur Davidwache. Das Polizeikommissariat 15 zeigt Präsenz, auf dem Kiez gelten scharfe Regeln: "Keine Waffen!", lautet die oberste Maxime. Scharf-schrill geht es auch in den Auslagen der Geschäfte zu, in einem Andenken-Shop liegt ein Schlüsselanhänger in Granatenform, oder ein Kaffeebecher für die "Morgen Latte" (Macchiato).
Dass es nicht immer "gediegen" auf dem Kiez zugeht oder zuging, zeigt ein Blick in die Geschichte. In den frühen 70er-Jahren sorgte etwa Fritz Honka für Aufsehen: Auf das Konto des charmant wirkenden Nachtwächters gehen zahlreiche Frauenmorde. Honka verkehrte nach der Schicht etwa im "Goldenen Handschuh" am Hamburger Berg, bevor er Damenbekanntschaft suchte. Stieß er hier auf wenig (Gegen-) Liebe, so wurde er zum psychopathischen Mörder, mit zunehmend manischen Zügen. Auch die mehrfache Kindsmörderin Elisabeth Wiese sorgte um 1900 für Aufsehen. St. Paulis Siedlungsgeschichte ist ebenso wechselvoll und reicht über die Jahrhunderte zurück. Im 17. Jahrhundert zog es immer mehr Gewerbe vor die Stadttore, darunter auch die Reepschläger, also die Taumacher, welche für das Verflechten der Schiffstampen (Taue) viel Platz benötigten. Ob sie die heutige Reeperbahn nutzten oder die geradere Simon-von-Utrecht-Straße, ist unklar. Um sich ein Zubrot zu verdienen, führten die Menschen Gaukeleien vor, mal auch den eigenen Körper dies meist in Zelten oder Buden, daher der Name Spielbudenplatz. 1894 wurde St. Pauli offiziell Teil von Hamburg. Prägend für den Stadtteil waren auch die Gründung der St.-Pauli-Brauerei (Astra) oder die Gründung des FC St. Pauli 1910. Geschichten wie diese und noch viele weitere stellt das Portal reeperbahn.de detailliert vor.
Eine Möglichkeit, sich die bewegte Geschichte und das Leben des Kiez zu erschließen, sind aber auch besondere Stadtführungen ob mit Dragqueen Olivia Jones und ihren Mitstreitern, den "St.-Pauli-Nachtwächtern" oder auch speziell zu den Beatles mit Stefanie Hempel man erfährt viel über den Szenestadtteil im Bezirk Hamburg-Mitte.
Gerade mal zwei Quadratkilometer groß ist St. Pauli, und die "geile Meile", wie sie Udo Lindenberg besingt, die Reeperbahn, ist rund zwei Kilometer lang. In dieser Welt zwischen Sex-Clubs, Tabledance-Bars, Kabaretts oder Theatern am Spielbudenplatz gibt es viel zu entdecken. Neu ist hier etwa das "Skurrilum": aufwendig gestaltete Erlebnisräume, die es mit Rätseln und Spielen zu durchstreifen gilt. Eine Idee für "Schnitzeljäger, Denksportler und Träumer jeden Alters", wie es die kreativen Macher des Schmidt Theaters um Corny Littmann versprechen. Auch Udo Lindenberg soll bald seine Ausstellungswelt "Panik City" am Spielbudenplatz ansiedeln, wie man dieser Tage lesen kann. Und für alle, die den Kiez abseits von Sex and Crime erleben wollen, jeden Donnerstag gibt es am Spielbudenplatz den "St.-Pauli-Straßenmampf" eine Street-Food-Session der besonderen Art. Oder die Schlemmertour mit Einheimischen führt unter dem Motto "Satt Pauli" über den Kiez.
Also: Wer St. Pauli besucht, bekommt sicher einen guten Eindruck, was Charme und Vielfalt der Hansestadt ausmachen. Oder, um mit den Beatles zu singen: "She loves you yeah yeah yeah!".
Hans-Christian Roestel
Info:
Veranstaltungen:
St.-Pauli-Straßenmampf:
donnerstags, 17 bis 23 Uhr.
St.-Pauli-Nachtmarkt:
mittwochs, 16 bis gegen 23 Uhr
Reeperbahnfestival: 20. bis 23. September, regionale und internationale Newcomer aus allen Musikrichtungen. Weitere Infos unter www.hamburg-tourism.de