Mal rustikal, mal elegant und ein bisschen abenteuerlich: Auf einer Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn kommt man dem weiten russischen Land und seinen Menschen sehr nah.
Larissa ist groß, schlank und rothaarig. Sie arbeitet als Kellnerin im Speisewagen. An einem Tisch sitzen Ausländer: also Nicht-Russen. Sie sind die einzigen Ausländer hier. Und zwar nicht nur im Speisewagen, sondern im ganzen Zug. Was nun nicht bedeutet, dass Larissa ihnen ein Lächeln schenken würde. Schweigsam stellt sie die Dose Baltika hin, das russische Bier.
Nicht alle Russland-Klischees stimmen
Selbst schuld. Man hätte ja die ganze Strecke von Sibirien bis Moskau mit dem Zarengold fahren können, dem eleganten Luxuszug. Aber nein, es sollte der Regelzug sein, der für die Einheimischen, und dann auch noch in der Kategorie "Platzkartny". Der Zug ruckelt durch den Fernen Osten, geschlafen wird im Massenlager. Das klang abenteuerlich. Ein bisschen erinnert der Waggon nun an einen Gefangenen-Transport. Es ist unglaublich heiß in diesem Sibirien, die Menschen liegen auf ihren Betten mit ziemlich wenig Kleidung am Leib. Überall ragen bloße Füße in den Gang. Einen Waggon weiter fährt die russische Marine. Lauter junge Kerle in blauen Ringelshirts. Und ohne. Sie haben ihren einjährigen Wehrdienst hinter sich gebracht und sie sind reizend. Immer freundlich, kramen aus dem Gedächtnis englische Wörter hervor. Halten die Türe auf. Und bleiben erstaunlich nüchtern. Nicht alle Russland-Klischees stimmen, lernt man da gleich.
Der Bau der legendären Transsib war ein Kraftakt. Zar Alexander III. befehligte Ende des 19. Jahrhunderts, "mit dem Bau der durch Sibirien führenden Eisenbahn sofort zu beginnen!". Die Bahn sollte die sibirischen Provinzen näher an Moskau heranrücken, samt den Bodenschätzen. Nicht ganz unwichtig war in dem Zusammenhang, dass jenseits des Großen Teichs, also drüben auf dem amerikanischen Kontinent, schon Züge von Küste zu Küste fuhren. Bereits 1869 schnaufte die erste Bahn quer durch die USA, und ab 1885 startete die Canadian Pacific Railway. Da konnte Russland nicht länger zurückstecken. Jedes Jahr wurden im russischen Riesenreich etwa 650 Kilometer fertiggestellt, von Osten und von Westen wuchsen die Gleise aufeinander zu. Es ging durch Sümpfe und über Permafrostboden, durch Taiga und Tundra, über breite Flüsse hinweg. Und bis heute wird die Strecke viel genutzt.
Unterwegs gibt es Okroschka-Suppe
Die Züge sind meist gut voll. Luxuriös, manchmal sogar mit Fernseher, reist man im Viererabteil; "Platzkartny" hingegen stellt sich als die interessantere Variante heraus. Im Gang, neben dem Abteil der Schaffnerin, blubbert stets der Samowar. Genau genommen ist es nur ein Heißwasser-Zubereiter, Teebeutel bekommt man bei der Schaffnerin. Sie verleiht auch russische Teegläser in Metall-Henkelbechern. Auf diesen ist die Transsib eingestanzt. Fast jeder der ausländischen Reisenden kauft eines dieser Teegläser.
2016 feiert die Transsibirische Eisenbahn ihren 100. Geburtstag. Mal wieder, könnte man sagen. Schon vor 1915 gab es eine Verbindung von Moskau an den Pazifik, nach Wladiwostok, aber die führte durch die Mongolei. Der Zar fand das riskant, wenn da ein Krieg käme, wäre der Osten abgeschnitten von der 9.288 Kilometer entfernten Hauptstadt. Also wurde eine zweite Trasse gebaut, und der schwierigste Teil, die Brücke über den breiten Strom Amur, im Oktober 1916 also vor 100 Jahren fertiggestellt.
Sieben Tage dauert die Fahrt über die ganze Strecke. An einigen Bahnhöfen, wie etwa in Obluchje und Tschernyschefsk, kann man für ein paar Minuten aussteigen, sich die Beine vertreten. Die jungen Matrosen schießen Selfies und veranstalten einen Liegestütz-Wettbewerb auf dem Bahnsteig.
An anderen Bahnhöfen gibt es längere Stopps. Frauen breiten auf Pappkartons Waren aus, geräucherte Fische, in Suppe schwimmende Pelmenis, Blini, Piroggen, Piroschi, Baranki. Gerne wird da eingekauft. In Chabarowsk, wo die Brücke über den Amur führt, wird Kwas angeboten. Anders als fremde Reisende vermuten, ist nicht Wodka, sondern Kwas so etwas wie ein Nationalgetränk. Rund 900 Millionen Liter Kwas trinken Russen im Jahr. Der Geschmack erinnert an Malzbier, aber ohne Alkohol. Die junge Frau, die Kwas verkauft, erklärt, es werde aus Wasser, Kwas-Konzentrat-Pulver, Hefe, und Zucker hergestellt. Traditionell macht man das anders, mischt sich eine Russin ein. "Schwarzes, trockenes Brot wird geröstet, dazu kommen Zucker, Hefe, Wasser." Alles zusammen gärt, "und wir nehmen es auch für unsere berühmte Okroschka-Suppe". Eine Sommersuppe mit "Gurken, Radieschen, Kartöffelchen, das schmeckt sehr gut."
Aussteigen und herumschlendern, recht und gut aber am schönsten ist doch das Fahren an sich. Die weite russische Landschaft gleitet am Zugfenster vorbei. Blau gestrichene Holzhäuser mit weißen Zierleisten und mit Satellitenschüsseln ziehen vorbei, dann wieder geht es durch Städte, umgürtet von Plattenbausiedlungen. So viele Bücher zum Lesen hat man im Gepäck, kaum eines wird aufgeschlagen. Zu schön ist das Sitzen, Schauen und Sinnieren. Um nicht ganz einzurosten, geht man die paar Schritte zum Samowar und holt sich noch einen Tee. Oder legt eine Pause im Speisewagen ein, bei einer Portion Borschtsch oder Soljanka. Und vielleicht noch einer Dose Baltika. Gut aufgestellt ist, wer ein Wörterbuch eingepackt hat. So entspinnt sich einmal eine unterhaltsame Kommunikation mit einer Mitreisenden aus Wladiwostok. Nur eine Zugfahrt lässt den Reisenden so viel Zeit, um einzelne Wörter nachzuschlagen, kurze Sätze zusammenzubasteln.
So geht es weiter bis Ulan Ude, der Stadt in Buratien. Man hat ja nicht mal gewusst, dass es das gibt, dieses Buratien! Eine autonome Republik innerhalb Russlands, vor allem bekannt, weil in Ulan Ude bis heute der größte Leninkopf der Welt steht, 7,70 Meter hoch, wahrlich riesig.
Für alle, die an den Baikalsee möchten, heißt es nun umsteigen in den "Zarengold". Denn nur der Luxuszug fährt noch auf diesem Abschnitt, der Regelzug düst auf einer anderen Strecke direkt weiter nach Irkutsk. Was für ein Unterschied! In eleganten Zwei-Bett-Abteilen zuckelt der Zug den schönsten Abschnitt der ganzen Tour, direkt am Baikalsee entlang. Hier fährt er so langsam, dass man frühmorgens sogar für eine kurze Zeit (und für ein Trinkgeld) auf der Lokomotive mitfahren darf. In einem großen Bogen führen die Gleise am Südende des tiefsten Sees der Welt durch und über 39 Tunnels, 50 Galerien und 23 Viadukte. Es war die teuerste Teilstrecke, bis heute wird sie Goldschnalle genannt: Das Edelstück im allrussischen Stahlgürtel der Eisenbahn. Im Morgenlicht glänzt der See, am Ufer stehen Zelte, die Urlauber strecken den Kopf heraus, eifriges Winken. Hallo Russland, Hallo schöner Tag!
Das Frühstück wird in einem Speisewagen serviert, der mit Plüsch nur so prunkt. Das vermittelt Zugreisenden so ein Agatha-Christie-Gefühl. Und um einen herum schwirren mehrere Kellner, soll es noch ein Tee sein? Wünschen die Herrschaften Orangensaft? Oder vielleicht ein Gläschen Krimsekt für den Start in den Tag? Aber gerne doch, sagt man, überrumpelt von so viel Höflichkeit. Aber ein kleines bisschen vermisst man sie jetzt doch. Die knurrige Larissa aus der Transsibirischen Eisenbahn.
Von Barbara Schaefer
Buchtipp:
Transsib Handbuch. Von Hans Engberding und Bodo Thöns. Trescher Verlag. Umfangreiche Fakten und Tipps. 9. Auflage 2015,
528 Seiten, mehr als 300 Farbfotos und historische Abbildungen, komplett in Farbe, 46 Stadtpläne und Übersichtskarten, farbige Klappkarten, 21,95 Euro.
INFO:
Lernidee Erlebnisreisen organisiert Reisen auf der Transsibirischen Eisenbahn. Im Angebot hat der Berliner Veranstalter unterschiedliche Reisevarianten im Linienzug sowie im Zarengold-Sonderzug. Die reine Fahrkarte im Linienzug Wladiwostok Moskau ist ab etwa 1.600 Euro im 2-Bett-Abteil zu haben, Peking Moskau ab etwa 1.200 Euro Pauschalreisen im Linienzug inkl. Hotelübernachtungen in Wladiwostok, Chabarowsk, Irkutsk und Moskau gibt es ab 2.420 Euro (ohne Flug).
Die Sonderzugreise Zarengold in ihrer kürzesten Variante (Baikalsee Moskau) ist ab 2.850 Euro buchbar, der Klassiker von Peking nach Moskau ab 3.900 Euro enthalten bei diesen Reisevarianten ist jeweils auch der Flug ab/bis Deutschland, Hotelübernachtungen, Mahlzeiten und zahlreiche Ausflüge.
Information und Buchung:
Lernidee Erlebnisreisen,
Telefon 030-786000-0,
team@lernidee.de, www.lernidee.de
Fahrplan und Tickets:
www.transsibirische-eisenbahn.de