Der Gros-Morne-Nationalpark in der kanadischen Provinz ist ein grandioser Ort für Naturliebhaber, die in einer einzigartigen Landschaft eine geologische Reise in die Vergangenheit unternehmen können.
Der Wind fegt durch die fast baumleere Ebene. Hier und da wächst ein wenig Gestrüpp. Ockerfarbenes Gestein liegt herum und dahinter baut sich in der gleichen Farbgebung ein rund 700 Meter hoher Bergrücken auf. Die Tablelands im Süden des Gros-Morne-Nationalparks heben sich nicht nur farblich von der Umgebung ab. Sie sind einer der wenigen Orte auf der Erde, wo man auf dem einstigen Erdinneren stehen kann. "Für mich ist es der spannendste Ort im Nationalpark", erklärt Frederic Venne, Parkranger im Besucherzentrum. Als vor 480 Millionen Jahren die Kontinente aufeinanderstießen, wurden Gesteinsmassen nach oben gedrückt. Mehrere 100 Millionen Jahre später kamen die Tablelands dank der Erosion durch die Gletscher zum Vorschein. Nicht nur für Geologen, die die Entstehung der Erde erforschen, ist dies hochinteressant. Auch die Nasa untersucht die Gesteine der Tablelands, die man in ähnlicher Form auf dem Mars vermutet. "Sie versuchen, Wasser und damit Leben auf dem roten Planeten nachzuweisen", sagt Venne. Das könnte für die Zukunft interessante Erkenntnisse bringen.
Von der Zukunft zurück in die Vergangenheit geht es in Richtung Norden. Ein unscheinbares Schild weist den Weg nach Green Point, wo unzählige Lagen von Steinen nahezu senkrecht verlaufen. Das Besondere: Geologen haben hier durch Fossilienfunde die genaue Grenze zwischen den Erdzeitaltern Kambrium und Ordovizium abstecken können. Rund 500 Millionen Jahre Erdgeschichte sind an Neufundlands Küste wie in einem Museum ausgestellt.
Das ist das Sympathische am Gros-Morne-Nationalpark: Fast bescheiden kommt er daher, obwohl er sich hinter großen kanadischen Nationalparks nicht verstecken müsste. "Mit seinen hochaufragenden Klippen, dramatischen Fjorden, Gletscherseen, Dünen und Hochebenen zählt die Landschaft zu den spektakulärsten und vielfältigsten in Kanada", schwärmt Jane Brewer von Parks Canada. Zusammen mit der einzigartigen Geologie waren dies die Gründe der Unesco, den Nationalpark 1987 zum Weltnaturerbe zu erklären.
Gros Morne lädt seine jährlich etwa 200.000 Besucher ein, im Hier und Jetzt den Augenblick zu genießen. Der höchste Berg des Parks ist wie sollte es anders sein der Gros Morne. Wörtlich übersetzt ist er ein "großer freistehender Hügel", der mit seinen 806 Metern aus dem Nadelwald hervorsticht.
Wer den 16 Kilometer langen markierten Rundweg in Angriff nimmt, wird mit einem grandiosen Panorama vom Gipfelplateau belohnt. Wem dies zu schweißtreibend ist, sollte sich auf einer Bootstour den spektakulären Fjorden des Western Brook Pond nähern und aus dieser Perspektive die steil aufragenden Felsen bestaunen. Oder doch ein Abenteuer wagen? Die Long Range Traverse wurde 2013 von National Geographic als eine der schönsten Trekkingtouren weltweit auserkoren. Bevor man die weglosen 40 Kilometer angeht, muss man bei einem Parkranger einen Navigationstest ablegen, denn das Wetter kann schnell umschlagen und die Orientierung erschweren. "Die Belohnung sind echte Einsamkeit, unberührte Lagerplätze und die Freude des Reisens im wilden Hinterland Neufundlands", sagt Autor und Abenteurer Peter Potterfield.
In der Gegenwart gibt es neben der unglaublich schönen Landschaft auch Herausforderungen, die man bewältigen muss. "Das Gebiet ist nur auf der Landkarte durch eine imaginäre Linie abgegrenzt", gibt Parkranger Venne zu bedenken. Man könne ihm keine Glocke überstülpen, um es vor äußeren Einflüssen zu schützen. Ausgerechnet das kanadische Aushängeschild ist im Nationalpark zum Problem geworden. Elche auf Futtersuche fressen alles Grünzeug, was ihnen vors Geweih kommt. Über 100.000 Tiere zählt man in ganz Neufundland, die täglich jeweils 25 Kilogramm fressen.
Rund 500 Millionen Jahre Erdgeschichte an der Küste
Das schadet dem Nadelwald im Nationalpark. "Biss für Biss sterben die Bäume", stellt Ökologe Tom Knight fest. Im Sommer fänden die Elche noch genügend Futter, aber im Winter blieben nur Sträucher und Bäume als Nahrung übrig, so Knight. Die Folgen waren 1878 nicht abzusehen, als man die ersten beiden Elche auf der Insel ansiedelte, um den Jagdsport interessanter zu machen. Da die Tiere keine natürlichen Feinde im Nationalpark haben, wurde im Herbst 2011 ein Pilotprojekt ins Leben gerufen. Jäger sind aufgerufen, sich an der Jagd nach den großen Tieren zu beteiligen, um den Bestand zu verringern.
Über 100.000 Elche zählt man in ganz Neufundland
Im Nationalpark war dies zuvor strikt verboten. Auch im vergangenen Jahr wurden 1.000 Lizenzen verlost, damit der Wald die Chance bekommt, sich zu regenerieren.
Als Tourist hat man trotz der Jagd auf Elche gute Chancen, die Tiere zu sichten und abzulichten. Nicht selten berichten Wanderer von Elchen direkt auf Wanderwegen. Karibus sind schon immer auf Neufundland heimisch. Sie grasen vornehmlich auf der Hochebene des Nationalparks. Auch Schwarzbären kann man begegnen. Die Tiere sind aber sehr scheu und flüchten, sodass man sie selten zu Gesicht bekommt.
Dass dieser Nationalpark kurze Sommer und lange Winter hat, merkt man spätestens, wenn man Alpenschneehühnern und Schneehasen begegnet. Um sich vor Feinden zu schützen, färben sich Fell und Gefieder im Winter weiß, während es im Sommer grau ist. Nur wenige Besucher können die Tiere im Winterkleid bewundern. Meist sind es die Einheimischen, die zu Schneeschuh- oder Schneemobiltouren in der kalten Jahreszeit aufbrechen. Wenn im Herbst die bunten Blätter von den Bäumen verschwinden, sind auch die meisten Touristen abgereist.
Die Schwarzbären sind sehr scheu und flüchten
Auch Corrado Guido aus Kanadas größter Stadt Toronto ist fasziniert von der herrlichen Natur, nennt aber noch einen weiteren Grund, warum es sich lohnt, im Gros-Morne-Nationalpark auf Zeitreise zu gehen: "Ohne Witz, die Neufundländer sind wirklich die nettesten Menschen der Welt", ist er überzeugt. Aber das kann man nur selbst vor Ort herausfinden.
Luzia Pesch
Info:
Anreise:
Flug zum Beispiel mit Condor ab Frankfurt/Main über Halifax bis Deer Lake. Den Nationalpark erreicht man entweder per Mietwagen oder Taxi. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel im Nationalpark.
Übernachtung:
Vom schicken Hotel bis zum einfachen Campingplatz bietet die Region zahlreiche Übernachtungsmöglichkeiten. Beste Adresse ist das von Schweizern geführte "Neddies Harbour Inn"; Infos: www.theinn.ca.
Campingplätze und die originellen "oTENTik"-Zelte vermietet Parks Canada: www.pc.gc.ca/grosmorne/
Essen und Trinken:
Auf den Teller kommen frischer Fisch und Meeresfrüchte aus dem Atlantik. Viel Lob der Einheimischen erntet "Justin Thyme Bean and Bistro" in Norris Point. Elchburger kann man bei "Earls" in Rocky Harbour probieren.
Anschauen:
Versäumen sollte man auf keinen Fall die Wanderung mit einem Parkranger in den Tablelands und die Besteigung des Gros Morne Mountain. Informationen erhält man in den beiden Besucherzentren des Parks. Eine Bootstour in den Fjorden des Western Brook Pond bietet BonTours an: www.bontours.ca
Informieren:
Offizielle Webseite von Parks Canada: www.pc.gc.ca/grosmorne/Neufundland & Labrador Tourismus: www.newfoundlandlabrador.com
Bücher:
Deutschsprachige Literatur gibt es in Form von Reiseführern über Kanadas Osten. Auf Englisch ist das Buch "Gros Morne National Park" von Michael Burzynski zu empfehlen. Wer sich für Geologie interessiert, sollte sich "Geology of Newfoundland" von Martha Hickman Hild zulegen.