Cartagena de Indias am karibischen Meer gilt als eine der schönsten Städte in Kolumbien. Besondere Berühmtheit erlangte sie durch den Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez. Der Schriftsteller wählte sie als Kulisse für seine berühmtesten Werke.
Am Spätnachmittag, wenn die Hitze nachlässt und die tief stehende Sonne ein weiches Licht auf die meterdicken Steinmauern wirft, mit denen sich die spanischen Stadtherren einst vor englischen und französischen Piraten schützten, dann wandeln sich die fensterähnlichen Öffnungen in der Stadtmauer von Cartagena de Indias in kleine romantische Fluchtburgen. Junge Pärchen, halb verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit, genießen hier die Abendstunden, legen das Smartphone zur Seite, um zu reden oder zu knutschen. Das Rauschen des karibischen Meers, dessen Strand von der Stadtmauer durch eine mehrspurige Straße getrennt ist, ist kaum zu hören, stattdessen dominiert das Brummen der Busse, Kleinlaster und Motorräder, die auf der Umgehungsstraße vorbeiknattern. Wer ein Stück an der Wallanlage entlangläuft, der stößt auf das "Café del Mar", einen der angesagten Treffpunkte in der Stadt. Am frühen Abend betrachten Touristen und Einheimische hier den Sonnenuntergang, am späten Abend wandelt sich die Bar in einen Nachtschwärmer-Treff, in dem Lounge- und Elektromusik ertönt.
Eine Bar wird zum Nachtschwärmertreff mit Elektromusik
Folgt man der Stadtmauer weiter auf die andere Seite der Altstadt, stößt man auf die Plaza de Santa Teresa. In deren Nähe stand einst ein Militärkrankenhaus, das nahezu direkt in die Stadtbefestigung integriert gewesen war. In diesem Krankenhaus landete ein junger Journalist im Jahr 1955 einen echten Scoop. Er interviewte dort einen Matrosen, der im Meer über Bord gegangen war, dramatische Tage auf See verbrachte und dann doch noch gerettet wurde. Die abenteuerliche Geschichte erschien als mehrteilige Serie in der kolumbianischen Tageszeitung "El Espectador", später wurde daraus das Buch "Bericht eines Schiffbrüchigen". Weil darin zu lesen war, dass das Marineboot wohl vor allem deshalb gekentert war, weil es zu viel Schmuggelgut geladen hatte, gefiel die Veröffentlichung den Regierenden gar nicht. Der junge Journalist, der später den Literaturnobelpreis bekommen sollte, verbrachte die kommenden Jahrzehnte denn auch zum Großteil außerhalb Kolumbiens, vor allem in Mexiko, wo er im April 2014 hochbetagt starb. Seine letzte Ruhestätte freilich hat er seit einigen Monaten in Cartagena die Urne mit seiner Asche wurde im Mai dieses Jahres in die kolumbianische Küstenstadt überführt und im Innenhof des ehemaligen La Merced-Klosters beigesetzt.
Nach Cartagena de Indias kam Gabriel García Márquez, in Kolumbien meist schlicht "Gabo" genannt, im Jahr 1948, weil das politische Klima in der Hauptstadt Bogotá zu unsicher für ihn wurde. Das erfährt man auf einem Márquez-Rundgang durch Cartagena, der bereits seit einiger Zeit per Audioguide möglich ist. Seine erste Nacht in der Küstenstadt verbrachte Márquez, dessen in der fiktiven kolumbianischen Stadt Macondo spielender Roman "100 Jahre Einsamkeit" später zum Welterfolg wurde, angeblich auf einer Parkbank an der Plaza de Bolívar. Das Hotel, in dem er unterkommen wollte, war bereits geschlossen. Später arbeitete Márquez bei der Tageszeitung "El Universal" und war dort so eifrig, dass er nachts häufig vor Erschöpfung auf den Papierrollen einschlief. Ein paar Meter von dem ehemaligen Zeitungsgebäude in der Calle San Juan de Dios entfernt hat heute die "Iberoamerikanische Stiftung für neuen Journalismus" ihren Sitz. Diese Stiftung hat Márquez im Jahr 1994 gegründet, um unabhängigen Journalismus in Kolumbien zu fördern. Das Gebäude der Zeitung, der Sitz der Stiftung, das ehemalige Wohnhaus Gabos, von dem aus Márquez und dessen Familienangehörige, die vor allem dort wohnten, einen Blick über die Stadtmauer hatten, die Plaza de Bolívar, wo der Autor auf einer Parkbank schlief all diese Orte sieht man bei der Audioguide-Tour durch die Stadt, die auch auf Deutsch angeboten wird.
Mit Audioguide auf den Spuren von Márquez
Doch viel mehr noch als den Spuren von Gabriel García Márquez folgt man während der Tour dem Leben von Figuren, die seiner schier unendlichen Fantasie entsprungen sind: Etwa Fermina Daza und Florentino Ariza. Die beiden stehen im Zentrum einer Liebesgeschichte, die Florentino Ariza zwar nicht 100 Jahre Einsamkeit, doch dafür mehr als 50 Jahre sehnsüchtiges Schmachten bereitete, einer grandiosen Erzählung, die als Roman und als Film zum Welterfolg wurde und die wie kaum ein anderes Buch von Márquez die kolumbianische Kolonialstadt Cartagena de Indias, im Roman auch die Stadt der Vizekönige genannt, zur Bühne machte: "Die Liebe in den Zeiten der Cholera".
Mit diesem Werk im Gepäck sieht man etliche altehrwürdige Straßen und Plätze in der Stadt mit anderen Augen etwa den Parque Fernández Madrid im Stadtteil San Diego, eine grüne, schattige Oase in der Altstadt, um die herum sich einige Hostels, Cafés und In-Lokale angesiedelt haben, und nordwestlich von der, in der Calle 38, die unscheinbare Iglesia Santo Toribio steht eine Kirche, aus der die Gesänge und das Orgelspiel weit über den Platz zu hören gewesen sein sollen, weshalb Márquez diesen Platz in seinem Buch als "Parque de los Evangelios" bezeichnet. In diesem Park, so schrieb Márquez in seinem Weltbestseller, wartete der junge Florentino im Schatten der Mandelbäume Stunde um Stunde darauf, Fermina für einen Moment zu Gesicht zu bekommen.
In den 50er-Jahren, als Márquez für kurze Zeit in Cartagena lebte und arbeitete, war die Stadt verfallen, heruntergekommen und morbide, sie wirkte, als sei die Zeit 50 oder 100 Jahre vorher stehen geblieben. Ihre wirtschaftliche Bedeutung hatte sie verloren, andere Hafenstädte wurden wichtiger, und vielleicht ist genau deshalb das historische Ensemble der Stadt, das jetzt die Besucher fasziniert, zumindest in den Grundzügen bis heute erhalten worden. Der Schwede Karl Sandrock hat zusammen mit seiner kolumbianischen Frau María Claudia in der Altstadt von Cartagena vor rund zehn Jahren ein Gebäude gekauft. Er erinnert sich noch gut daran, dass der altehrwürdige Bau, der früher unter anderem diversen Geschäftsleuten und Schmugglern gehört hatte, fast eine Ruine gewesen war. Mittlerweile haben die beiden das Haus restauriert und betreiben darin ein schmuckes Boutique-Hotel, das bei Márquez-Fans hoch im Kurs steht denn das Hotel "Alfiz" verfügt über eine Bibliothek mit mehr als 200 Márquez-Bänden in den unterschiedlichsten Sprachen.
Am besten drei Tage zum Erkunden
Damals war Cartagena zwar schon Unesco-Weltkulturerbe, diesen Status hat die Altstadt bereits seit 1984, doch wegen der zahlreichen Entführungen und des Bürgerkriegs waren Kolumbienreisende eher rar. Das hat sich inzwischen geändert, und wer Cartagena heute besucht, der kann nur hoffen, dass nicht gerade ein Mega-Kreuzfahrtschiff hier anlandet. Denn obgleich die Stadt mitsamt ihren Vororten rund 900.000 Einwohner hat, ist der Bereich des historischen Zentrums überschaubar. "Man sollte sich dafür etwa drei Tage Zeit nehmen, dann kann man alles in Ruhe ansehen", rät Sandrock.
Wer Cartagena de Indias mit dem Márquez-Audioguide durchstreift, der besucht die schönsten und belebtesten Teile der Altstadt. Etwa die Plaza de la Aduana, den früheren Zollplatz, an dem sich jetzt die Touristeninformation befindet oder die Plaza de los Coches mit dem Uhrturm, einer Art Wahrzeichen der Stadt.
Eine äußerst geschichtsträchtige Vergangenheit
Früher waren die Tore unterhalb des Uhrturms der Haupteingang zur Altstadt, die soziale Stellung bestimmte, wer durch welchen Torbogen zu gehen hatte. Am Uhrturm selbst finden sich vier Uhren, die in alle vier Himmelsrichtungen zeigen, doch früher liefen diese Zeitanzeiger längst nicht immer synchron. "Noch heute sagt man zu jemanden, der nach vorne freundlich mit einem redet, aber hinter dem Rücken über einen lästert, du hast mehr verschiedene Gesichter als der Uhrturm", berichtet Edgar Verbel, ein Einheimischer, der seit einigen Jahren kostenlose Rundgänge durch die Altstadt von Cartagena anbietet. Auf der Plaza de los Coches erlebt der Flaneur einen Hauch des turbulenten Treibens, das zu Gabos Zeiten und früher hier geherrscht haben muss: Da sind Straßenhändler mit kleinen Handwagen unterwegs, einige Meter weiter stehen bunt gekleidete dunkelhäutige Frauen, sogenannte Palenqueras, und hoffen auf Trinkgeld für ein Foto, daneben warten Pferdekutscher auf Fahrgäste.
Das koloniale Cartagena war eine zutiefst katholische Stadt, die spanische Inquisition hatte hier eine ihrer drei außereuropäischen Niederlassungen. Am Colegio de la Presentación, der Mädchenschule, die Fermina Daza in "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" besuchte, herrschten strenge Sitten, ebenso wie im Kloster Santa Clara. Dort war Márquez in Oktober 1949 als junger Zeitungsreporter dabei, als die Gebeine eines Mädchens exhumiert wurden.
Welche Geschichte sich dahinter verbergen könnte, das hat sich der Meister des "magischen Realismus" mit viel Fantasie ausgedacht und im Roman "Von der der Liebe und anderen Dämonen" grandios erzählt: Pater Cayetano Delaure, so fabulierte Márquez, wurde vom Bischof damit beauftragt, der zwölfjährigen Sierva Maria de Todos los Ángeles den Teufel auszutreiben. Doch der Pater verliebte sich in das Mädchen und wurde strafversetzt. Im Roman ist ein Geheimgang beschrieben, durch den sich der liebestrunkene Pater nachts heimlich ins Kloster geschlichen hat. Gabos Wohnhaus, von dem aus er direkt auf das Meer der Karibik blicken konnte, ist ganz in der Nähe des Klosters, das heute als Luxushotel fungiert. Womöglich befand sich der Einstieg zum Geheimgang ja sogar im Garten seines Anwesens nur wenige Meter entfernt von der majestätischen Stadtmauer, an der sich allabendlich die Liebespärchen treffen.
Von Rainer Heubeck
Info:
Anreise
Mit KLM (www.klm.com) beziehungsweise Air France (www.airfrance.com) über Amsterdam oder Paris nach Bogotá, von dort Inlandsflug mit Avianca (www.avianca.com) oder Viva Colombia (www.vivacolombia.co) nach Cartagena. Alternativ dazu hat Condor (www.condor.de) Flüge nach Cartagena in Angebot, die in Kooperation mit Copa Airlines realisiert werden (meist über San Juan oder Punta Cana mit Umsteigen in Panama City).
Pauschalreisen beziehungsweise individuelle Rundreisen: Die Best of Travel Group bietet individuelle Rundreisen durch Kolumbien, Buchung über Best of Travel Group GbR: www.botg.de.
Unterkunft
Für Márquez-Freunde empfiehlt sich das Hotel "Alfiz": www.alfizhotel.com. Weitere Boutiquehotels in der Altstadt: www.evocahotels.com.
Reisezeit
Cartagena liegt an der Karibikküste, es ist ganzjährig warm (Jahrestemperatur um die 30°C tagsüber und 26°C nachts), beste Reisezeit ist von November bis März, in diesen Monaten ist es besonders trocken.
Weitere Infos
Tourismusbüro Cartagena,
Telefon 00575-6601583,
www.cartagenadeindias.travel
Allgemeine Information zu Kolumbien: www.colombia.travel