Es ist nicht alles gesund, was grün ist
Neidisch beobachtete ich neulich im Bus einige Leute, die sich angeregt darüber unterhielten, wo es die beste Currywurst gibt. Die Männer hatten gerötete Gesichter und einen Bierbauch und die Frauen Speckrollen. Bestimmt ernährten sie sich furchtbar ungesund. Wie kam es bloß, dass sie so unglaublich gute Laune hatten?
Um kaum etwas ranken sich so viele Mythen wie um die sogenannte gesunde Ernährung. Doch was ist das eigentlich? Darüber streiten sich die Experten. Vor wenigen Jahrzehnten bestand die Welt noch hauptsächlich aus Fleischessern, Vegetariern und einigen "Körnerfressern". Heute gibt es unzählige neue Strömungen: Veganer, Roh- oder Urköstler. Andere schwören auf die fleischreiche Steinzeitnahrung, in der Milchprodukte und Brot verpönt sind. Einige Nahrungsformen scheinen dabei eher auf einem religiösen, als auf einem wissenschaftlichen Fundament zu ruhen.
Trotz einem Überangebot an vitaminreicher Kost haben erschreckend viele Menschen Probleme mit dem Essen. In den Kindergärten hängen lange Listen mit den Nahrungsunverträglichkeiten der Kinder. Schwer für die Köche, ein einheitliches Menü hinzubekommen, wenn in einer Gruppe von 15 Kindern einige entweder keine Eier, kein Mehl oder keine Milchprodukte essen dürfen. Lange konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein Problem mit Laktose, Mehl, Histamin oder Fruktose quasi zum guten Ton gehört bis auch bei mir eine Glutenunverträglichkeit festgestellt wurde. Seit ich selbst kein normales Brot und keinen Kuchen mehr essen kann, bin ich toleranter geworden.
Trotzdem sind für mich manche "Diäten" eher ein Fall für den Psychiater als für den Ernährungswissenschaftler. Dazu gehört die sogenannte Lichtnahrung. Deren Vertreter haben die Antwort gegen den Welthunger gefunden: ein völliger Verzicht auf Essen und Trinken.
Schließlich ist Essen gefährlich. Sogar von gesundem Gemüse kann man krank werden. Wer nur noch Rohkost isst, verliert vielleicht an Gewicht. Langfristig riskiert er Mangelerscheinungen. Groß ist die Zahl derer, die wegen Verdauungsbeschwerden beim Arzt landen. Wenn der ihnen rät, auf gekochte bekömmlichere Nahrung umzusteigen, würden Gesundheitsapostel behaupten, dass man sich mit letzterer nur vergiftet.
Das Geschäft mit der Angst funktioniert und fördert den Verkauf teurer, nutzloser Produkte. Der Eindruck entsteht, mit gesunder Ernährung könne man selbst dem Tod ein Schnippchen schlagen. Leider starb die Frau des Erfinders der Instincto-Therapie, einer radikalen Rohkostform, an Krebs, obwohl sie sich doch so "gesund" ernährt hatte. Sicher gibt es einige Grundregeln für gesunde Ernährung. Aber auch da kann man es übertreiben. Allzu viel bleibt ungesund, auch oder gerade dann, wenn sich das ganze Leben nur noch um gesundes Essen dreht. Extreme Ernährungsformen und Diäten legen den Grundstein für Essstörungen.
Die Nahrungsmittelindustrie lockt immer mit den gleichen Heilsversprechen: steinalt werden und dabei gesund bleiben. Besonders gut lassen sich Produkte verkaufen, die uralt mit ultramodern vereinen. Tausend Jahre alte Rezepte kombiniert mit dem neuesten Trend. Für den gesundheitsbewussten Konsumenten muss das Salz heute aus dem Himalaya kommen und nicht aus Bad Reichenhall und das Wasser nicht einfach aus der Leitung, sondern aus der Plastikflasche. Oder es wird mit Hilfe teurer Geräte erst destilliert und dann "energetisiert". An der Sehnsucht des Menschen nach ewigem Leben lässt sich vor allem eines: viel Geld verdienen.
Gesund zu leben, ist anstrengend. Statt selbst am Herd zu stehen, gucken deshalb viele lieber Kochshows im Fernsehen. Neben dem Prädikat "gesund" gibt es übrigens auch noch so etwas wie Esskultur. In Frankreich ist diese nicht nur eine Frage des guten Tons, sondern scheint sich auch sonst positiv auszuwirken. Wie ist es sonst zu erklären, dass die Franzosen, die von Verzicht nicht viel halten und für ihre legendären Ess- und Trinkgelage bekannt sind, besonders schlank sind und im europäischen Vergleich eine hohe Lebenserwartung haben?
Von Daniela Noack
Daniela Noack schreibt als freie Journalistin für Tageszeitungen und Magazine. Lange hat die studierte Übersetzerin aus Paris über das französische Leben berichtet. Heute macht sie sich lieber Gedanken über die eigenen Landsleute.
LEBEN
picture alliance / dpa-tmn
Geschäft mit der Ernährung
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