Die Gefahren der "leichten Sprache" Warnung vor "digitaler Demenz"
In den vergangenen Monaten haben wir uns wieder einmal mit der Sprache beschäftigt. Diesmal ging es um "einfache Sprache". Fernsehsender und gedruckte Medien verbreiten neuerdings Nachrichten in einfacher Sprache. Die Frage stellte sich: Was soll das denn schon wieder?
Bei den Nachforschungen ließen wir uns von einigen Gründen überzeugen. Mit der einfachen Sprache sollen auch jene erreicht werden, die geringen Lernfähigkeiten haben zum Beispiel geistig behinderte Menschen oder Analphabeten. Auch für Ausländer, die schnell Deutsch lernen wollen oder müssen, bietet sich eine Sprache an, die rasch verstanden wird.
Die Anwendung der leichten Sprache birgt aber auch Gefahren. Vor nicht allzu langer Zeit haben Bildungspolitiker mit der Rechtschreibreform immensen Schaden angerichtet. Der Schweizer Experte für Rechtschreibreform Friedrich Denk stellte fest: "Sie hat nichts von der verheißenen Erleichterung gebracht, sondern Verwirrung und Milliardenkosten verursacht."
Inzwischen gibt es diverse Untersuchungen. Aus einer ist herauszulesen, dass die Hälfte aller Schüler beispielsweise einer 9. Klasse über nicht ausreichende Rechtschreibkenntnisse verfügt. Nun verführt die leichte Sprache zusätzlich zu weniger Lerneifer. Diese leichte Sprache erreicht ja nicht nur die oben erwähnten Betroffenen, sondern auch Kinder und Jugendliche, die unterfordert werden.
Es gibt inzwischen Vereine und Organisationen, die mit der "leichten Sprache" Geld verdienen. Dabei wird trainiert, dass ein Satz höchstens 15 Wörter mit höchstens einem Komma haben soll. Fremdwörter sollen vermieden werden. Aber: Auch bildhafte Sprache kommt bei der leichten Sprache nicht mehr vor. Welch armseliges Kulturleben hätten wir, wenn auf Theaterbühnen und in Büchern nichts Bildhaftes zu genießen wäre.
Es ist ein Vergehen an den Kindern und Jugendlichen, sie nicht mehr zum Auswendiglernen von Gedichten anzuhalten. Wer schon einmal Schillers "Glocke" vor der Klasse vortragen musste, der weiß, wie viel Mühe das Lernen bereitete, kann dafür aber noch nach Jahrzehnten den Text. Doch das derzeitige Bildungssystem legt es darauf an, die Gehirne des Nachwuchses verkümmern zu lassen.
Eine erbärmliche Spracharmut ist täglich festzustellen. Einst lehrte Wolf Schneider Journalisten, wie mit der Sprache umgegangen werden kann ernsthaft, gründlich, aber auch mit spielerischen Wechseln. Verben sind die Königswörter, schrieb Schneider in "Macht und Magie der Sprache". Und was hören wir heute? Kürzlich wurde sehr oft schablonenhaft gesprochen, als über die Olympischen Spiele berichtet wurde. Da waren Athleten "auf Augenhöhe" unterwegs, um bloß nicht den "undankbaren" vierten Platz zu belegen. Beim Fußball standen die Ersatzspieler "Gewehr bei Fuß". Und so weiter und so weiter. Auch die bildhafte Sprache war mehrfach voll daneben. Wer möchte schon einen Sportler sehen, der die Backen aufbläst? Eher doch wohl die Wangen.
Sicherheitshalber wird mediale Kompetenz vorgetäuscht, wenn ein Trainer die Taktik des Gegners nicht so "auf dem Schirm" hat. Die wirklich interessanten Hintergrundinformationen über politisches Geschehen verlagern die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten gerne ins Internet oder senden gegen Mitternacht.
Das alles kommt dem medialen Konsumverhalten vor allem vieler Jugendlicher sehr entgegen. ZDF und ARD über App. Kurz, nicht mehr als 140 Zeichen, schnell meist ohne Belang. Wer zudem mit Pokemon Go Stunden vertrödelt, hat natürlich keine Zeit, sich in ein Buch zu vertiefen. Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer warnt vor einer "digitalen Demenz". Arthur Rimbaud schrieb mit 17 Jahren Weltliteratur in schwerer Sprache. Wer könnte das heute?
Von Günther Wettlaufer
Günther Wettlaufer (71) war von 1971 bis 2005 als Journalist bei der WAZ-Gruppe, dem Axel-Springer-Verlag, Gruner & Jahr sowie der "Saarbrücker Zeitung" in verschiedenen Führungspositionen tätig, lebte dann in Berlin und seit einiger Zeit wieder im Saarland.