Passen unsere Altersbilder noch zu den heutigen Realitäten?
Woran denken wir, wenn es um ältere und alte Menschen geht? Unsere Großmutter im Sessel, die alte Tante im Pflegeheim, der ältere Mann nebenan, der Rad fahrende Grauhaarige, der sich um Kondition bemüht, Menschen, die im Garten sitzen oder abends vor dem Lokal Skat spielen. Vielleicht denken wir auch an Demenz und körperlichen Abbau.
Bilder in unseren Köpfen. Unsere Vorstellungen vom Alter sind subjektive, persönliche Bilder, auf Erfahrungen beruhend, manchmal auch auf Wissen immer aber auch auf Erlebnissen und Erinnerungen, vermischt mit Gefühlen, positiv oder negativ. Sie prägen unsere Haltung zum Alter ob wir uns davor fürchten oder es gelassen angehen. Sie fließen in politische Haltungen ein, weil nun mal auch jeder Politiker und jede Politikerin einen persönlichen Erfahrungshintergrund hat. In der Summe werden sie zu Altersbildern einer Gesellschaft, zu Trend und Meinung und prägen die öffentliche Diskussion und politischen Strategien.
Aber passen diese Altersbilder zu den Realitäten heute? Die Fakten und der Stand der Wissenschaft sind eindeutig: Die Lebenserwartung der Menschen ist deutlich gestiegen, in den vergangenen hundert Jahren um 30 Jahre, sie steigt noch immer. Wir leben länger, meist in gutem Zustand. Die Älteren sind geistig fit, sind lebens- und berufserfahren, lernfähig und können auch neue Kompetenzen erwerben. Ein Bruch in den Biografien beginnt häufig mit dem Eintritt in den Ruhestand, ein soziologischer Marker für das Alter. Nicht selten tritt ein schwarzes Loch ein. Nach den ersten Monaten der Entspannung, die man genießen konnte, entsteht nun ein Gefühl der Leere, oder es beginnen gesundheitliche Probleme.
Für die Altersforschung wird immer klarer, dass das Thema Arbeit und eine Aufgabe haben zu lange unterschätzt wurde. Beides hat eine positive Funktion für unsere seelische und geistige Gesundheit, gibt Tagesstruktur, man wird gebraucht, kann zeigen, dass man etwas kann, hat soziale Kontakte.
Nur Freizeit macht meist nicht glücklich, das Leben gelingt besser, wenn es Wechsel und Balance zwischen Anspannung und Entspannung gibt. Ob die positive Anspannung durch bezahlte Arbeit oder unbezahltes Engagement angeregt wird, scheint keinen Unterschied zu machen.
Obwohl wir also heute mit Mitte 50 statistisch gesehen noch 30 fitte Jahre vor uns haben, leben viele auf den Ruhestand hin, verbunden mit Hoffnungen auf Freizeit und Freiheit und übersehen, dass diese zukünftige Zeit oft mehr als 20 Jahre dauern wird. Das kann lang sein!
Wieso werden diese positiven demografischen Veränderungen nicht zu einer gesellschaftspolitischen Strategie gewandelt, sondern eher als Katastrophe apostrophiert? Eine Gesellschaft, die mehr Ältere hat, hat enorm viele Chancen. Das Wissen und Potenzial der Älteren, die Kreativität der Jüngeren, das Zusammenwirken von Jüngeren und Älteren macht eine Gesellschaft innovativ, ruhiger, klüger und möglicherweise solidarischer.
Aber es erfordert Umdenken: Flexibilisierungen im gesetzlichen Bereich, in den Strategien von Unternehmen, in der Wertschätzung bei Arbeitsvermittlern und Chefs. Sozial-, Renten- und Gesundheitspolitik, die Lebensarbeitszeitgestaltung könnten überdacht werden, Aus- und Weiterbildung für Ältere könnten Nachwuchssorgen in vielen Branchen entschärfen. Aktiv bleiben müsste belohnt werden. Die Angst vor zu viel Ruhe dürfte nicht tabuisiert werden.
Umdenken beginnt mit dem Abschied von überkommenen Altersbildern, also in unserem Kopf. Skandinavien hat die Ruhestandsregelungen schon vor Jahren so verändert, dass man mit Mitte 60 in Rente gehen, aber auch weitermachen kann, meist bis über 70 wenn man das will und kann. Es ist eine Individualisierung der Regelung, keine Aufgabe der Schutzfunktion der Rente: Keiner muss länger arbeiten, aber jeder, der will, kann es. Kein Zwang für alle. Altersbilder sind in diesen Gesellschaften, in denen Menschen länger arbeiten können, deutlich positiver, weil mehr Ältere sichtbar sind morgens im Bus zur Arbeit, an Schaltern, im Verkauf, aktiv im Alltag, Teil des gesellschaftlichen Lebens. Ein öffentlicher und politischer Diskurs zu diesem Thema ist überfällig!
Gastbeitrag von Barbara Wackernagel-Jacobs
Barbara Wackernagel-Jacobs, 66, Soziologin und Familientherapeutin, war Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales im Saarland, produziert seit 1999 Dokumentarfilme und hat mit dem Film "Sputnik Moment 30 gewonnene Jahre" und dem "Buch zum Film" gezeigt, wie gut es ist, länger beruflich aktiv oder bürgerschaftlich engagiert zu sein.
LEBEN
picture alliance / Ulrich Baumgarten
Zeit zum Umdenken
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