Weltweit sind selbstherrliche Führungsfiguren im Aufwind
Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 schwappte ein grenzenloser Fortschritts-Optimismus über den Westen. Die Demokratie so der Tenor schien weltweit auf dem Vormarsch zu sein. Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sah den Kommunismus und den Faschismus als erledigt an. Das 20. Jahrhundert werde "zu einem klaren Triumph des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus", schrieb er 1992 in seinem berühmten Buch "Das Ende der Geschichte". US-Präsident George H.W. Bush hatte bereits in seiner Rede vor dem US-Kongress am 11. September 1990 von einer "neuen Weltordnung" gesprochen. Seine Vision: "Eine Welt, in der die Herrschaft des Rechts die Herrschaft des Dschungels ersetzt."
Diese überschwänglichen Zukunftsentwürfe muten im Rückblick als naives Wunschdenken an. Natürlich war der damalige Kontext ein anderer. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satelliten in Osteuropa hofften viele, das historische Pendel schlage endgültig Richtung Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung und Marktwirtschaft um.
Dieser Glaube ist heute erschüttert. Auf der ganzen Welt bekommen populistische Autokraten Aufwind. Sie haben keine gemeinschaftlichen Lösungen für die immer komplexeren Probleme wie Klimawandel, Flüchtlingskrise oder Konkurrenz aus Billiglohn-Ländern im Zuge der Globalisierung. Sie mobilisieren stattdessen mit Ressentiments, Feindbildern und Patriotismus-Besoffenheit.
Selbst die USA, das Mutterland der Demokratie, sind hier keine Ausnahme. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat es geschafft, mit plumpen Sprüchen, dreisten Lügen und Kübeln voller Hass das politische Establishment des Landes in den Dreck zu ziehen. Seine Ankündigung, eine Wahlniederlage möglicherweise nicht anzuerkennen und seiner Konkurrentin Hillary Clinton wegen der E-Mail-Affäre einen Sonderermittler auf den Hals zu hetzen, unterstreichen: Rechtsstaatliche Grundsätze werden demonstrativ mit Füßen getreten.
Für Autokraten wie den russischen Präsidenten Wladimir Putin ist der gigantische Polit-Klamauk in Amerika eine propagandistische Steilvorlage. Die US-Wahl, die immer mehr zu einer mehrere Milliarden Dollar schweren Kampagne mit potenten Spendern ausartet, bietet Putin reichlich Munition: Geld, Großbanken und handfeste wirtschaftliche Interessen regierten in Wahrheit den Wettlauf ums Weiße Haus, lautet der Vorwurf. Dies mag überzogen sein, aber ein Kern Wahrheit steckt dennoch darin.
Russlands Präsident ist allerdings der falsche Kronzeuge für ein demokratisches Leitbild. Putin gehört vielmehr zu den Galionsfiguren des modernen populistischen Autokratismus. Die Presse im eigenen Land agiert über weite Strecken wie ein Jubel-Kommando für die Regierungsorgane. Wer Kritik übt, hat schnell mal die Steuerfahndung vor der Tür. Die Außenpolitik wird zunehmend zur Ablenkungsfront für innenpolitische Defizite wie die stockende Modernisierung der Wirtschaft oder die sinkenden sozialen Leistungen. Der Kremlchef hat den Ehrgeiz, den alten machtpolitischen Glanz der Sowjetunion zu restaurieren. Egal, ob in der Ostukraine oder in Syrien.
Auch Osteuropa ist von diesem Virus infiziert. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kujoniert die freie Presse. In Polen macht der einflussreiche Chef der rechtskonservativen Regierungspartei PiS Jaros?aw Kaczy?ski Front gegen das Verfassungsgericht und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Am auffälligsten sind die autokratischen Tendenzen in der Türkei. Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan werden die Medien praktisch gleichgeschaltet. In Arabien blüht entweder politisches Chaos wie in Syrien, im Irak oder in Libyen. Oder es gibt stabile Regionen wie die Scheichtümer am Persischen Golf, die aber über festgefügte mittelalterliche Herrschaftssysteme mit nur rudimentärer Teilhabe verfügen. China im fernen Osten ist ein staatskapitalistischer Koloss, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Wer sich auf der Welt umschaut, entdeckt die Grundzüge eines neuen autokratischen Zeitalters. Selbstherrliche Führungsfiguren versuchen, die politische Gewaltenteilung sofern noch vorhanden auszuhebeln. Die Kontrolle des Staates schreitet voran. All dies ist Lichtjahre entfernt von der Freiheits- und Demokratie-Euphorie Anfang der 90er- Jahre.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
BILDER DER WOCHE
Foto:
Nahaufnahme: Neue Ära der Autokraten