Freie Fahrt für Privat-Investitionen im Straßenbau
Mit 650.000 Kilometern verfügt die Bundesrepublik über das dichteste und am stärksten frequentierte Verkehrsnetz Europas. Kein Wunder, liegt sie doch in der Mitte Europas mit neun Anrainerstaaten und ist die Verkehrsdrehscheibe Europas.
Im Gegensatz zu seiner Bedeutung fällt Deutschlands Straßennetz in seiner baulichen Substanz im internationalen Vergleich aber immer weiter zurück. Dies zeigt ein 2016 veröffentlichtes Ranking des Weltwirtschafts-Forums zur Wettbewerbsfähigkeit. Lag die Qualität der deutschen Straßen 2008 mit Platz vier noch in der Spitzengruppe in der Welt, reichte es 2016 nur noch zu Platz 16. 36 Milliarden Euro Investitionsrückstau bei kommunalen Straßen und Verkehrswegen hat das KfW-Kommunalpanel ermittelt.
Deutschlands Fernstraßenbrücken bröseln, der Zustand der gut 39.550 Brücken und 51.400 Brückenabschnitte auf Autobahnen und Bundesstraßen ist bedenklich. Rund 12.000 Brückenabschnitte haben nur noch die Note ausreichend. Insgesamt müssen nach Expertenmeinung rund 3,8 Millionen Quadratmeter dringend repariert werden. Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums befinden sich derzeit rund 2.550 Brückenabschnitte in einem mangelhaften oder gar ungenügenden Zustand.
Das Problem des "Fahrens auf Verschleiß" bei der bundesdeutschen Infrastruktur wurde zwischenzeitlich zwar erkannt, aber noch nicht gebannt. Zwar hat das Bundesverkehrsministerium inzwischen eine Investitionswende bei den Fernstraßen angekündigt, das reicht aber nicht. Auch die Länder und Kommunen müssen bei ihren Netzen folgen. Doch da fehlt schlicht das Geld, und vor allem fehlen nach zehn Jahren ununterbrochener kommunaler Sparzwänge die notwendigen behördlichen Planungs- und Umsetzungskapazitäten.
Angesichts täglich neuer Staurekorde, spektakulärer Sperrungen sanierungsreifer Brücken (etwa Schiersteiner Brücke über den Rhein bei Wiesbaden) und eines großen Modernisierungsrückstands hat der Staat erkannt, dass Planung, Finanzierung, Neu- und Ausbau und Betrieb von Autobahnen und Bundesstraßen dringend effizienter organisiert werden müssen.
Inzwischen wurden wichtige Schritte zur Behebung der Misere gemacht. Im Zuge der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs haben Bund und Länder die Zuständigkeit für Bundesfernstraßen neu geordnet. Planung, Bau und Unterhalt der Autobahnen und Bundesfernstraßen wurden vollständig dem Bund übertragen. Durch die Bündelung der Zuständigkeiten in einer Hand lassen sich Projekte schneller und effizienter umsetzen.
Dazu hat das Bundesfinanzministerium die Idee ins Spiel gebracht, Deutschlands Autobahnen und Fernstraßen in eine privatrechtliche Infrastrukturgesellschaft des Bundes zu überführen, an der sich private Investoren als Minderheitsgesellschafter beteiligen können. Künftig könnten Bundesstraßen also auch mit privaten Geldern gebaut und betrieben werden, ohne dass dabei der Bund sein Eigentum und das Mitspracherecht völlig aus der Hand geben würde.
Rein ökonomisch gesehen eine glänzende Idee: Der Bundeshaushalt wird entlastet, und es werden Mittel für andere Zwecke freigeschaufelt; das marode Straßennetz würde vermutlich deutlich schneller und effizienter auf Vordermann gebracht, Autobahnen besser, schneller und kostengünstiger gebaut und verbreitert. Auch der Anlagenotstand gerade der Versicherungsträger in Zeiten der Null-Zinspolitik könnte zugunsten besserer Erträge und Leistungen für die privaten Versicherten gemildert werden. Kurz: Die Bürger wären über eine Maut und Ähnliches nicht nur an den Kosten für das Straßennetz beteiligt, sondern auch an den Erträgen.
Der politische Widerstand gegen eine Teilprivatisierung ist aber groß, vor allem in Bayern, wenngleich unbegründet: Die bisherigen Erfahrungen beim Autobahnausbau der A8 zwischen München und Augsburg durch ein PPP-Modell (privat-public-partnership), die zum qualitativ besten Autobahnabschnitt im deutschen Netz geführt hat, sind überaus positiv. Merke: Lass die Privatwirtschaft ran, dann geht es schneller und besser auch bei öffentlichen Bauprojekten
Von Dr. Helmut Becker
"Saarlandbotschafter" Dr. Helmut Becker (73) ist Gründer und Direktor des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK). 1943 wurde der Diplom-Volkswirt und -Kaufmann in Türkismühle geboren. Er war unter anderem Chefvolkswirt bei BMW
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POLITIK
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Gefährlicher Sanierungsstau
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