Es wird Zeit, dass DFB, DFL und Vereine endlich hart durchgreifen
Die Fußball-Bundesliga boomt seit Jahren. Die Stadien sind voll, die höchste deutsche Spielklasse erzielt von Saison zu Saison Zuschauerrekord um Zuschauerrekord. Zumindest noch, denn immer häufiger zeigt der Fußball in letzter Zeit seine hässliche Seite. Und zwar in einem Maße, das nachdenklich stimmt: Angriffe auf friedliche Anhänger von RB Leipzig, darunter Frauen und Kinder, in Dortmund. Drohender Spielabbruch in Stuttgart, weil Anhänger des Karlsruher SC Feuerwerkskörper und sogenannte Bengalos auf Ordner und Spieler werfen. Chaoten in München, die Sitzschalen und Eisenstangen aus ihren Halterungen reißen und aufs Spielfeld werfen. Hunderte Fans aus Dresden, die im Militärlook durch die Straßen ziehen und dem Deutschen Fußball-Bund symbolisch den Krieg erklären. Dazu Banner mit menschenverachtenden Sprüchen nicht nur in Dortmund und übelste Beleidigungen gegenüber gegnerischen Spielern in Braunschweig und anderswo.
Von Einzeltätern ist in solchen Fällen hinterher meist verharmlosend die Rede. Dies seien keine echten Fans, hätten mit Fußball nichts am Hut. Vom Wortstamm her sind sie aber genau das Fanatiker. Besessene, die mit blindem Eifer nur ihre Sicht der Dinge sehen und danach handeln. Ohne Rücksicht auf Verluste und auf andere. Die ernsthaft glauben, die Deutungshoheit darüber zu haben, wie Fußball auszusehen habe. Die in ihrem Größenwahn meinen, ohne sie gäbe es im Stadion keine Stimmung.
Das Gegenteil ist der Fall. In vielen Stadien beschäftigt sich das Liedgut der Fanblöcke inzwischen mehr mit der Beleidigung des Gegners als mit der Anfeuerung der eigenen Mannschaft. Und was bis zu 2.500 Grad Celsius heiße Pyrotechnik und ätzende Qualmschwaden mit guter Stimmung zu tun haben, erschließt sich ohnehin nur der verschwindend kleinen Minderheit derjenigen, die sie unbedingt haben möchten. Beides braucht kein Mensch.
Hier sind die Vereine, die Deutsche Fußball Liga als deren Interessenvertretung und der Deutsche Fußball-Bund gefordert, endlich hart durchzugreifen. Jeder Dorfveranstalter geht bei seinen Konzerten gegen Unruhestifter energischer vor. Was passiert, wenn man Krawallmacher zu lange gewähren lässt, zeigen die Verhältnisse in Italien, wo die Stadien seit Jahren halbleer sind, weil normale Zuschauer insbesondere Familien daheim bleiben. Ändern Vereine und Verband bei uns nichts, wird die Politik über kurz oder lang eingreifen und die Rahmenbedingungen schaffen. Wie das gehen kann, zeigt ein Blick nach England. Dort gibt es nur noch personalisierte Tickets und eine lückenlose Kamera-überwachung. Wer im Stadion negativ auffällt, wird sofort ausfindig gemacht und erhält landesweites Stadionverbot. Seither hat die Premier League das Problem mit Chaoten im Griff. Die Stadien sind dennoch voll und dies trotz im Vergleich zu Deutschland horrenden Eintrittspreisen.
Hierzulande scheinen viele selbsternannte Traditionalisten nicht wahrhaben zu wollen, dass der Fußball sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat und sich immer rasanter wandelt. Dass Vereine nur noch so heißen, in Wirklichkeit aber längst Wirtschaftsunternehmen sind, die sich in einem milliardenschweren Markt behaupten wollen und müssen. Viele Traditionalisten träumen stattdessen noch immer den weltfremden Traum des Leitspruchs "Elf Freunde müsst ihr sein", der schon 1903 auf der Viktoria-Statue, der Vorgängerin der heutigen Meisterschale, prangte. Auffällig ist, dass die Chaoten meist im Umfeld sogenannter Traditionsvereine angesiedelt sind, also Vereinen, die bereits seit Jahrzehnten oder mehr als 100 Jahren bestehen. Allein aus dieser Tatsache heraus leiten sie ihren unsinnigen Überlegenheitsanspruch anderen Clubs und deren Anhängern gegenüber her.
Zweifelsohne darf man die immer stärker werdende Kommerzialisierung im Fußball kritisieren, und natürlich muss man viele Entwicklungen im Profifußball nicht gutheißen. Das Rad der Zeit wird aber niemand zurückdrehen. Deutschland ist keine Insel der Glückseligen. Ein Verein, der im Konzert der Großen mitgeigen möchte, muss sich zwangsläufig den internationalen Spielregeln anpassen oder sich von nationalen und erst recht internationalen Titelansprüchen verabschieden.
Wer dies als Fußballfan nicht möchte und lieber das Spiel in seiner reinsten Form bei Bratwurst und Bier erleben will, ist bei seinem Dorfverein am Sonntagnachmittag vermutlich besser aufgehoben.
Von Jörg Heinze
SPORT
picture alliance / Peter Steffen
Null Toleranz für Chaoten
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