Warum Elektroautos die saarländische Autoindustrie nur mittelbar bedrohen
Im Zeitalter der Digitalisierung und der Elektromobilität steht auch die saarländische Automobilindustrie vor einem Umbruch. Hat sie eine Zukunft? Folgt man den Verlautbarungen aller deutschen Autohersteller sowie den einschlägigen Medienberichten, so sind alle einhellig der Auffassung, dass wir als Autofahrer künftig nur noch in Auto-Robotern unterwegs sind, die als elektrisch angetriebene Computer auf vier Rädern vernetzt und völlig autonom unterwegs sind. Und die, folgt man den Marktforschern, auch nicht mehr gekauft, sondern nur noch nach Bedarf gemietet oder in Gemeinschaft genutzt werden. Das alles sei die Zukunft der Mobilität.
Vor allem die Vorstellung, ein Elektromotor trete an die Stelle des Verbrennungsmotors Diesel oder Benziner hat die Branche, vor allem die Zulieferindustrie, "unter Strom gesetzt". Fakt ist, dass bei Ersatz des heutigen Antriebs mit Verbrennungsmotoren einschließlich aller dazugehöriger Bauteile, (Kolben, Zylinder, Turbolader, Abgasanlagen, Katalysator, Getriebe und Antriebsstrang, Dichtungen, Treibstofftanks, Elektronik, Einspritzpumpen) mehr als ein Drittel der bestehenden Wertschöpfung am Automobil ersatzlos verloren gehen. Rechnet man das auf die Beschäftigtenzahl in der Autoindustrie von heute auf mehr als 800.000 Arbeitsplätze hoch, ergibt das rechnerisch einen Arbeitsplatzschwund von etwa 200.000 Beschäftigten. ZF-Chef Stefan Sommer hat kürzlich verlauten lassen, dass bei ZF von den weltweit
130.000 Beschäftigten etwa 110.000 durch den Übergang zur Elektromobilität gefährdet seien.
Der technische Fortschritt des Elektroantriebs hat also im Endergebnis einen dramatischen Arbeitsplatz- und Wertschöpfungseinbruch in der Autobranche zur Folge. Doch nicht nur für die, sondern für die gesamte Volkswirtschaft.
Vor dem Hintergrund dieser Horrorzahlen gewinnt die Frage natürlich an Brisanz, ob die Elektromobilität auch eine Bedrohung der saarländischen Automobilindustrie und damit für die gesamt Saar-Wirtschaft wäre. Droht nach der Krise in der Stahlindustrie und dem Kahlschlag im Kohlebergbau die nächste Struktur-Katastrophe für das gebeutelte Saarland? Und: Wäre mit seiner wirtschaftlichen Existenz nicht auch seine politische Existenz in Gefahr?
Fakt ist: Das Saarland würde es noch schlimmer treffen. Allein 40 Prozent der Wertschöpfung an der Saar stammen aus der Autoindustrie, mit nahezu 50.000 Beschäftigten hat die Region das höchste Verhältnis von Beschäftigten im Automobilsektor je Einwohner. Neben Autobauer Ford Saarlouis sind zahlreiche Automobilzulieferer und Ausrüster von Weltrang wie etwa Bosch, Michelin, Magna, Eberspächer, Schaeffler, Thyssen Krupp System Engineering und Thyssen Krupp Gerlach, Halberg Guss, ZF Friedrichshafen und andere im Saarland mit Werken vertreten. Hinzu kommen die vielen kleinen und mittelständischen Zulieferunternehmen mit regional breiter Streuung.
Kurzgefasst: Die saarländische Wirtschaft lebt von der Autoindustrie, und die Autoindustrie lebt vom traditionellen Antriebssystem mit Verbrennungsmotoren. Ältere Untersuchungen gehen davon aus, dass mehr als 60 Prozent aller Zulieferer-Unternehmen für dieses System arbeiten. Der Anteil an der gesamten automobilen Wertschöpfung im Saarland dürfte bei mindestens 80 Prozent liegen.
Doch die Durchsetzung der Elektromobilität, in welcher Form auch immer auf reiner Batteriebasis, als Plug-in Hybrid oder auf Basis der Brennstoffzelle wird noch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Es bliebe also Zeit zur strukturellen Anpassung. Und zum anderen ist noch völlig offen, ob nicht synthetische Kraftstoffe an die Stelle von Benzin und Diesel treten, ob der Verbrennungsmotor also bleibt, nur eben abgasfrei. Alles noch offen! Die saarländische Automobilindustrie hat also keinen Anlass, um schwarz zu sehen.
Von Helmut Becker
"Saarlandbotschafter" Dr. Helmut Becker (73) ist Gründer und Direktor des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK). 1943 wurde der Diplom-Volkswirt und -Kaufmann in Türkismühle geboren. Er war unter anderem Chefvolkswirt bei BMW.
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