Es erschien vor sieben Jahren in Frankreich, doch ist es erst im vergangenen Jahr in Deutschland verlegt worden. Damals wäre es untergegangen. Jetzt ist es hierzulande das politische Buch des Jahres 2016 weil es das Erstarken der Nationalisten, Rassisten, Rechtsradikalen in Europa erklärt, und weil diese monströse Entwicklung auch Deutschland erreicht hat. Das gilt 2017 genauso.
Der Soziologieprofessor Didier Eribon beschreibt anhand seiner Lebensgeschichte, wie es dazu kam, dass viele ehemalige Wähler der französischen Kommunisten beim europafeindlichen Front National der Marine Le Pen gelandet sind.
Eribon schont sich nicht, erklärt, wie seine Homosexualität und die Zugehörigkeit zu einer abgehängten Arbeiterklasse zweifach Scham manifestierte. Als Gymnasiast wurde er Marxist, las Sartre scheute aber jeglichen Kontakt zu jenen, um die es ging: zur Arbeiterklasse. Bei der Aufarbeitung seiner Scham kam die Erkenntnis, dass Rassismus und Homophobie auch bei der französischen Linken festzustellen gewesen waren. Er verstand nicht, warum es ihm peinlich war, Hilfsarbeiter und Putzfrau als Elternberufe anzugeben.
Den Rechtsschwenk der Linken führt er auf das Versagen der Linken zurück. Die Linke trage eine vernichtende Verantwortung für den fremdenfeindlichen Prozess, der in vielen Ländern Europas zu konstatieren ist.
Wer "Rückkehr nach Reims" liest, der kommt nicht daran vorbei, auf Deutschland zu schauen. Eine These: Die Regierungslinke hat sich zur neoliberalen Ideologie bekehrt. Unter dem Vorwand, Diskurse und Praktiken zu "modernisieren", hat sie linkes Denken aufgegeben. Dabei kommen natürlich Gedanken an Schröders/Steinmeiers/Fischers rot-grüne "Agenda 2010" auf, die Millionen in eine ökonomische Unsicherheit getrieben hat.
Eribons Lebenslauf und Reflexionen regen dazu an, über eine Linke nachzudenken, die sich neu erfinden muss als demokratisch notwendiger Widerstand.
Günther Wettlaufer