Anfang Oktober ist es soweit: Dann wird die frisch sanierte Staatsoper Unter den Linden eröffnet nach weitaus längeren, wesentlich teureren Bauarbeiten als ursprünglich vorgesehen. Ins Ausweichquartier Schillertheater ziehen die Kudamm-Bühnen.
Der 14. Juli war für viele Berliner Musiktheaterfans ein ganz besonderes Datum. An dem Freitag nämlich ging im Schillertheater an der Bismarckstraße die letzte Staatsopern-Aufführung der Spielzeit 2016/17 über die Bühne. Gleichzeitig die allerletzte in dieser Ersatzspielstätte für die seit sieben Jahren dauersanierte Staatsoper Unter den Linden.
20 Millionen Euro hatte der Berliner Senat 2010 locker gemacht, um das nach langem Leerstand reichlich heruntergekommene Schillertheater aufzumöbeln. Nicht wenige sahen das als eine Art Wiedergutmachung schließlich war das Theater 1993 angesichts leerer Hauptstadtkassen in einer Hauruck-Aktion geschlossen worden.
Das jetzt zum Staatsopern-Ausweichquartier aufpolierte Schillertheater wurde anfangs schon wegen der Nähe zur Deutschen Oper mit Skepsis betrachtet. Die aber erwies sich schnell als unbegründet. Unter der Leitung von Intendant Jürgen Flimm und Generalmusikdirektor Daniel Barenboim wurde eine Auslastung von über 80, in der gerade beendeten Saison sogar von 90 Prozent erreicht. In den vergangenen sieben Jahren kamen rund 1,3 Millionen Besucher ins Schillertheater, um hier große Oper, Ballett und zeitgenössisches Tanztheater zu erleben.
So begeisterten Anna Netrebko und Plácido Domingo 2013 in Verdis "Il Trovatore" in der Regie von Philipp Stölzl. Choreografin Sasha Waltz beeindruckte mit "Dido & Aeneas und "Sacre du Printemps" und inszenierte Wagners "Tannhäuser". 2015 sang Domingo hier den Macbeth und Jürgen Flimm zauberte eine quicklebendige "Hochzeit des Figaro". 2016 machte Evelyn Herlitzius die "Elektra" von Richard Strauss zum Ereignis. Last but not least waren Bizets "Perlenfischer" im Juni und Juli 2017 schon Monate vorher ausverkauft. Und das obwohl die Akustik des 1906 als Sprechbühne erbauten Hauses bestimmt nicht optimal für Musiktheater war.
Das in den 50er-Jahren wiederaufgebaute Theaterhaus soll aber jetzt nach dem Auszug der Staatsoper nicht lange leer stehen. Ab Herbst 2018 werden die Kudamm-Bühnen (Komödie und Theater am Kurfürstendamm), deren denkmalgeschützte Häuser einer Umgestaltung des Kudamm-Karrees durch den Investor Cells Bauwelt weichen müssen, hier spielen. Und zwar so lange, bis ihr Domizil im Keller der neuen Mall fertig ist.
Opernfans hingegen können ab Oktober wieder zu ihrem Stammhaus Unter den Linden pilgern. Am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, wird die Staatsoper wieder eröffnet, genau sieben Jahre nach der ersten Vorstellung im Schillertheater. Das allerdings nur peu à peu, mit vierjähriger Verspätung und nach einem Anstieg der Kosten von anfänglich 235 Millionen auf mehr als 400 Millionen Euro. Die genauen Zahlen stehen noch aus. Wären sie bereits vor Beginn der Arbeiten realistisch geschätzt und öffentlich genannt worden, so hätte es wohl keine Genehmigung für ein solch aufwendiges Vorhaben gegeben. Vor allem Sonderwünsche haben das Projekt im Nachhinein weitaus teurer gemacht als geplant und für die deutlich längere Bauzeit gesorgt.
Zu den Herausforderungen des Baus gehörte beispielsweise der Bau eines Tunnels zum Transport der Kulissen von der Intendanz direkt in die Oper. Der hohe Grundwasserspiegel den Planern eigentlich bekannt führte zu erheblichen Komplikationen. Wie man mit diesen Herausforderungen umging, schilderte Architekt Lutz Schütter bei einer Baustellenbesichtigung Ende Juli. Für sein auf Umbau und Erweiterung historischer Gebäude spezialisiertes Architekturbüro HG Merz war die Opernsanierung noch einmal ein gänzlich neues Betätigungsfeld.
"Das größte Problem war die Abdichtung, denn das Bauwerk steht zehn Meter tief im Grundwasser und durch Fugen kam immer wieder Wasser hinein", sagt Schütter. Also habe man einen großen Blechbehälter gebaut, einen wasserlosen "Swimmingpool", in dem jetzt die ganze Bühnentechnik und die Unter-Maschinerie Platz finden. Umfangreich seien auch die Anforderungen durch den Denkmalschutz gewesen. Manches ließ sich vor Ort restaurieren, anderes nicht. Somit sei "das ganze Raumprogramm eine Zentimeterarbeit, ganz viel Technik ist eingebaut", so der Architekt.
1743 war die Königliche Hofoper von Georg Wenzelslaus von Knobelsdorff im Auftrag von Friedrich II. erbaut worden im Stil des berühmten Renaissance-Architekten Andrea Palladio. Sieben Umbauten erlebte das Haus in seiner Geschichte nach Bränden und Kriegsschäden. Anfang der 50er erhielt DDR-Architekt Richard Paulick den Auftrag, den zerstörten Saal im Sinne Knobelsdorffs neu zu errichten. Das sozialistische Regime wollte mit diesem Kulturdenkmal an das Erbe Preußens anschließen. Paulick wählte zwar eine abgespeckte Form, dennoch war bei seinem Bauvorhaben der schöne Schein offenbar wichtiger als die Akustik.
Parallelen zeigen sich im Vorfeld der jetzigen Sanierung auf. Der schon genehmigte moderne Innenausbau mit perfekter Technik wurde nach Protesten von Sponsoren und zahlreicher Opernfreude verworfen. Es blieb also beim so Kritiker DDR-Rokoko.
Opernsaal-Decke um fünf Meter angehoben
Wie aber eine verbesserte Akustik erreichen, vor allem die notwendige Nachhallverbesserung von 1,1 auf 1,6 Sekunden? Dazu wurde die Decke des Opernsaals um fünf Meter angehoben, was den im dritten Rang Sitzenden deutlich mehr Luft verschafft. Das Raumvolumen erhöht sich durch die Baumaßnahme von 6.500 auf 9.500 Kubikmeter, ohne dass es von außen wahrnehmbar ist, denn bei dem denkmalgeschützten Bauwerk müssen die vorherigen Außenmaße erhalten bleiben.
Auch drinnen geht es um eine Optimierung des Klangs. Beispielsweise mithilfe der 1.356 neuen Sessel. Die schlucken aufgrund der gewählten Textilien auch weit weniger den Schall als die bisherigen. Und darauf kommt es an. Bei der aufwendigen Wandbespannung, gefertigt von der renommierten Wiener Spezialfirma Heinrich Hetzer, wurde deswegen die übliche Unterpolsterung durch eine Folie ersetzt.
Bis zur feierlichen Eröffnung Anfang Oktober gibt es ganz offensichtlich noch reichlich zu tun. Dann aber wird das Opernhaus mit einer Neuproduktion in Betrieb genommen. Unter dem Titel "Zum Augenblicke sagen: Verweile doch!" stehen dabei Roman Trekel, Elsa Dreisig und René Pape in Robert Schumanns "Szenen aus Goethes Faust" auf der Bühne.
Bereits in den Tagen zuvor gibt es ein "Housewarming" die Staatsoper nennt das stilecht "Präludium" mit mehreren Konzerten und einer Werkseinführung. Und als Höhepunkt mit dem gratis Open-Air-Konzert "Staatsoper für alle" am 30. September auf dem Bebelplatz. Im Dezember gehts dann richtig und traditionsgetreu los. Insgesamt acht Premieren werden in der Spielzeit 2017/18 geboten, darunter als Highlights Richard Wagners "Tristan und Isolde" mit Andreas Schager und Anja Kampe in den Titelrollen sowie "Macbeth" mit Plácido Domingo und Anna Netrebko. Anders als früher soll das so aufwendig sanierte Haus auch verstärkt für Konzerte genutzt werden. Beispielsweise für das Silvesterkonzert Beethovens "9. Sinfonie" also erklingt zum Abschluss dieses Jahres in der Staatsoper und nicht in der Berliner Philharmonie.