Reinhard Klimmt (75) einstmals Ministerpräsident des Saarlandes und Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ist in seiner Karriere, sei es als Politiker oder als Publizist, des Öfteren Michael Naumann (75) einstmals Kulturstaatsminister begegnet. Er erinnert sich und beschreibt seinen Leseeindruck von "Glück gehabt", den Lebenserinnerungen des Michael Naumann.
Am 8. September 1998, einem Dienstag, pünktlich um 11 Uhr, erschien ein aufgeräumter und fröhlicher Michael Naumann in meinem Landtagsbüro. Der designierte Kulturstaatsminister damals war noch vom Kulturbeauftragten der Bundesregierung die Rede bereiste die Republik, präsentierte sich der ihn tragenden Partei, sammelte Anregungen und Material für seine zukünftige Aufgabe.
Meine Wunschliste war kurz. Ich hatte mir vorgenommen, nicht zu bescheiden zu sein, aber auch nicht zu übertreiben. Wir fuhren nach Wadgassen zum Hofhaus der Alten Abtei, anschließend nach Völklingen in das weitläufige Areal des Weltkulturerbes. Wir nahmen uns Zeit. Was er sah, gefiel ihm ausnehmend gut. Beim Essen fasste ich zusammen: "Falls wir gewinnen, hätte ich gerne dauerhaft nicht nur für ein Jahr zwei Millionen für ein Druckmuseum in Wadgassen und fünf Millionen für die Völklinger Hütte." Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Der zukünftige Entscheider zuckte mit keiner Wimper und sagte: "Du machst Wadgassen selber und ich übernehme dann statt fünf sieben Millionen für das Weltkulturerbe." Dann kehrten wir zu unserem Lieblingsthema zurück, zu den Büchern. Der ehemalige Verlagschef von Rowohlt hatte zuvor kleine Entzückenslaute ausgestoßen, als ich ihm in meinem Büro die kompletten 30 Zeitungsromane des Rowohlt-Verlags aus der Nachkriegszeit vorgelegt hatte. Ja, die Bücher, sie haben uns seither immer wieder zusammengeführt, mehr als die politischen Gelegenheiten.
Das war ein gut gelauntes Pläneschmieden vor knapp 20 Jahren. Es folgten turbulente Zeiten für ihn und für mich. Aber: Das Druckmuseum ist als Zeitungsmuseum realisiert, die alte Völklinger Hütte, längst ein Leuchtturm der Industriekultur, wird dank des Einsatzes der Saarländer in Berlin, ganz gleich welcher Couleur, immer noch finanziell unterstützt.
Michael Naumann und ich gehören der Kriegsgeneration an, wenige Monate auseinander, und kommen unweigerlich in die Jahre. Viele von uns ziehen jetzt Bilanz, so auch Naumann; und er hat viel zu bieten: Journalist, Verleger, Politiker, Kulturmanager.... Ich mache mich über sein Buch "Glück gehabt" her, bei Hoffmann und Campe erschienen. Statt in Etappen einzelne Kapitel zu verdauen, wird es ein zugleich vergnüglicher und lehrreicher Sonntag.
Das Wichtigste zuerst: Der Mann kann schreiben und er weiß seine Themen aufzubereiten, verbindet mit souveräner Leichtigkeit Anekdoten mit Einsichten und Reflektionen. Die Kapitel sind kurz und prägnant, man kann nicht aufhören, Spannung und Neugier treiben einen durch die 403 Seiten.
"Ich glitt sukzessive in die Politik"
Vieles kommt mir bekannt vor: Im Krieg auf die Welt gekommen. Das Spielen mit Munition und Kriegsgerät, aufwachsen ohne Fernsehen, ohne Waschmaschine und Geschirrspüler, ohne Bad. Er wurde freitags in der Bütt gebadet, ich samstags. In der Schule keine Mathegenies, Neugier auf das Leben, Reiselust ihn zog es auf einen anderen Kontinent, mich nach Frankreich, und wir beide hatten eine kleine Love-Story mit einer Schwedin, aus der nichts wurde.
Uns beide beseelte der gleiche Berufswunsch: Wir wollten Journalisten werden, möglichst im Feuilleton. Das Studium von der Friedrich Ebert-Stiftung unterstützt war darauf ausgerichtet. Da war aber noch mehr: Die Republik wandelte sich und die Studierenden beanspruchten ein allgemeinpolitisches Mandat: für ein selbstbestimmtes Leben, für Bildungsreform, für Aufarbeitung der verdrängten Nazi-Epoche, gegen atomare Bewaffnung und gegen die Notstandsgesetzgebung. Wir agitierten und demonstrierten mit, er in München, ich in Saarbrücken, beide im Sozialdemokratischen Hochschulbund, kurz SHB, beide im Studentenparlament.
Als Auto den 2CV, ein Wunderwerk technischer Einfachheit, noch heute mein Gefährt vielleicht auch der Versuch, die Treueschwüre und die Grundüberzeugungen der jungen Jahre wenigstens mit diesem Symbol in die Gegenwart zu retten.
Ich glitt sukzessive in die Politik, Naumann entschied sich für den Journalismus, wurde zum gefeierten Autor, Kritiker und erfolgreichen Verlagsmanager. Stationen waren der "Münchner Merkur", "Die Zeit", weiter als deren Auslandskorrespondent in Washington. Und dann bis 1985 die Leitung des Auslandsressorts beim Spiegel. Danach die Phase als Verlagsleiter bei Rowohlt, strotzend vor innovativen und erfolgreichen Reihen und großartigen Autoren und mit einem verdoppelten Umsatz.
Im Zuge der Bundestagswahl 1998 kreuzten sich unsere Wege. Gerhard Schröder hatte Naumann damals in New York für Holtzbrinck tätig in sein Schattenkabinett berufen. 1999 folgte ich ihm unverhofft, eher unfreiwillig, an den Kabinettstisch. Meine Zeit war kurz bemessen, aber auch er ging bald, um als Herausgeber und "Die Zeit" -Chefredakteur den glücklosen Robert Leicht der mit mir in der Saarbrücker Studentenzeitung "Speculum" zusammengearbeitet hatte abzulösen. Ich abonnierte wieder "Die Zeit" und begann meinen dritten Lebensabschnitt als Publizist. Naumann talkte im RBB, gab das "Kursbuch" heraus und später mit Klaus Harpprecht "Die Andere Bibliothek".
Als Publizist mehr bewegen als Politiker
Verwunderlich war es nicht, dass er so schnell den Ausflug in die Politik beendete und die Rückkehr in die journalistischen Biotope vorzog. Da gibt es diesen Unterschied zwischen den politischen Seiteneinsteigern und den gelernten Profis. Olaf Scholz, Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Kurt Beck: von Jugend auf mit den Riten und Konstellationen in der Politik vertraut, in Positionskämpfen bei den Jusos, in den Ortsvereinen gehärtet, der Politik verschrieben, von der unsäglichen "Kärrnerarbeit" nicht abgeschreckt, die Partei als Träger von Ideen und Karrieren verinnerlicht. Auf der anderen Seite die Intellektuellen, die Sympathisanten, die sehr bald spüren, dass sie als Publizisten oftmals mehr bewegen können als jene, die auf der politischen Bühne die Hauptdarsteller sind.
Aber Naumann ließ nichts aus. 2007 brauchte die darniederliegende SPD in Hamburg für die Bürgerschaftswahl ein honoriges Gesicht. Scholz konnte ihn bewegen, Spitzenkandidat zu werden. Er verlor "honorig" die Partei zeigte sich nicht besonders dankbar. "Die Halbwertszeit eines unterlegenen Kandidaten im Parteileben ist kürzer als ein TV-Werbespot für Apfelsinensaft", ist auf Seite 376 zu lesen.
Zwei Leben zu gleichen Zeiten so viele Parallelen, so viele Unterschiede. Der Politiker, den es immer wieder in die Publizistik zog und der Publizist, der von der Politik nicht lassen konnte. Unsere vorläufig letzte Begegnung hatten wir im Sommer 2016. Er zeigte mir nicht ohne Stolz die Baustelle der Barenboim-Said-Akademie er ist ein glücklicher Bauherr. Gleichzeitig muss er an dieser großen Lebensbilanz gearbeitet haben, an der Selbstvergewisserung mit dem Fazit: Glück gehabt.
Reinhard Klimmt
Info:
Michael Naumann:
Glück gehabt
ISBN: 978-3-455-00026-9
24 Euro