Die "Brasserie Lumières" in Tiergarten mit ausdrücklich französischen Wurzeln präsentiert sich mit zeitgenössisch aufgebürsteter und weiterentwickelter Traditionsküche ohne jegliches Folklore-Chichi.
Bräunliche Speisen haben es gemeinhin schwer, bei den Fotografen das Motiv fürs Starfoto zu werden zu monochrom, zu wenig Kontraste, zu fad in der Wirkung. Wird es der überragenden Zwiebelsuppe aus der "Brasserie Lumières" gelingen, diese hohe Hürde zu überwinden? Der geschmacklichen und, ja, sogar der optischen Eleganz wegen, hat es die in ihre Einzelbestandteile zerlegte und neu zusammengesetzte "Soupe à loignon" allemal verdient. Ein Klecks Gemüsezwiebel-Püree hockt in der Mitte der weißen Suppenschale. Leicht angeschmorte Ringe von rosafarbenen Roscoff-Zwiebeln reichern die Paste mit farblichen wie geschmacklichen Akzenten an. Die gerösteten Zwiebeln locken duftend, es folgt das Show-Gießen durch Küchenchef Maximilian Müller höchstpersönlich. Die heiße, hellbraune Flüssigkeit umschmeichelt Paste und Ringe.
"Die Zwiebeln werden im Ganzen im Ofen gegart und anschließend aus der Schale gepresst", sagt er. "Den Ansatz kochen wir aus Hühnerkarkassen. Zum Schluss kommt ordentlich Butter in die Suppe, das bringt die Wirkung." Was bleibt noch zu sagen, zu einer so vollzwiebligen, weichen Suppe? Dass sie so gar nichts mit den groben Verwandten mit ihren dick mit Käse überbackenen Brotscheiben zu tun hat? Dass die selbstgebackene Brioche mit Gruyière die röstige Süße der Suppe aufnimmt und in bissiger Konsistenz zurückspielt? Die Gerichte auf der Karte sind wiewohl voll mit französischer Klassik sehr jetztzeitig auseinandergenommen und in der Handschrift des Küchenchefs neu zusammengesetzt. "Maximilian macht Essen für die Seele", sagt Roland Kretschmer, Inhaber und Geschäftsführer der "Brasserie Lumières".
Er ist ebenfalls Besitzer der französischen Weinhandlung "Les Climats" gleich um die Ecke, in der Pohlstraße. Mit dem 28-jährigen Müller konnte er den vormaligen Küchenchef vom "Trois Minutes" für sein erstes Restaurant gewinnen, das am 1. Oktober 2016 eröffnete. Auf der Karte finden sich die von Müller weiterentwickelten "Standards" der Brasserie-Küche wieder. Etwa "Escargots": Die Schnecken verstecken sich in Markknochen-Abschnitten, werden vom Mark getoppt und von Knoblauchbutter und Salzbröseln umflossen. Wohl denjenigen, die mit dem Aufstippen der Butter mit den selbstgebackenen Broten aufhören können! Wir haben schließlich ebenfalls ein fein gehacktes "Steak Tatar" mit einem in Sojasauce gebeizten Eigelb, Saiblingskaviar und Lauchmayonnaise zu verspeisen. Die Vorspeisen für neun bis 12,50 Euro erfreuen uns an einem gut besuchten Dienstag. Die lange, mit grünem Leder bezogene Bank ist bereits am frühen Abend besetzt.
Die Tageskarte ist flexibler, spielt mit den Jahreszeiten und deren Produkten. Wie es sich für eine Brasserie gehört, trägt Pascal Jacquot vom Service die große, mit Kreide beschriftete Tafel an unseren Tisch. Wir entscheiden uns fürs Salzwiesenlamm mit Beluga-Linsen, Rote Bete und Löwenzahn für 25 Euro. Ein vorzüglich mit Wacholder-Gebüsch medium gebratenes Filet wird uns in einer gusseisernen Pfanne gereicht. Einige Krümel Fleur de Sel obenauf nehmen die leichte Salznote vom Fleisch auf. Die Lämmer führen einen Hauch Salz der meeresnahen Wiesen, auf denen sie aufwuchsen, bereits im Fleisch mit sich. Es ist im "Kau-Gefühl" mürbe und fest zugleich. Den Teller mit dem geschmorten Löwenzahn, der Roten Bete und den Beluga-Linsen wünsche ich mir als Einzelgericht jedes Gemüse bleibt für sich präsent.
Wir trinken auf der weißen Seite einen Sauvignon Blanc "Aubaines de Goupil" vom Chateau Monluc aus der Gascogne dazu, der nicht nur mit stilisiertem Fuchslogo auf dem Etikett überzeugt. Vielmehr schickt er uns einige fruchtige und spritzige flüssige Spitzen schon zu den Vorspeisen. "Mein Job ist es, euch betrunken zu machen", hatte uns Pascal Jacquot bei der Weinauswahl mit französischem Akzent zugeflötet. Wir lachen, warnen, dass womöglich kein ordentlicher Artikel mehr folgen könnte und freuen uns über die Umsicht des Service-Teams. Pascal bringt Orientierung in den Wein-Dschungel. Denn meine unvorsichtige Frage zu den bevorzugten Weinen an Roland Kretschmer hatte eine Vielzahl von Empfehlungen des Kenners hervorgebracht, nach denen mir der Kopf schwirrte. "Sie müssen unbedingt den Mas de Libian, einen ungeschwefelten Roten, probieren", sagt Kretschmer. Seine Liebe zu den Gewächsen aus der Bourgogne spiegelt sich in der Weinkarte wider, in der bei den Weißen wie bei den Roten der bevorzugten Region jeweils eine eigene Rubrik gewidmet ist.
Die Flaschenweine beginnen bei gastfreundlichen 15 bis 25 Euro zum Eintrinken, viele liegen im Bereich von um die 48 Euro. Nach oben ist bei 95 Euro für einen 2013er Corton Grand Cru Schluss. Tatsächlich erhalten wir ein Glas vom "Mas de Libian La Calade", einem kräftigen 2013er Côtes du Rhônes Village, der an diesem Tag unter "Lieblingswein" läuft. Damit lädt Roland Kretschmer die Gäste dazu ein, sich für 5,50 Euro im 0,1er-Glas überraschen zu lassen: "Das sind Weine, die ich entdeckt habe und die wir spontan variieren können. So können wir auch gut auf die Gerichte auf der Tageskarte reagieren." Der kräftige, dunkelbeerige, biodynamisch hergestellte "Mas de Libian" verträgt sich mit dem Tageskarten-Lamm sowie mit Steak und Pommes Allumettes von der "Dauer-Karte" bestens.
Die Tageskarte spielt
mit den Jahreszeiten
Wir halten uns ein bisschen die Bäuche, strecken uns auf unserem Platz an der Fensterfront aus und schauen in den langen Raum hinein. Der Blick lohnt, denn die Kunst liegt in der "Brasserie Lumières" nicht nur verzehrfertig auf dem Teller, sondern ist überall zu finden. Hingucker sind die geschwungenen Leuchten, die beinah jungendstilartig aus den Wänden herauswachsen. "Sie sind Teile eines Leuchters aus dem Zeughaus von Fritz Kühn", erklärt Roland Kretschmer. Teile davon wurden bei den Deckenleuchtern mit neueren Elementen kombiniert. Um die Wandleuchten herum sind Reproduktionen von Radierungen von Charles Lebrun aus dem 17. Jahrhundert gehängt. Sie zeigen menschliche Gesichter, die Emotionen widerspiegeln, und tragen Namen wie "Das Lächeln", "Der Zorn" und "Die Bewunderung mit Erstaunen". Die Epoche der Aufklärung für die der Begriff "Lumières" im Französischen steht ist damit an den Wänden präsent. Ebenso wie das "Licht" und das "Leuchten", die das Lokal aus ebenso gutem Grund im Namen trägt.
Schöne Details bei der Einrichtung
Die "Brasserie Lumières" passt sich mit ihren vielen Details aus unterschiedlichen Epochen jedenfalls bestens ins Galerien-Umfeld an der Potsdamer Straße ein. Uns entzücken zudem die dunklen 60er-Jahre-Holzstühle mit ihren mit Korb-Imitat bedruckten Stuhlkissen
Originale aus einer aufgelösten Gastronomie in Amsterdam, die Kretschmer erwerben konnte. Man kennt und schätzt einander an der Potsdamer Straße. "Die Galerie Wentrup gegenüber vertritt Olaf Metzel. Ich habe gefragt, ob er nicht Lust hätte, für uns den Schriftzug zu entwerfen", sagt Kretschmer. Nun trägt das Signet der Brasserie aus rot pulsierendem Leuchtgas in Glasröhren die Handschrift des Berliner Bildhauers.
Wir erfreuen uns an diesen schönen Details mit den Sinnen, die uns parallel zu einem "Cassoulet" gerade noch zur Verfügung stehen. Eine gebratene Riesengarnele streckt uns auf dem Teller ihren Allerwertesten entgegen. Das helle Eintopfgericht mit Seeteufel, Bohnen und Safran gibt sich in schaumiger Sauce leicht und frisch. Ein warmer mediterraner Wind weht uns beim Verspeisen an. Das Versteckspiel von intensivem Gehalt in leichtem Gewand beherrschen die Gerichte allesamt, so auch die "Choucroute". "Das muss man in so einem deftigen Gericht wie Sauerkraut mit Blutwurst und Schweinebauch erst mal hinbekommen", sagt die Begleiterin. Wer den gerösteten Kohl mit gebratenen Pilzen und der extra-pfiffigen geräucherten Crème fraîche lieber in der vegetarischen Ausgabe verspeisen möchte, bestellt die um Fleisch und Wurst "abmontierte" Version für 15,50 Euro anstelle von 21,90 Euro. Versteht sich, dass wir gern mit einem Klassiker der französischen Desserts nach einem Abend voller Genüsse und Gespräche Abschied nehmen.
"Jetzt müsst ihr aber noch eine kleine Crème Brûlée mit Tonkabohnen probieren", gemahnt uns Pascal Jacquot an unsere Gastpflichten. Eine Brombeere für die Begleitung, eine Himbeere für mich, die Fotografin nascht ein pures Löffelchen von der mit Zuckerkruste "gebrannten" Creme wir lassen es mit einer Portion für 6,50 Euro und für uns drei nach dem ergiebigen Mahl gern bewenden. Acht Monate nach ihrem Start hat sich die "Brasserie Lumières" mit ihrer kulinarischen und künstlerischen Handschrift bestens in die wiederauferstandene Potsdamer Straße mit ihren Galerien, Bonvivants und vielen neuen Restaurants unterschiedlichster Couleur eingefügt mit französischen Wurzeln und mit zeitgenössisch aufgebürsteter und weiterentwickelter Traditionsküche ohne jegliches Folklore-Chichi.
Ute Schirmack ist Journalistin, Autorin und Erforscherin großstädtischer Lebensräume. Diese Lebensräume sind unter anderem die Restaurants, Cafés und Bars in Berlin, die sie nun auch mit Stift und Papier genüsslich erkundet.
INFO:
Brasserie Lumières
Potsdamer Straße 102
10785 Berlin-Tiergarten
Telefon 030-52101365
www.brasserielumieres.com
Öffnungszeiten:
Petit déjeuner, Sa. und So. 10 bis 16 Uhr, Plat du jour, Mo. bis Fr. 11.30 bis 16 Uhr, Abendkarte
Mo. bis So. 18 bis 23 Uhr