Jennifer Mulinde-Schmid ist ein Multitalent. Die Schweizerin mit afrikanischen Wurzeln überzeugt nicht nur als Schauspielerin und Kabarettistin, sondern verwöhnt ihre Gäste in ihrem Restaurant "Schwarze Heidi" auch mit Klassikern der Schweizer Küche.
Glück gehabt! Niemand, der in der "Schwarzen Heidi" seinen Brotwürfel im Käsefondue verliert, wird im Feuerwehrbrunnen am Mariannenplatz versenkt oder nachts durch den Görlitzer Park gescheucht. Rabiate Verliererbräuche beim Essen des Nationalgerichts wie im bekannten Comic "Asterix bei den Schweizern" sind in dem Kreuzberger Lokal nicht zu befürchten. Vielmehr ist das Restaurant wegen seiner entspannten Grundhaltung, seiner klassischen und modernisierten Schweizer Küche beliebt. Nicht zuletzt wegen des Käsefondues scheuen die Berliner keine Wege und keine Jahreszeit, wie Köchin Theresa Langschwager beobachtete. "Ich habe schon Gäste an Hochsommer-Abenden draußen ihr Fondue bestellen sehen."
Versteht sich, dass auch wir an einem kühleren Vorfrühlingsabend ein Fondue bekommen. "Ihr müsst das mit Trüffeln probieren, das ist edel und lecker", bestellt Jennifer Mulinde-Schmid für uns. Die "Hausmischung" aus Appenzeller, Bergkäse und Emmentaler Käse ist mild genug, um dem weißen Trüffel seinen Raum zum Aroma-Verströmen zu lassen. Weißwein und Kirschwasser finden ebenso ihren Platz im "Caquelon", dem typischen Keramik-Fonduetopf. Die Besitzerin und Namensgeberin der "Schwarzen Heidi" empfiehlt beim Extraglas Kirschwasser: "Alle fünf, sechs Bissen das Brot erst ins Kirschwasser dippen, danach in den Käse." Das soll das Fondue bekömmlicher machen.
Möglicherweise ist dieser Brauch aber nur etwas für trainierte Helvetier. Wir bleiben lieber bei der Komponenten-Trennung: Schnaps zum Trinken, Käse zum Essen. Sprittige Brotwürfel würden die feinen Käse-Trüffel-Aromen erschlagen. Darum wäre es wirklich schade. "Nur die kleinste Version bitte!", hatten die Begleitung, der Fotograf und ich erbeten. Also die für zwei Personen und für 22 Euro pro Nase. Brot, Salat, Mixed Pickles und Kirschwasser-Gläschen inklusive. Es endet dennoch so, wie es immer endet: Wir kratzen den Fonduetopf restlos leer und halten uns anschließend die Bäuche.
Das kann fix passieren. "Die Schweizer Küche ist eine ehrliche Küche", sagt Köchin Theresa. "Du siehst, was du bekommst." Ordentlich Käse, in tellergroße Röschti verwandelte Kartoffeln mit unterschiedlichen Beigaben oder selbt gemachte Spätzli. Sie ist zudem eine langsame Küche ein bis zwei Stunden Kartoffelschälen und Reiben sind jeden Tag im vierköpfigen Küchenteam eingeplant. Auch wenn die Traditionen in der "Schwarzen Heidi" zum Liebhaben einladen und gern gepflegt werden, ist die Küche keineswegs museal. Die kleinen Röschti-Taler, die wir mit einer Tapenade aus schwarzen Oliven sowie mit Avocado-Creme als Vorspeise zu uns nehmen, schmecken geradezu mediterran. Das Hack aus schwarzen Oliven hält den soliden Kartoffeln stand. Was schmeckt so leicht fruchtig-süßlich durch? Selbst gemachtes Pflaumenmus ist der unaufdringliche Geschmacksbooster, wie uns Theresa verrät. Passt bestens und möchte so unbedingt ein anderes Mal auch in der Großausgabe als Hauptgericht gegessen werden. Oh, es steht so gar nicht auf der Karte? Macht nichts. Die anderen Röschti-Varianten mit Käse, Speck, Gemüse oder Kalbsbratwurst hören sich nicht minder verheißungsvoll an. Sie werden für neun bis 22 Euro serviert, ein kleiner bunter Salat gehört immer dazu.
Eine moderne, weiterentwickelte Schweizer Küche sollte sich auf der Karte präsentieren. Darauf legte Jennifer Mulinde-Schmid Wert, als sie im Herbst 2016 die vormalige "Helvetia Röschti-Bar" endgültig übernahm: "Ich bin eine moderne Schweizerin, so soll auch unsere Küche sein." Eleganter, variantenreich und freigeistig geht es seither auf den Tellern und Schieferplatten zu: Die Toblerone-Mousse wird mit Engelshaar-Fäden aus Karamell und frischen Früchten aufgepeppt. Die Röschti werden auch in die süße deutsche Reibekuchen-Richtung interpretiert und mit Apfelmus serviert. Jennifer und Theresa entwickelten außerdem je eine vegane Variante: die Gärta-Röschti mit Gemüse und Kräutercreme bei den Hauptgerichten und die Röschti mit Oliven-Tapenade bei den Vorspeisen. Jennifer wünschte sich nicht zuletzt für sich selbst "ich esse selbst jeden Tag hier" ein wenig süßes, raffinade-zuckerfreies Dessert. Das Resultat: ein Vanille-Grießflammerie mit Granité und Crumble vom Granny Smith-Apfel für acht Euro. Kein "ohne was"-Gericht, sondern die Spielart, die die Begleitung gleich zu beglückten Ausrufen verleitet: "Genau meins. Nicht so süß, frisch, schön säuerlich und fruchtig." Vor allem die zartgrünen Apfel-Granité-Scheiben legen sich mit Leichtigkeit über die Flammerie-Schlange und auf unsere Zungen. Der Granny Smith wird mit Raspeln und dem Crumble dazu abwechslungsreich und in vielen Texturen fürs gute Mundgefühl zu Ende gespielt.
Gastronomin mit Schweizer Filmpreis
Als bekennender Süßschnabel sind die Toblerone-Mousse-Nocken mit frischen Früchten genau mein Ding ein weiterer Klassiker der Eidgenossen. Schauspielerin und Stand-up-Comedian Jennifer nahm sich der Schokolade an, um die wahre Entstehungsgeschichte der "Schwarzen Heidi" zu erzählen und wie sie heute noch in einem Video auf Youtube dokumentiert ist. Wie einst Obelix in seinen Zaubertrank-Kessel sei Heidi in einen Schokotopf hineingefallen. Sie habe sich am Rand festgeklammert, um nicht unterzugehen. Sie habe sich von selbst wieder hochgezogen und sei als schwarzes Schweizer Mädchen aus dem Topf herausgeklettert.
Mit dem Klischee wird also schon berufsbedingt gespielt. 2007 verschlug es die Züricherin nach Berlin. 2010 erhielt sie für eine Rolle im Film "Die Standesbeamtin" den "Schweizer Filmpreis", es wurde in der "Helvetia Bar" gefeiert. "Der Wirt sagte: So jemanden wie dich bräuchten wir hier." Jennifer dachte sich: "Warum nicht?" und kellnerte einen Tag in der Woche nebenbei. Vor fünf Jahren wurde sie Chefin, übernahm das Ecklokal mit den 64 Plätzen im vergangenen Jahr endgültig. Wo, wenn nicht nach Kreuzberg, würde ein Schweizer Mädel mit afrikanischen Wurzeln und schwyzerdütschen Anklängen in der Stimme besser hinpassen?
Jennifer lacht, wenn sie mit "Heidi" angesprochen wird. Das Comedy-Alter-Ego führt eben ein Eigenleben als Wirtin in Kreuzberg. So auch auf dem neuen Logo, das Design-Studentin und Mitarbeiterin Eva Burckardt entwarf. In der "Schwarzen Heidi" wird unter dem Signet einer Helvetia mit überdimensionaler Gabel, Lockenkopf und Schweizer Kreuz auf rotem Schild diniert. Etwa Lachstatar mit Limonencreme von der Tageskarte. Darauf stehen allabendlich fünf bis sechs wechselnde Gerichte, so wie diese Vorspeise für acht Euro. Der fein gehackte Lachs verbandelt sich Bissen für Bissen mit der Zitrusfrucht und dünnen Scheibchen Roter Bete. Die Begleiterin fühlt sich aufs Angenehmste an Anderes erinnert: "Das ist ja wie Cheesecake mit Limette von der Konsistenz her." Stimmt. Ist aber glücklicherweise geschmacklich nicht so beschaffen, dass es uns nach Kuchengabeln und Schlagsahne verlangt. Es bleibt zart fischig und leicht angewurzelt im Geschmack. Vielleicht hatte die Begleiterin ein Schlückchen zu viel vom fein-prizzeligen und von Zitrusfrüchten und Waldbeeren begleiteten Mauler Rosé-Sekt genommen?
Auf den Boden holt uns eine Graubündner Spezialität zurück. "Puschlaver Pizzoccheri", eine Art Buchenweizen-"Spätzli", mit Schweizer Käse, Kartoffeln, Möhren, Spinat, Salbei und Röstzwiebeln machen gut gewürzt auf der Stelle glücklich und verweigern dem Alkohol jegliche weitere Angriffsfläche. Ein Gericht, das sich bestens zum Auffüllen der Energiereserven nach harter Arbeit, etwa nach dem Almabtrieb, eignet. Doch wir schweifen wohl ab.
Noch bevor der Fotograf den Gedanken "An welcher Kuh mag die denn hängen?" zu Ende gedacht hat, sind wir durchdrungen vom dunklen, tiefen Ton einer überdimensionalen Kuhglocke im vorderen Gastraum. "Die muss ich jetzt für euch läuten", sagt Jennifer zum Abschied und wie um ihr Motto zu untermalen: "Wir wollen, dass unsere Gäste glücklicher nach Hause gehen als sie gekommen sind." Das ist ihr gelungen.
Ute Schirmack ist Journalistin, Autorin und Erforscherin großstädtischer Lebensräume. Diese Lebensräume sind unter anderem die Restaurants, Cafés und Bars in Berlin, die sie nun auch mit Stift und Papier genüsslich erkundet.
INFO:
Schwarze Heidi
Mariannenstraße 50
10997 Berlin-Kreuzberg
Telefon 030-6115455
www.schwarzeheidi.de
Öffnungszeiten:
Mo. bis So. 17 bis 1 Uhr,
Küchenschluss eine Stunde vorher