Wer bei Österreich an Kulinarik denkt, dem kommen automatisch Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn in den Sinn. Die Küche des "Jolesch" in Kreuzberg ist zwar vor allem für ihre Schnitzel bekannt, doch das Restaurant beweist, dass die Alpenrepublik noch mehr zu bieten hat.
Achtung, Schnitzel-Contest! Tobias Janzen vom "Jolesch" serviert uns das Gericht, dessenthalben das Kreuzberger Restaurant seit Jahr und Tag in der ganzen Stadt bekannt ist: Wiener Schnitzel. Pardon, natürlich einmal ein originales Wiener Schnitzel aus Kalbfleisch und einmal ein Schnitzel "Wiener Art" vom Havelländer Apfelschwein. "Probieren Sie beide und sagen Sie mir hinterher, welches Sie lieber mögen", fordert uns der Küchenchef auf. Daran halten die Begleiterin, der Fotograf und ich uns selbstredend, schneiden mal vom sehr dünn geklopften Kalb, das sich in seiner Panade elefantenohr-artig wellt, mal vom etwas dickeren und heller goldbraun gebratenen Schweineschnitzel ab. Wir nehmen von den säuerlich abgeschmeckten Erdäpfeln sowie vom Vogerlsalat, Feldsalat auf Österreichisch, dazu. Die Abstimmung ergibt 2:1 fürs Schwein. Der Fotograf bevorzugt das krossere Kalb, die Begleiterin und ich schneiden dagegen überproportional häufig am würzigeren Schwein herum alles reine Geschmackssache.
Das "Jolesch" steht seit Jahr und Tag
für Schnitzelgenuss
Schön, dass wir uns nicht wirklich entscheiden müssen. Beide Schnitzel-Varianten stehen seit jeher auf der Karte, und das wird sich gewiss auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Das Wiener Schnitzel dieser Begriff sei der Einfachheit halber als Typbezeichnung für beide Varianten gewählt war, ist und wird wohl der ewige Klassiker sein. "Als ich vor gut sechs Jahren anfing, bestellten es 60 Prozent unserer Gäste." Tobias Janzen modernisierte die Karte sanft, splittete die Gerichte in "Österreich klassisch" und "Österreich modern" auf. Inzwischen liegt die Wiener-Schnitzel-Quote bei 40 Prozent. Ein Zeichen dafür, dass sich die Gäste ebenso gern auf Miesmuscheln mit Algen und Graupen oder auf Wildpastete mit Weinbeeren und Bachkresse einlassen wie auf Käsnudeln, Frittatensuppe und Zwiebelrostbraten. Janzen macht es ganz geschickt und reicht uns "Dreierlei Klassiker" auf einem Glasteller als Appetithäppchen. Sollten wir auf einem Event sein, für das das "Jolesch" das Catering macht, wären sie eine unbedingte Empfehlung für einen späteren Besuch im Restaurant. Ein leichter, gekochter Tafelspitz mit Apfelkren, auch Apfelmeerrettich genannt, badet in einem Schlückchen Brühe, ein Löffel Saftgulasch mit kräftig würzig eingeschmorter Sauce weckt die Lust auf mehr, und ein Stück vom Zwiebelrostbraten macht seinem Namen alle Ehre. Die großen Ausgaben davon mit Beilagen wie Semmelknödel, Fisolengemüse also Böhnchen , Erdäpfelstrudel oder Röstkartoffeln erspähen wir am Nebentisch und imaginieren sie uns für einen erneuten Besuch auf die Teller.
Ins "Jolesch" geht man üblicherweise nicht, um leichte, kleine Portiönchen zu sich zu nehmen. Die gute österreichische oder österreichisch-brandenburgische Küche spricht eine bodenständige, häufig fleischbasierte Sprache. Es steht auch immer ein vegetarisches sowie allergenfreies Gericht auf der Karte. Damit sind keineswegs nur die süßen Mehlspeisen gemeint. Derzeit sind es winterliche "Brandenburger Wurzeln" mit Reisnudeln und Sonnenblumenkernen. Mit 17 Euro liegen sie im Bereich der Klassiker-Hauptgerichte, die für 14,50 bis 18 Euro auf den Teller kommen. Besondere Gerichte wie der Heilbutt mit Blumenkohl und Süßkartoffeln oder Gänsebrust und -keule mit Rot- und Grünkohl, Kloß und Bratapfel können schon mal 26 oder 29 Euro kosten. Regionale Produkte, sei es das Wild vom "eigenen" Jäger in Fürstenberg oder Gemüse und Obst, stehen beim Küchenchef hoch im Kurs, aber "zwei Kilo Tomaten von Oma Hilde würden uns bei unserem hohen Durchlauf nichts bringen". Deswegen und wegen des besonderen Aromas reicht die Region manchmal etwas weiter bei den Äpfeln bis ins Alte Land und bei den Marillen bis in die österreichische Wachau.
Im dunkelgrün gestrichenen Hauptraum und im bistroartigeren Eingang können sich bis zu 100 Gäste niederlassen. Dann kann es im Saal ziemlich laut werden. Kleinere Gruppen mit bis zu 25 Personen finden in einem separaten Nebenraum Platz. Auch Stammgäste reservieren dort gern, nicht zuletzt wegen der ruhigeren Atmosphäre. Im Sommer bietet eine Terrasse auf dem Bürgersteig weitere 80 Plätze.
So wenig wie die österreichische Küche im Land selbst bei den Fleisch- und Mehlspeisen-Klassikern stehen geblieben ist, so wenig ist sie es auch in Kreuzberg. An der Wildpasteten-Scheibe, in ihrem Teigmantel mit einem dünnen Speckscheibchen ummantelt, gefällt uns der fleischige Biss, der sich mit confierten Weintrauben, Bachkresse-Salat und einigen Tropfen süßsäuerlichem Dressing fein ergänzt. "Das ist der Hit!", meint die Begleiterin. Das findet der Küchenchef auch, aber aus einem anderen Grund: "Eine selbstgemachte Pastete ist handwerklich sehr anspruchsvoll. Das ist gut für die jüngeren Köche im Team, die dabei so richtig was lernen." 15 Menschen sind in Küche und Service gut beschäftigt. Das "Jolesch" ist bestens besucht, eine Reservierung empfehlenswert.
Auf einem zweiten Teller erwarten uns in Weißwein gedämpfte Miesmuscheln auf schwarzen Graupen, die mit Sepia-Tinte koloriert wurden. Kurz angedünstete Seealgen und ein Weißwein-Pernod-Schaum als leichtes Gegengewicht dazu schon liegt Österreich wider Erwarten fein und schmackhaft am Meer. Der "Schaumsuppe von der Steckrübe" danken wir aus zweierlei Gründen: dafür, dass sie die etwas aus der Mode geratene dicke Rübe auf sehr überzeugende Art wieder gesellschaftsfähig macht und dafür, dass sie auf jegliche Verniedlichungsform im Namen verzichtet. Diese cremige Suppe ist einfach gemütlich, aber ohne jede Wuchtigkeit. Kürbiskernöl-Gebrösel und eine frittierte Garnele werfen sich jetztzeitig elegant mit in den Teller. Für acht bis elf Euro ist der Ausflug ins "moderne" Österreich bei den Vorspeisen überaus lohnenswert. Wir bleiben dazu beim Aperitif einem Grünen Veltliner Sekt mit Holunderblüte sowie einem Aperol Sour mit Zitronensaft und Soda.
Zum Nachtisch
einen Blumentopf
Zum Abschluss unseres Mahls will es Tobias Janzen bei den Desserts dagegen noch einmal richtig von uns wissen. Auftritt: "Unser Blumentopf!" Ein Minzbäumchen steckt in einer "Erdschicht" aus "Jolesch-Torte"-Krümeln und möchte mit Quittenessenz gedüngt werden. Wir graben das darunter versteckte Quittensorbet mit weißer Zotter-Schokolade direkt mit unseren Löffeln aus. Das ist eine leichte, kühl-fruchtige Spielerei, die sich gut macht nach dem raumgreifenden Essen. Der "Ischgler Kaiserschmarrn" wiederum eine Portion für drei, versteht sich fordert ganzen Respekt, geschmacklich wie mengenmäßig. Schön fluffig gebacken, zerpflückt und gepuderzuckert spießen wir ihn Bissen für Bissen auf. Der Schmarrn schmeckt angenehm "eierig" und macht schon ohne Zwetschgen Spaß, aber mit noch viel mehr. Er bietet sich, ebenso wie die Torten und anderen Mehlspeisen von Apfestrudel bis Marillenknödel, zu einem separaten "Kaffeehausbesuch" am Nachmittag an. Mit der eigens fürs Lokal kreierten "Jolesch-Torte" aus einem Teig mit Kürbiskernen, Kürbiskernöl und Nussnougatschicht im Schokoladenmantel hatte ich zuvor schon einmal eine Begegnung der kalorienreichen Art. Sie macht nachdrücklich klar, dass viel vom Guten viel guten Geschmack hervorbringt. Der Küchenchef sagt diplomatisch: "Da sind mehr Kalorien drin als Sie denken. Mindestens doppelt so viele." Ich vermute: dreimal so viele.
Obwohl es drei bis fünf Gänge im Menü für 36 bis 48,50 Euro gibt und die korrespondierende Weinbegleitung aus der wohlsortierten Karte für 16 bis 24 Euro dazu angeboten wird, empfiehlt sich dringend aus Kapazitätsgründen eine Trennung: Mehlspeisen und Kuchen am Nachmittag, einen "Verlängerten" oder "Einspänner" dazu alles gut. Wiener Schnitzel, Gulasch oder Zwiebelrostbraten am Abend, wahlweise mit einer leichten, "modernen" und nicht übergroßen Vorspeise ebenso gut. Aber besser nicht alles auf einmal, zumindest nicht ohne vorherige Bergwanderung. Nach einem Blick auf die große Karte mit Obstbränden lassen wir uns gern zu einem 2011er Haselnussgeist Reserve von der Brennerei Guglhof überzeugen: Wir haben uns unseren Nussbrand zum Abschluss unseres österreichischen Probiermarathons verdient.
Ute Schirmack ist Journalistin, Autorin und Erforscherin großstädtischer Lebensräume. Diese Lebensräume sind unter anderem die Restaurants, Cafés und Bars in Berlin, die sie nun auch mit Stift und Papier genüsslich erkundet.
INFO:
Jolesch
Muskauer Straße 1
10997 Berlin-Kreuzberg
Telefon 030-6123581
www.jolesch.de
Öffnungszeiten:
So. bis Fr. 12 bis 24 Uhr
Sa. 17.30 bis 24 Uhr
Küchenschluss 23 Uhr