Während Privatpatienten optimal versorgt werden, hat man als Kassenpatient das Gefühl, nur das Nötigste angeboten zu bekommen. Die Zweiklassenmedizin ist keine Fiktion, sondern eine Frage des Geldes. Für die Ärzte. Das Wohl des Patienten rückt scheinbar in den Hintergrund.
Das war schon eine gute Zeit, damals bei den Eltern privat mitversichert. In jungen Jahren stehen Arztbesuche zwar eher selten an, aber dennoch waren schon da die Vorzüge der Privatversicherten deutlich spürbar. Zum einen beim Hausarzt. Er war einer von jenen, die ausschließlich Privatpatienten behandeln. In der Praxis bedeutete das, das Wartezimmer für sich allein zu haben. In einem vollgestopften Raum mit schniefenden und hustenden Patienten sitzen? Fehlanzeige. Die Termine wurden so gelegt, dass man sich mit demjenigen davor oder danach bestenfalls die Klinke in die Hand gab. Die obligatorische Zeitschrift konnte man bei diesem Arzt eher nur für einen Moment in die Hand nehmen. Nach wenigen Seiten des Durchblätterns wurde man schon dazu aufgerufen, sich in das Behandlungszimmer zu begeben.
Ein anderes Mal wurde das Sprunggelenk durch sportliche Aktivitäten in Mitleidenschaft gezogen. Da die Röntgenaufnahme beim Orthopäden erst mal nicht für Klarheit sorgen konnte, wodurch der Schmerz im Fußbereich hervorgerufen wurde, musste ein Termin für den Kernspintomographen gemacht werden. Selbst in wirklich akuten Fällen müsse man für einen Termin teilweise mehrere Wochen warten, so die Aussage von Bekannten. Nach der Zusatzinfo, dass man privatversichert sei, ging dann auch hier alles recht zügig der Termin fünf Tage später war fix. Interessant und aufschlussreich war auch der Austausch mit Freundinnen, die einen darüber aufgeklärten, dass alle möglichen Untersuchungen, die eine Privatpatientin bei der gynäkologischen Vorsorge bekommt, offenbar alles andere als Standard sind.
Mit dem Eintritt ins Berufsleben war dieser "Luxus" vom einen auf den anderen Tag vorbei. Da reiht man sich ein in die Schlange am Empfang, um das Kassenkärtchen abzugeben. Die Zeiten der Praxisgebühr oder, noch schlimmer, des Hinterherrennens nach Überweisungen bei diesem oder jenem Facharzt, sind immerhin nur noch eine dunkle Erinnerung an die Vergangenheit.
Angeblicher Privatpatient erschleicht Termine
Dennoch sind einige Sachverhalte in der Medizinbranche schwer nachzuvollziehen. Beispielsweise nach einem Umzug. Man möchte einen neuen Arzt des Vertrauens, der sich in der Nähe befindet, zu dem man gehen kann und sich ebenso gut aufgehoben fühlt, wie beim vorherigen Hausarzt. Aber so einfach ist das nicht es ist keine Seltenheit, dass man am Telefon schon in der Jahresmitte gesagt bekommt, dass in diesem Jahr keine neuen Patienten mehr aufgenommen werden (können). Oder aber, man ruft spontan wegen nicht zu ignorierender Schmerzen beispielsweise beim Augenarzt an, wird dann aber gewarnt, dass es einige Stunden dauern kann, bis man "zwischenrein geschoben" wird.
Neulich erzählte ein Bekannter davon, wie er sich einen Termin beim Facharzt ergattert hat. Er merkte, dass das mit der Terminvergabe nur sehr zögerlich vonstattenging, also streute er im Gespräch ein, dass er privatversichert sei. Ach, da wäre ja doch noch etwas frei und zwar in einer Woche. Dass der Gute gar nicht Privatpatient ist, hat dann letztlich nur einen genervten Seufzer bei der Anmeldung vor Ort hervorgerufen.
Die politische Diskussion darüber, ob wir in Deutschland tatsächlich eine Zweiklassenmedizin haben oder nicht, besteht seit Jahren. Seit etwa zwei Jahren sollen bei Fachärzten die Wartezeiten nicht länger als vier Wochen in Anspruch nehmen. Aber wird dieses Gesetz auch wirklich so in der Praxis umgesetzt?
Wirft man einen Blick auf unser gesamtes Gesundheitssystem, lässt sich durchaus behaupten, dass wir auf hohem Niveau klagen. Trotzdem ist es so, dass eine Ungleichheit, ja gar Ungerechtigkeit herrscht. Die Theorien darüber, weshalb von einer Zweiklassenmedizin die Rede ist, gehen auseinander. Zum einen wird angeführt, dass sozial Schwächeren ohnehin die Mittel für eine bessere gesundheitliche Versorgung fehlen. Nicht berücksichtigt wird hierbei aber, dass gebildetere und wohlhabende Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein größeres Bewusstsein für ihre Gesundheit hegen und einen entsprechenden Lebensstil pflegen. Demgegenüber steht die These, dass der Medizinbetrieb sozial selektiv sei, somit also bei Angeboten gar nicht alle Schichten erreicht würden, die "unteren Schichten" gleichzeitig auch ein weniger ausgeprägtes Anspruchsdenken hätten. Dadurch könnte sich auch die Tatsache erklären, dass trotz immer wieder aufkeimender politischer Diskussionen in der Bevölkerung gerad einmal neun Prozent der Menschen lange Wartzeiten, zu schnelle Abfertigung beim Arzt als auch die Terminvergabe im Allgemeinen beklagen.
Ärzte bieten immer häufiger Selbstzahler- oder Komfortsprechstunden an. Ob jemand, der selbst zahlt, schneller dran kommt und besser behandelt wird, ist nicht belegt. Der Verkauf von Arztterminen ist zwar legal, aber nicht angebracht. Aus moralischer Sicht zumindest. Denn es gliedert die Patienten sogar in eine Dreiklassengesellschaft nämlich jener, die zahlen können, die, die es nicht können und die Privaten. Die entscheidende Frage lautet: Ist Ärzten mittlerweile ihr Verdienst wichtiger als das Patienten-Wohl?
Katharina Ellrich