Auch in Frankreich könnte es einen Trump-Effekt geben
Es wäre ganz nach dem Drehbuch von Donald Trump: Nach dem Brexit kommen weitere "Exits" aus der EU, hatte der US-Präsident kürzlich vorausgesagt. Der erste Austritt könnte sich in den Niederlanden andeuten, wo am 15. März ein neues Parlament gewählt wird. Die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders liegt derzeit in den Umfragen vorn. Trumps einfache Rezepte nationalistischer Abschottung stehen bei Wilders hoch im Kurs und verfangen bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung.
Die größte Gefahr droht jedoch aus Frankreich. Das Land, aus dem die Initialzündung zur Gründung der Europäischen Union kam, kürt im Frühjahr einen neuen Präsidenten. Die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, hat mit einem wilden Fanfarenstoß zur "Revolution" gegen die politische Elite geblasen. Frei nach Trump will sie das Motto "Frankreich zuerst" durchpeitschen. Austritt aus EU und Nato, eine neue nationale Währung, kostenlose Bildung nur noch für Franzosen: Le Pens Forderungen sind ein Feuerwerk des Nationalismus und eine Kampfansage an die Gemeinschaft. Siegt die FN-Vorsitzende, wäre der "Frexit" besiegelt, die EU Geschichte.
Le Pens Parolen sind für viele Bürger verführerisch simpel. In einer immer komplizierteren Welt, in der Finanz-Institutionen jede Sekunde Milliarden Euro hin- und herschieben, Unternehmen durch grenzüberschreitende Geschäfte dem dicksten Profit hinterherhecheln und Millionen Flüchtlinge auf die Wohlstandsfestung Europa zustürmen, fallen Le Pens Basta-Sprüche auf fruchtbaren Boden.
Die FN-Kandidatin ist noch aus einem anderen Grund gefährlich. Sie bietet jede Menge soziale Bonbons an: Steuersenkungen für Geringverdiener, Rabatte bei Gas- und Stromkosten, Herabsetzung des Renteneintrittsalters von 62 auf 60 Jahre. Das ist populistischer Zucker, der nicht nur bei den Arbeitslosen und Niedriglöhnern ankommt, sondern bis weit in die hart arbeitende Mittelschicht wirkt. Der sozialistische Präsident François Hollande hat sein Versprechen, eine sozialere Balance zu schaffen, weit verfehlt. Die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosenrate klebt an der Zehn-Prozent-Marke. Viele der rund sechs Millionen Muslime leben an der Armutsgrenze, wurden nie richtig integriert. Diese Mischung macht den Nährboden für Le Pen aus.
Dass die EU in den vergangenen Jahren über weite Strecken ein jämmerliches Bild abgegeben hat, kommt erschwerend hinzu. Zu oft hat sich die Gemeinschaft selbst zerfleischt. Zu oft hat sie sich mit einem faulen Kompromiss in allerletzter Minute durchgehangelt. Auch der gerade angepeilte Flüchtlings-Deal mit Libyen fällt in diese Kategorie. Die Hilfen für die Sicherheitskräfte eines de facto nicht existierenden Staats sind ein typisches Beispiel für Heftpflaster-Politik à la EU. Die Union hat es nicht vermocht, sich in Zeiten globaler Ungewissheiten neu zu erfinden.
Ein neues Projekt wäre etwa, Europa zu einer weltweit führenden Wirtschafts- und Sozialmacht zu machen. Zu diesem Zweck könnte man ein Innovations- und Wachstumspaket schnüren, bei dem nicht nur die Firmen profitieren, sondern auch die Arbeitnehmer. Die Kompetenzen der EU sollten entschlackt und auf Kernbereiche wie Freihandel oder Terror-Abwehr konzentriert werden. Das würde Legitimität und mehr Bürgernähe schaffen.
Die aktuellen Umfragen in Frankreich prognostizieren zwar für Le Pen in der zweiten Wahlrunde eine Niederlage. Demnach liegt der erst 39-jährige parteilose Kandidat Emmanuel Macron deutlich vorn. Und ja es stimmt: Der ehemalige Banker und Mann der Mitte hat Zugkraft. Er ist frisch, unverbraucht und gehört nicht der mit Argwohn betrachteten politischen Elite an. Seine stärkste Botschaft ist sein junges Gesicht. Inhaltlich propagiert er eine Lockerung des starren Arbeitsrechts und niedrigere Sozialabgaben. Vieles bleibt jedoch vage.
Der Überdruss der Franzosen an ihrer als entrückt empfundenen politischen Klasse ist indessen so massiv, dass unbelastete Käfte wie Macron ankommen. Mag sein, dass der Quereinsteiger am Ende das Rennen macht. Es wäre allerdings sträflich, Le Pen zu unterschätzen. Das sozialpolitische Klima in Frankreich, das Misstrauen gegenüber Ausländern haben große Ähnlichkeiten mit dem Amerika in der Zeit des Kandidaten Trump.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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