Der SPD-Chef und die K-Frage: Jetzt oder nie
Martin Schulz, Noch-Parlamentspräsident der EU, schwante es bereits Ende vergangenen Jahes: Er rechne nicht mehr damit, Spitzenkandidat der SPD bei der Bundestagswahl 2017 zu werden, bekannte er kurz vor Weihnachten gegenüber Genossen. Dabei war der einflussreiche EU-Grande wochenlang als neue Geheimwaffe gehandelt worden. Nur er könne seiner tief im 20-Prozent-Turm gefangenen Partei den nötigen Schwung verleihen, hieß es.
Zwar ist offiziell noch nichts entschieden: Der SPD-Parteivorstand will erst am 29. Januar das Geheimnis um die K-Frage lüften. Doch Parteichef Sigmar Gabriel tritt in diesen Tagen zu agil, zu bestimmt, zu kämpferisch-kühl auf, um bei der Kanzlerkandidatur anderen das Feld zu überlassen.
Gabriel ist machtbewusst. Er weiß, wann es sich lohnt, in die Schlacht zu ziehen. 2009 ließ er Frank-Walter Steinmeier den Vortritt für das aussichtslose Duell gegen die CDU-Ikone Angela Merkel, 2013 Peer Steinbrück. Doch 2017 ist sich Gabriel sicher kann die SPD den großen Preis gewinnen. Mit ihm als Kanzler.
Mehrere Faktoren haben die strategische Position der Sozialdemokraten verbessert. Merkels Alleingang in der Flüchtlingskrise hat teilweise zu staatlichem Kontrollverlust geführt. Die Kanzlerin verlor dabei ihren Nimbus der Unverwundbarkeit. Die CDU, die lange Zeit auf Werte über 40 Prozent abonniert schien, sackte auf rund 35 Prozent ab. Und nicht nur das: Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer piesackt Merkel ein ums andere Mal mit seiner Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge. Die Kanzlerin hat eine Dauer-Opposition in der eigenen Partei. Streit kommt jedoch in der eher auf Harmonie getrimmten Union nie gut an.
Mit den schweren Niederlagen in den letzten Landtagswahlen und dem Absturz in den Umfragen schwinden die Machtoptionen für CDU/CSU. Zwar bliebe als Notnagel vermutlich immer noch eine Große Koalition. Aber keiner will sie wirklich. Zu groß ist die Angst, dass die politischen Ränder vor allem das Protest-Vehikel AfD gestärkt werden.
Merkel hat im Grunde außerhalb der SPD nur eine Chance auf eine Fortsetzung der Regierung unter ihrer Führung: eine Allianz mit den Grünen. Zwei weitreichende Weichenstellungen haben grundsätzlich den Weg für Schwarz-Grün geebnet der Ausstieg aus der Atomenergie nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima 2011 sowie die empathische Flüchtlingspolitik der Kanzlerin in den Monaten nach September 2015. Derzeit würde es allerdings nicht für Schwarz-Grün reichen.
Auch im Kalkül der SPD spielen die Grünen eine Schlüsselrolle. Ohne die Öko-Partei haben die Sozialdemokraten keine Aussichten, den Kanzler zu stellen. Die Genossen verfügen prinzipiell über zwei Dreier-Varianten: SPD, Linke und Grüne. Oder SPD, Grüne und FDP. Gabriel will sich beide Möglichkeiten offenhalten. Er hat Zweifel an der taktischen Geschmeidigkeit der Linken, insbesondere bei der Sicherheitspolitik. Dies betrifft die Terrorabwehr im Inneren und Militäreinsätze in Krisengebieten. Deshalb bringt er offensiv eine rot-grün-gelbe Ampelkoalition ins Spiel. Rot-Rot-Grün sei "keinesfalls die einzige Konstellation, die denkbar ist", sagte Gabriel im "Spiegel"-Interview. Er verwies auf das in Rheinland-Pfalz regierende Ampel-Bündnis der SPD "mit einer bürgerrechtsliberalen Partei und einer wirtschaftsliberalen".
Der SPD-Chef spürt, dass Merkel nicht mehr unbesiegbar ist. Durch sein kaltschnäuziges Vabanquespiel bei der Durchsetzung von Steinmeier als gemeinsamer Bundespräsidenten-Kandidat von Union und SPD hat er der Kanzlerin den Schneid abgekauft. Das hat Gabriel Rückenwind verliehen. Seine Devise lautet daher mit Blick auf die K-Frage: Jetzt oder nie.
Doch das sind Momentaufnahmen. Merkel hat noch zwei strategische Pfunde. Bei der Terrorbekämpfung fährt die Union eine stringentere Linie. Das Konzept von Innenminister Thomas de Maizière, das sträfliche Hickhack zwischen Bund und Ländern zu beenden und die Kräfte zu bündeln, trifft den Nerv etlicher Bürger. Und in einer Welt, deren alte Ordnung sich auflöst und niemand weiß, welche Überraschungen ein US-Präsident Donald Trump noch bietet, mag die Kanzlerin für viele als ein Fels in der Brandung erscheinen. Das ändert nichts daran: Träumen darf Gabriel schon mal.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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Gabriels Traum
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