SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz setzt auf gute Stimmung ein riskanter Zug
Vor der saarländischen Landtagswahl hatte sich Martin Schulz ein bisschen am Julius-Cäsar-Prinzip berauscht. Der SPD-Kanzlerkandidat dachte, er könne getreu dem Motto "Er kam, sah und siegte" die Republik rocken. Das Kalkül: Der Gute-Laune-Künstler aus Würselen pustet die Lethargie der durch etliche Niederlagen gebeugten Genossen weg, elektrisiert das Wahlvolk und wird auf einer Woge der Euphorie ins Kanzleramt getragen. Der Neue gegen die Alte (Angela Merkel), lautete der Schlachtruf. Eine Deutschland-Version von Barack Obamas Yes-we-can-Welle. Und das, obwohl Schulz jahrzehntelang zum Euro-Establishment in Brüssel gehört hatte.
In der Vorfreude eines süßen Wahlsieges an der Saar sponn Schulz zusammen mit Spitzenkandidatin Anke Rehlinger bereits rot-rot-grüne Koalitionsträume. Der Südwesten als Blaupause für den Bund. Das Ende vom Lied: Die Grünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde, SPD und Linkspartei ließen Federn. Konservative Nichtwähler fühlten sich durch das Szenario einer indirekten Mitregierung durch Oskar Lafontaine aufgescheucht und machten ihr Kreuz bei der CDU. Ein AKK-Effekt für die Ministerpräsidentin, die sich plötzlich auf der 40-Prozent-Plus-Wolke wiederfand wie Merkel in ihren besten Tagen.
Schulz hat durch den Saarland-Dämpfer gemerkt, dass für ihn die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Doch er setzt nach wie vor auf die Kraft der Autosuggestion. Am 14. Mai wählt das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen einen neuen Landtag. "Die SPD wird die stärkste Kraft in Deutschland, und ich werde Bundeskanzler", prophezeite Schulz am Sonntag zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase in Essen. Damit macht der 61-Jährige das NRW-Votum zum Lackmustest für seine Kanzler-Ambitionen. Hinter den Selbstbeschwörungsformeln klingt ein bisschen der Mut der Verzweiflung durch. Denn was passiert, wenn es an Rhein und Ruhr nicht so gut läuft? Wird dann nicht aus dem Schulz-Bonus ein Schulz-Malus?
Das Geschäft mit der Begeisterung ist riskant. Stimmungen sind flüchtig. Sie können kippen, und plötzlich verwandelt sich der Hype in einen Anti-Hype. Wenn das Hochgefühl in der Partei nicht durch Substanz unterfüttert wird, entsteht ein Abwärtssog. Die positiven Emotionen werden in negative umgepolt. Auf hochgejazzte Erwartungshaltung folgt Enttäuschung.
In programmatischer Hinsicht bewegt sich der SPD-Chef bislang auf dünnem Eis. "Soziale Gerechtigkeit", "Respekt" und "Würde" sind die Schlüsselwörter seines Polit-Mantras. Doch außer einer deutlichen Verlängerung des Arbeitslosengeldes I, falls sich die Betroffenen weiterbilden, hat Schulz bis dato wenig geboten. Es war in erster Linie ein symbolpolitisches und taktisches Manöver: Sozialdemokraten, die im Zuge von Gerhard Schröders Hartz-IV-Gesetzen abgewandert waren, sollen zurückgewonnen werden.
Aber in wichtigen Bereichen wie der Steuer- oder Rentenpolitik ist bei der SPD noch wenig konkret. Sobald Schulz jedoch bei einzelnen Punkten ins Detail geht, macht er sich auch angreifbar. Wird der Spitzensteuersatz zum Beispiel schon bei einem Jahreseinkommen von 50.000 Euro angesetzt, trifft es auch die Facharbeiter, ohne die die Sozialdemokraten kaum gewinnen können. Sobald Schulz in den Mühen der Ebene ankommt, wird er merken, dass die Schubkraft der Optimismus-Rakete schnell verpufft.
Die SPD wird bis zur Bundestagswahl im September den Teufel tun, die rot-rot-grüne Koalitions-Variante noch einmal offen auf den Tisch zu legen. Es könnte sich das Saarland-Syndrom auch auf nationaler Ebene wiederholen: Dunkelrot mobilisiert Schwarz und hilft Merkel. Es wäre eine Frischzellenkur für die Kanzlerin, die durch die innen- und außenpolitisch falsche Einschätzung ihrer spontanen, humanitär orientierten Flüchtlingspolitik dramatisch an Zustimmung verloren hat und seit einiger Zeit saft- und kraftlos wirkt.
Realistisch betrachtet hat Schulz im Bund zwei Machtoptionen: eine Große Koalition unter seiner Führung, falls die Sozialdemokraten zur stärksten Partei werden. Und ein Ampelbündnis mit der FDP und den Grünen. Die lange Zeit totgesagten Liberalen wittern Morgenluft. Es spricht vieles dafür, dass sich SPD und Union im Herbst gegenseitig überbieten werden, sie ins Regierungsboot zu holen.
MIchael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.