Nach dem US-Luftschlag in Syrien ist ein diplomatischer Kraftakt nötig.
Die Welt reibt sich verwundert die Augen: Sorgt US-Präsident Donald Trump mit seinem Luftschlag in Syrien für eine neue Dynamik in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg? Ist es ein Warnschuss, der den syrischen Diktator Baschar al-Assad an den Verhandlungstisch zwingt, ihn zumindest in seinem an Brutalität kaum zu überbietenden Vernichtungs-Feldzug einhegt? Oder tritt Trump eine Welle der Eskalation los, die einen Flächenbrand entfacht, der weit über den Nahen Osten hinausreicht?
Mit Sicherheit lässt sich nur eines sagen: Das einzig Berechenbare an Trump ist seine Unberechenbarkeit. Das liegt zum einen daran, dass der langjährige Immobilien-Mogul über null Erfahrung in der Politik verfügt. Ihm fehlen Handlungs-Parameter für den Kosmos in Washington, den er gerade in einem Praxis-Crash-Kurs zu verstehen versucht. Zum anderen ist der Chef des Weißen Hauses ein Spielball seiner Stimmungen. Sympathie, Antipathie, Begeisterung und Wut treiben ihn an.
Auch der Giftgas-Angriff in der nordsyrischen Stadt Chan Schaichun mit den erschütternden Bildern von sterbenden Babys, Männern und Frauen mit verätzter Haut haben Trump wohl emotional unter Strom gesetzt. Unter dem Eindruck dieser humanitären Katastrophe gab der Präsident den Befehl zum Abschuss von 59 Tomahawk-Marschflugkörpern. Eine durchdachte Strategie steckt nicht dahinter. Im Wahlkampf hatte Trump immer wieder betont, dass sich die USA aus den Weltkrisen heraushalten wollten. Und noch vor Kurzem hatte sein Außenminister Rex Tillerson ein realpolitisches Arrangement mit Assad gepredigt. Die Zukunft Syriens liege in der Hand des syrischen Volkes, betonte er. Nun unterstreicht die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley, es gebe keine Zukunft mit Assad.
Doch so unkalkulierbar und irrational Trump daher kommt: Möglicherweise hat der Instinkt-Politiker in diesem Fall das Richtige getan. Die Vereinten Nationen hatten zwar in den vergangenen Jahren immer wieder den Syrienkonflikt erörtert, eine Vielzahl von Konferenzen einberufen. Aber ohne Ergebnis. Bei der letzten Sitzung des UN-Sicherheitsrats kam nicht einmal ein moralischer Minimalkonsens zustande. Russland blockierte eine Verurteilung des Giftgas-Angriffs. Ein beschämendes Schauspiel. Alle, die Trumps Vorgehen geißeln, müssen sich fragen lassen: Was wäre die Alternative? Soll die Weltgemeinschaft zuschauen, wie noch mehr Syrer in Grund und Boden gebombt, wie noch mehr Städte in Schutt und Asche gelegt werden? Vielleicht mit noch brutaleren Chemiewaffen, die eigentlich international geächtet sind?
Vieles deutet darauf hin, dass Assad seine Lage seit einiger Zeit überschätzt. Die massive militärische und finanzielle Unterstützung durch Russland und den Iran hat ihn in eine Sieges-Euphorie versetzt. Er will jeden Quadratzentimeter seines Landes zurückerobern, kündigte er kürzlich in einem Interview an. Assad betreibt eine Politik der eisernen Faust, die eine hohe Zahl von zivilen Opfern in Kauf nimmt. Ein zynisches Machtkalkül. Was bei ihm völlig fehlt, sind Versöhnungssignale an die gemäßigte Opposition.
Damit sollen die Risiken von Trumps Luftschlag nicht verharmlost werden. Sollte Assad weitere Attacken mit vielen Toten lostreten ob mit oder ohne Chemiewaffen , sitzt der US-Präsident in der Eskalationsfalle. Würde er seiner eigenen Logik folgen, müsste er erneut intervenieren. Möglicherweise um den Preis einer militärischen Konfrontation mit Russland. Es besteht aber auch die Chance, dass Moskau Assad nach Trumps Warnschuss zur Räson bringt und auf einen Verhandlungspfad zwingt.
Klar ist: Eine Lösung für Syrien lässt sich nicht herbeibomben. Nun schlägt die Stunde der Diplomatie. Wenn es Trump ernst meint, muss er die Verhandlungs-Initiative ergreifen und sich mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin an einen Tisch setzen. Ohne Moskau ist in dieser Frage kein Durchbruch möglich. Auch die Europäer können hier eine wichtige Rolle spielen. Sie stehen vor allem für "soft power", können vermitteln und ausgleichen. Es geht um einen politischen Fahrplan für Syrien, der mittel- und langfristig einen Machtwechsel einleitet. An der Spitze muss eine Figur stehen, die für Versöhnung, Einbeziehung und Wiederaufbau steht. Mit Assad ist ein solcher Neubeginn nicht denkbar.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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