Präsident Dudas Stopp der Justizreform ist aber kein Grund zur Entwarnung
Für Polens Präsident Andrzej Duda müssen es die schwersten Stunden seiner politischen Laufbahn gewesen sein. 2015 war er von Jaroslaw Kaczynski, dem finsteren Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), ins höchste Staatsamt gehievt worden. Der Auftrag war klar: Duda sollte das nette Gesicht eines Landes abgeben, das den Rechtsstaat immer weiter abbaut und stattdessen autoritär-katholische Grundzüge annimmt. Nun legt sich der 45-Jährige quer: Er wird zwei von drei Gesetzen zur Justizreform nicht unterzeichnen, die die Gewaltenteilung zwischen ausführender, gesetzgebender und richterlicher Gewalt in Polen aushebeln würden. Warschau läge damit in polit-geografischer Hinsicht deutlich näher an Ankara als an Berlin oder Brüssel.
Das ist nach allem, was man zuletzt aus der politischen Spitze Polens gehört hat, überraschend. Und es spricht für den Mut Dudas, der im entscheidenden Moment nicht mit den Wölfen geheult hat. Hinter der Kehrtwende des Präsidenten stecken mehrere Ursachen. Zum einen dürfte der gelernte Verwaltungsjurist massive Bedenken bekommen haben. Mit der geplanten Justizreform wären der Oberste Gerichtshof und der einflussreiche Landesgerichtsrat zu reinen Durchwink-Stationen der mit absoluter Mehrheit regierenden PiS-Partei geworden. Wo zu viel Macht konzentriert wird, wächst bekanntlich die Gefahr des Missbrauchs.
Der wichtigste Grund für Dudas Nein liegt aber wohl in den Protesten von vielen Tausend Polen. Die Opposition warnte vor einem kalten Putsch und der Einführung einer Diktatur. Selbst Lech Walesa, der als Vorsitzender der Gewerkschaft "Solidarno??" in den 80er-Jahren das kommunistische Regime das Fürchten gelehrt hatte, trommelte gegen die Regierung. Am meisten beeinflusst hat Duda aber nach eigenen Angaben Zofia Romaszewska, eine Dissidentin der 70er- und 80er-Jahre. Sie habe ihm gesagt: "Herr Präsident, ich habe in einem Staat gelebt, in dem die Generalstaatsanwälte eine unglaublich mächtige Position innehatten und praktisch alles tun konnten. Ich würde ungern in solch einen Staat zurückgehen."
Duda scheint Gefallen daran gefunden zu haben, als eine Art Gewissen des Volkes aufzutreten. Keine Selbstverständlichkeit für jemanden, der im Dunstkreis der PiS-Betonköpfe Karriere gemacht hat und diesen seinen Aufstieg verdankt.
Doch auch die EU spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle als Druckkulisse. Gegen Polen wurde bereits im Januar 2016 ein "Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit der EU" eingeleitet. Damals ging es um die umstrittene Reform des Verfassungsgerichts, das die PiS in ihrem Sinne auf Linie trimmen wollte. Immer wieder winkte die Kommission in Brüssel auch mit der sogenannten nuklearen Option: Nach Artikel 7 des EU-Vertrags können bei einem Verstoß gegen rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien einem Mitgliedsstaat die Stimmrechte entzogen werden. Hierzu ist allerdings Einstimmigkeit notwendig.
Selbst wenn es äußerst schwierig ist, autokratische Regierungschefs wie den Ungarn Viktor Orbán für derlei Vorstöße zu gewinnen: Die EU muss offensiv deutlich machen, dass sie nicht nur ein Verband für Marktwirtschaft, sondern auch für Solidarität und demokratische Grundwerte ist. Von Polen, mit 9,5 Milliarden Euro pro Jahr der größte Nettoempfänger in der EU, dürfen auch Gegenleistungen erwartet werden. Und außerdem: Gerade in Zeiten, in denen der Illiberalismus in den USA, in der Türkei, in Russland oder China Triumphe feiert, sind Freiheit und Rechtsstaat der Markenkern Europas. Wer nicht mitmacht, hat in dieser Union nichts verloren.
Dudas Veto und die Proteste der Bevölkerung sind ein Hoffnungsschimmer für Polen. Es gibt noch Grundreflexe der Demokratie, die nicht durch die autoritäre Regierungswalze der PiS überrollt wurden. Für Erleichterung ist es allerdings zu früh. Nun kommt es darauf an, dass der Präsident nicht nur kosmetische Korrekturen an der Justizreform vornimmt. Innerhalb der nächsten zwei Monate will er einen überarbeiteten Entwurf präsentieren. Der Druck von Kaczynski und Co. dürfte in den kommenden Wochen enorm werden. Ihm muss Duda standhalten. Dann aber nur dann gilt der wichtige Satz in der Nationalhymne des östlichen Nachbarn: "Noch ist Polen nicht verloren."
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
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NAHAUFNAHME: Noch ist Polen nicht verloren
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