Die Schlammschlacht im US-Wahlkampf ist ein Alarmzeichen für die Demokratie
Wahlkämpfe in Amerika waren immer gnadenlos hart, meist an der Gürtellinie, oft deutlich darunter. Der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry, ein hochdekorierter Offizier des Vietnam-Krieges, wurde 2004 von einer Gruppe ehemaliger US-Soldaten ("Swift Boat Veterans for Truth") in den Schmutz gezogen. Er habe die Orden zu Unrecht bekommen, gifteten die Ex-GIs, die wahrscheinlich im Auftrag des republikanischen Anwärters George W. Bush handelten. Nicht zuletzt dieser Rufmord kostete Kerry den Job im Weißen Haus.
Der republikanische Vizepräsident George H.W. Bush der Vater von George W. spielte in der Kampagne 1984 den rüpelhaften Ober-Macho. Nach einer Fernsehdebatte mit der demokratischen Herausforderin Geraldine Ferraro, in der er den weltläufigen Außenpolitik-Versteher gab, brüstete er sich gegenüber der Konkurrentin: Er habe ihr "ein bisschen in den Arsch getreten".
All dies ist jedoch Chorknaben-Niveau gegen die Schlammschlacht, die derzeit im Kampf um die US-Präsidentschaft stattfindet. Der republikanische Kandidat Donald Trump sorgt fast täglich für einen neuen Tiefpunkt. Er schmäht und beleidigt seine demokratische Rivalin Hillary Clinton. Seit seine Umfragewerte nach der Veröffentlichung eines sämtliche Grenzen der Geschmacklosigkeit sprengenden Sex-Videos in den Keller gehen, spuckt er nur noch Gift und Galle. Trump spürt, dass ihm die Felle davonschwimmen. Und schießt gegen alle: Clinton, die Medien, Frauen, Mexikaner, Muslime, die Washingtoner Elite sogar die Spitze der eigenen Partei.
Der Wahlkampf versinkt in einer Lawine aus Wut, Hass und Angstmacherei. Eine Debatte findet nicht statt. Dabei gäbe es wichtige Themen, die jedoch vielschichtig und nicht mit Hauruck-Rezepten zu lösen sind. Die Folgen der Globalisierung fallen ebenso darunter wie Freihandel, Klimawandel, der von Bürgerkriegen gebeutelte Nahe Osten oder die Flüchtlingskrise.
Aber Trump hat überhaupt kein Interesse daran, diese Problemknäuel aufzudröseln. Er präsentiert einfache Antworten zu komplexen Fragen. Schutz gegen billige Importe? Schotten dicht, heißt seine Devise. Verminderung der Treibhausgase? Nicht nötig, da eine Erfindung der Chinesen. Entschärfung des Syrienkonflikts? Raushalten.
Diese vermeintlich simplen Optionen haben einen verführerischen Charme für diejenigen, die sich nicht den Kopf über den Zustand einer immer schwerer zu durchschauenden Welt zerbrechen wollen. Davon gibt es in den USA leider sehr viele. Begünstigt wird diese Ignoranz-Kultur durch die amerikanischen Medien vor allem das Fernsehen , die mehr auf den Zirkus-Faktor als auf Aufklärung setzen.
Hillary Clinton verkörpert das krasse Gegenteil von Trump. Sie kann reden, hat eine substanzielle Meinung zu den großen globalen Konflikten. Aus Sicht der Europäer die um Längen qualifiziertere Kandidatin. Die 68-Jährige verfügt über reichhaltige Erfahrung als Außenministerin, Senatorin und First Lady. Sie kennt das politische Geschäft diesseits und jenseits des Atlantiks.
Doch nicht wenige US-Bürger legen Clintons Konstanz als Schwäche aus. Für sie ist Clinton zu lange Teil der politischen Klasse, die in den letzten Jahren immer mehr an Glaubwürdigkeit verloren hat. Zu ehrgeizig, zu biegsam in ihren Grundhaltungen mal für den Abbau der Handelsschranken zu Ostasien, mal dagegen , die Sprache zu glatt: Die Demokratin erscheint vielen als ein Retorten-Produkt des Polit-Marketings. Clinton ist eben nicht das frische Gesicht wie 2008 Barack Obama, das die Massen elektrisiert und für Aufbruch steht. Während Trump die Ausstrahlung eines tumben Haudraufs hat, gibt Clinton die abgenutzte Galionsfigur einer Mehltau-Republik. Das wird die landesweite Politikverdrossenheit weiter anheizen, ein Nährboden für Populismus und möglicherweise Autoritarismus.
Für den Zustand der Demokratie weltweit ist das ein Alarmzeichen. Wenn Amerika, bei allen Mängeln, nicht mehr ein Leuchtturm für Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit ist: Was bleibt dann? Russland ist aggressiv und unberechenbar, China ein staatskapitalistischer Wirtschafts-Gigant, der Nahe Osten ein Pulverfass, die EU eine von widerstreitenden Interessen gelähmte Staatengemeinschaft. Düstere Aussichten.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
POLITIK
Foto: stock.adobe.com / fedorovekb
Nahaufnahme: Wut, Hass, Angstmacherei
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