Mit 51 Abgeordneten ist der Saarländische Landtag das kleinste Länderparlament. Trotzdem hat er dasselbe Arbeitspensum zu bewältigen wie größere Häuser. Landtagspräsident Klaus Meiser über Selbstverständnis, Aufgaben und Bürgernähe.
Herr Meiser, in Ihre Amtszeit als Landtagspräsident fällt eine lang diskutierte Parlamentsreform. Ein Ziel war, mehr Lebendigkeit in die Debatten zu bringen. Hat sich die Erwartung erfüllt?
Ich denke, es hat sich bewährt. Die neuen Regelungen sind erst in wenigen Sitzungen angewandt worden, aber es läuft wie üblich im saarländischen Parlament fair und belebt das Geschäft. Insofern ist es für mich eine positive Bilanz.
Der Parlamentsbetrieb ist ja recht stark durchstrukturiert. Setzt das der Debattenkultur nicht von vornherein enge Grenzen?
So würde ich das nicht sehen. Es kommt sehr stark auf die Debattenredner an. Ich brauche eigentlich keine neuen Spielregeln. Die Lebendigkeit hängt sehr stark daran, ob Debattenredner bereit sind, sehr offen aufzutreten, ohne allzu streng vorbereitete Texte.
Als Maßstab für ein streitlustiges Parlament wird ja gelegentlich die Zahl der Ordnungsrufe durch den Präsidenten oder die Zwischenrufe der Abgeodneten herangezogen. Da geht es im Saarländischen Landtag doch vergleichsweise diszipliniert zu.
Das kann man sicherlich sagen. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass man in aller Regel fair miteinander umgeht. Ich bin als Landtagspräsident bisher selten gefordert gewesen, Ordnungsrufe zu erteilen. Ich habe ein großes Herz für lebendige Diskussionen, habe ja als Abgeordneter früher selbst gerne dazu beigetragen. Insofern denke ich, ist das stressfrei.
Der Wechsel vom Fraktionsvorsitzenden, der selbst die Debatten gestalten konnte, zum Landtagspräsidenten ist eine Umstellung.
Ist das schwer gefallen?
Ja, das fällt schwer. Als Fraktionsvorsitzender kann man in die Debatten eingreifen, kann man richtig Gas geben und auch ein stückweit polarisieren. Der Landtagspräsident hat eine völlig andere Aufgabe. Auch die macht Spaß, nämlich moderieren und zwischen den Fraktionen auszugleichen. Beides hat seinen Reiz, und ich habe mich auf die neue Aufgabe positiv eingestellt.
Aber es kribbelt dann doch noch manchmal?
Wenn ich offen bin: In vielen Debatten kribbelt es sehr wohl und man würde gerne eingreifen. Aber das Amt gebietet Zurückhaltung.
Was zur Frage führt: Was macht ein Landtagspräsident eigentlich, außer regelmäßig die Plenarsitzungen zu leiten?
Bei den Tätigkeiten eines Landtagspräsidenten sind drei Ebenen zu unterscheiden. Zum einen gewährleistet die von ihm geführte Landtagsverwaltung mit rund 100 Beschäftigten den Parlamentsbetrieb, das heißt unter anderem die gesamte Ausschussarbeit, also die vorbereitende Arbeit zur politischen Willensbildung. Zum anderen ist es seine politische Aufgabe, zwischen den Fraktionen zu moderieren und im Parlamentsbetrieb dafür zu sorgen, dass es ein faires Miteinander gibt. Das hat im Saarland eine gute Tradition, die ich fortsetzen konnte. Der dritte Bereich ist repräsentativer Natur, nämlich das Saarland nach innen und nach außen zu vertreten. Das macht mir als "Ur- Saarländer" sehr viel Freude. Im Saarland gibt es traditionell eine große Nähe zueinander, in der Bevölkerung, zu den Institutionen, zu den Kirchen und Verbänden.
"Repräsentativ", das klingt nach Staatsbesuchen und großem Zeremoniell.
Natürlich ist es wichtig, dass unser Land auf allen Ebenen positiv repräsentiert wird. Mit repräsentieren meine ich, die Identität, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein eines Landes zu vertreten. Auf Bundesebene wirken wir bei der Konferenz der Präsidenten der Landtage und des Bundestages mit, wo unter anderem die Spielregeln der Willensbildung verabredet werden. Auch dies sollte man nicht gering schätzen. Es geht darum, die Willensbildung so zu organisieren, dass sie fair und demokratisch stattfindet.
In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es "die Politik", es wird kaum differenziert zwischen Regierung und Parlament. Kommt da die Rolle des Parlaments als der eigentlichen Vertretung der Bürger zu kurz?
Ich trete entschieden dafür ein, den Menschen vor allem deutlich zu machen, dass es eine klare Gewaltenteilung gibt und dass das Parlament die Aufgabe als kontrollierende Kraft hat. Die Lebenswirklichkeit ist so, dass Regierung und Regierungsfraktionen eng zusammenarbeiten. Trotzdem lege ich größten Wert darauf, dass das Parlament sein Eigenleben hat und selbstbewusst gegenüber der Regierung auftritt. Die Rollen von Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen sind im Parlament zwar zum Teil unterschiedlich. Die Gewährleistung der Gewaltenteilung ist jedoch eine gemeinsame Aufgabe aller Fraktionen, die nicht nur in der Verfassung festgeschrieben ist, sondern auch im Saarland gelebt wird.
Die Kontrollfunktion wird ja auch über die Form der schriftlichen Anfragen aus dem Parlament an die Regierung ausgeübt. Die Regierungsfraktionen haben davon aber keinen Gebrauch gemacht. Gab es keine Fragen?
Die Regierungsfraktionen haben eine größere Nähe zur Exekutive, ohne dass es schriftlicher Anfragen bedarf. Deshalb ist es nur natürlich, dass die Opposition mit ihren Anfragen stärker vertreten ist.
Mit 51 Abgeordneten hat das Saarland ja ein sehr kleines Abgeordnetenhaus...
Alle politischen Fragen stellen sich in großen wie in kleinen Ländern gleichermaßen. Dies gilt für das Wirken im Land ebenso wie auf Bundesebene. Vor diesem Hintergrund haben die Abgeordneten ein großes Arbeitspensum zu erledigen. Der Landtag des Saarlandes nimmt in diesem Sinne seine Aufgaben verantwortungsvoll wahr.
In der abgelaufenen Legislatur-periode gab es zusätzlich noch gleich drei Untersuchungsausschüsse. Stößt man da nicht an Grenzen?
Es ist das vornehmste Recht des Parlaments und insbesondere der Opposition, kritisch zu hinterfragen. Und wenn es das Parlament oder einzelne Fraktionen für notwendig halten, Dinge sehr genau in einem Untersuchungsausschuss unter die Lupe zu nehmen, das parlamentarische Demokratie aus. Es ist unser Job, dafür zu sorgen, dass die Arbeit gewährleistet wird und die Ausschüsse entsprechend ausgestattet werden.
Reicht für ein kleines Land nicht auch ein "Feierabendparlament", wie es immer wieder mal gefordert wird?
Das ist eine Frage der Demokratie. Wenn ich ein Feierabendparlament installiere gegenüber einer professionellen Regierung mit rund 20.000 Mitarbeitern, dann muss ich doch die Frage stellen, ob ich die Demokratie verkommen lassen will nach dem Motto: Das Parlament trifft sich abends, hat kaum Zeit, und die Regierung beherrscht alles? Deshalb ist das für mich der falsche Ansatz. Demokratie muss sich ein Parlament leisten, das auch handlungsfähig ist. Und nebenbei: Die Feierabendparlamente, die wir in Deutschland haben, sind unter dem Strich teurer als unser Parlament. Wenn die Parlamentarier weniger Zeit haben, bedeutet das deutlich mehr hauptamtliche Mitarbeiter. Dafür wird dann unglaublich viel Geld ausgegeben. Unter dem Strich, das können wir nachweisen, sind wir das kostengünstigste Parlament in Deutschland. Ich bin entschieden für Vollzeitparlamente. Entweder wir wollen Demokratie und Föderalismus, oder wir machen daraus einen Gemeinderat!
Was im Alltag wenig bewusst ist: Es gibt ja um den Landtag eine sogenannte Bannmeile. Das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass einmal eine geplante Kundgebung nicht direkt vor dem Landtag abgehalten werden durfte.
Diese Entscheidung ist gefallen, bevor ich Landtagspräsident war. Bannmeile bedeutet, dass eine Demonstration dann nicht stattfinden darf, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Das heißt im Umkehrschluss: so viel Demokratie wie möglich. Deshalb stehe ich dazu, dass im Regelfall die Bannmeile aufgehoben wird, es sei denn, etwas anderes ist angezeigt. Wenn wir aufrechte Demokraten sind, steht es uns nicht zu, zu beurteilen, welche Initiative oder Partei gefällt uns und welche nicht, und die, die uns nicht gefallen, schließen wir vor dem Parlament aus. Das ist nicht demokratisch. Wenn Parteien und Initiativen verfassungsrechtlich zugelassen sind, haben sie die Rechte wie alle anderen auch.
Die meisten Saarländer wissen, wo der Landtag steht, aber kaum einer weiß, was wie hinter diesen Mauern passiert. Muss sich der Landtag mit seiner Arbeit mehr öffnen?
Ich glaube, dass das saarländische Parlament ein gutes Beispiel dafür ist, was Offenheit bedeutet und dass es kaum ein Parlament in Deutschland gibt, das so offen nach außen ist. Die aktuelle Sicherheitslage setzt hier leider Grenzen. Dennoch haben wir im letzten Jahr das gemeinsame Fest der Fraktionen wieder belebt, mit der Presse und mit der Bevölkerung.
Das war ja auch ein Beispiel dafür, was andere am Saarland bewundern: Man kann sich streiten, manchmal bis an die Grenzen des guten Geschmacks, aber nachher auch wieder ein Bier zusammen trinken. Wie funktioniert das?
Dass die Grenzen des guten Geschmacks nicht überschritten werden, dafür sorge ich als Landtagspräsident. Darauf können sich die Saarländerinnen und Saarländer verlassen. Darüber hinaus stehe ich für ein Miteinander und dafür, dass wir deutlich machen: Alle demokratischen Kräfte werden durch das Parlament vertreten, wir stehen für Demokratie, Toleranz und Offenheit.
Interview: Oliver Hilt
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