Nein, sie ist keine neue Spaßpartei: Die Urbane. Eine HipHop-Partei (du.) wurde vor vier Monaten in Berlin gegründet. Es geht um vernünftig bezahlte Jobs, gegen Politikverdrossenheit und um mehr bezahlbaren Wohnraum in den Ballungsgebieten.
Ein schlaksiger Typ in Jogginghosen und T-Shirt: Raphael Hillebrand ist eher Typ Leichtathlet, schließlich ist der 35-Jährige gelernter Tänzer und arbeitet als Choreograf im Bereich Modern Dance.
Spätestens Ende Januar mit der Nominierung von SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz stellte sich auch Raphael die Frage: "Was wähle ich am 24. September?" Er fand für sich keine Antwort, da war keine Partei, die ihn angesprochen hätte. "Da hab ich mich erinnert: Wir leben hier in einer Demokratie, und da kannst du dich auch selbst auf den Wahlzettel schreiben!"
Doch so fix ging das nicht. Zusammen mit Tänzer-Kollegin Niki Drakos trommelte er Freunde mit ähnlichen Interessen zusammen, unter ihnen DJs, Sprayer, Hip-Hopper und andere Dance-Freaks. Man debattierte, was hier alles so schief läuft, und kam auf den einfachen Nenner: "Wir sind Die Urbane, wir leben in der Stadt. Wir versuchen die Stadt gegen die Macht der Politik in unserem Sinne zu gestalten, was auch den Kampf gegen die voranschreitende Gentrifizierung einschließt." Die Erfahrung der überwiegend jungen Menschen war: Nur im Park Dance-Battles abzuhalten und Graffiti zu sprayen, bringt auf Dauer nichts. So kommt man nicht politisch ins Gespräch, eine Partei muss her.
Der Versuch ist schon ein Gewinn
Doch das ist auch ein sehr bürokratischer Vorgang. Denn um bei der Bundestagswahl zugelassen zu werden, braucht man 2.000 Unterschriften. Das bedeutete: elf Kilo Papier waren zu bewältigen und jede Menge Bürokratie. An dieser Stelle kam der 49-jährige Soziologe Frithjof Zerger ins Spiel. Als Referent in einem Bundesministerium kennt er sich bestens mit Verwaltungsvorgängen aus. Obendrein ist Frithjof Experte in Sachen Migration/Integration. So konnte er gut zum nötigen wissenschaftlichen Unterbau für das Parteiprogramm mit beitragen. Auf den letzten Drücker bekamen die Parteigründer noch alles zusammen. Und auch Frithjof Zerger ist weiter mit dabei: als stellvertretender Landesvorsitzender und Direktkandidat in Kreuzberg.
"Es geht vor allem um marginalisierte Menschen, die in der heutigen Berufswelt eigentlich keine realistische Chance mehr haben, einen Job zu finden, von dem sie dann auch leben können", so Frithjof. "Es geht um die Verteilung des Kapitals, und die ist momentan nicht im Sinne der Mehrheit. Die etablierten Parteien wollen alles so beibehalten, wie es ist", pflichtet ihm Raphael bei. Die Urbane versteht sich deswegen als Stimme für Leute, die sonst keine haben.
Für Die Urbane ist das New York der Siebziger Jahre ein Beispiel, wie man aus einer ausweglosen Situation herauskommen kann. "Brooklyn, Queens und die Bronx waren sozial fertig. Miese Jobs, von denen die meist schwarzen, jungen Menschen nicht leben konnten. Daraus resultierten Gewalt und Gegengewalt", erzählt Tänzer Raphael. "Doch dann kam der Hip-Hop und hat die negative Energie umgekehrt und daraus einen weltweiten Lifestyle gemacht." Ende der Siebziger schwappte der Hip-Hop mit der Sugarhill Gang oder Grandmaster Flash nach Deutschland und prägt seitdem auch hierzulande die Kultur mit.
Bei der Partei Die Urbane bilden Niki Drakos und Raphael Hillebrand die politische Doppelspitze. Beide sind in der Szene drin, kennen sich mit Streetart-Projekten aus, haben diese in Problemkiezen immer wieder in Form von Tanz- und Musikprojekten angeboten. Und gute Erfahrungen gemacht
Auch wenn die Aussichten, im Bundestag zu landen, mehr als mäßig sind: Für die insgesamt rund 200 Aktiven der Hip-Hop-Partei ist das alles schon jetzt ein Gewinn. Denn sie haben zumindest versucht, etwas zu ändern in einem Land, in dem sie sich von der etablierten Politik übergangen fühlen.
Sven Bargel
Mehr Infos: www.die-urbane.de