Die Berliner SPD wird weiter den Regierenden Bürgermeister stellen. Das ist aber auch das einzig Gute an dem Ergebnis der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Vor allem Parteichef Michael Müller muss aufpassen, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Noch so ein Sieg und wir sind verloren", hat der Wahlforscher Gero Neugebauer das Abschneiden der Berliner SPD direkt nach der Berliner AbgeordnetenhausWahl kommentiert. Er muss es wissen, Neugebauer ist selbst Sozialdemokrat, kennt seine Partei und weiß: Dieser Sieg ist eine Niederlage: Die etwas mehr als 21 Prozent aller Stimmen sind ein echtes Desaster für die stolze Sozialdemokratie. Zum Vergleich: Selbst beim Chaoswahlkampf 1999 waren es noch 22,4 Prozent aller Stimmen. Die Älteren erinnern sich: SPD-Spitzenmann war damals Walter Momper und ein echter Flop als Kandidat. Selbst die eigene Partei wollte ihn irgendwann nicht mehr sehen, überklebte deshalb seine Konterfeis. Das ist mehr als die Höchststrafe für einen Politiker. Momper hat sich davon auch politisch nicht mehr erholt.
Soweit wird es mit dem aktuellen SPD-Spitzenmann Michael Müller nicht kommen. Auch wenn er den Minusrekord gerissen hat. Gründe dafür gibt es viele. Die neue Parteienlandschaft ist es nicht. Linke und Grüne hat es damals schon gegeben, auch die FDP, nur die AfD ist 2017 neu im Geschäft. Das wissen die Genossen natürlich und sind in eine tiefe Sinnkrise gestürzt. An allen Ecken und Kanten wird diskutiert und gestritten. Einig sind sich die Genossen nur bei der Koalitionsaussage: Die Verhandlungen mit Linken und Grünen sind richtig, ein "Weiter so" mit der CDU kann sich niemand vorstellen. Das gilt auch für die Parteisenioren aus der Arbeitsgemeinschaft "(AG) 60plus". Rot-Rot-Grün finden sie auch hier gut. Ansonsten ist der "Schock nach dem 18. September auch bei uns sehr groß", berichtet AG-Chefin Heidemarie Fischer FORUM. Sie bittet daher um Verständnis, dass die Senioren deshalb keinen Gastbeitrag zum Thema "Was sich die Senioren von einer linken Koalition erwarten" liefern können. Dafür müsse erst der Wahlkampf aufgearbeitet werden und die Gründe für die Niederlage, so Fischer. An den Senioren hat es nicht gelegen", glaubt sie. "Wir waren sehr fleißig und haben versucht, mit unseren Informationsständen viele Bürger zu erreichen". Ganz anders die SPD-Jugend (Jusos). Sie haben ihren Schuldigen gefunden: Michael Müller, der Parteichef und Regierende Bürgermeister. Der darf sich darüber nicht wundern.
Keine verbalen Scharmützel
Müller hat es tatsächlich fertiggebracht, kürzlich den Delegiertenkongress der Jugend zu schwänzen. (siehe Seite 28). Obwohl er natürlich eingeladen war, doch Müller hatte keine Zeit und wohl auch keine Lust. Die Stimmung unter den Jusos im Saal war entsprechend. Auch weil sich Müllers Widersacher, SPD-Fraktionschef Raed Saleh, die Chance nicht entgehen ließ, dort auftrat, deutliche Worte fand, sich von der Jugend entsprechend feiern ließ. Müller wusste, warum er angeblich keine Zeit hatte. Es wäre ein Spießrutenlauf gewesen. Die Jugend hat getobt, als sich der Tempelhofer vor ein paar Monaten regelrecht an die Spitze der Partei putschte, dabei die Lichtgestalt des linken Flügels, Jan Stöß, vom Thron stürzte.
Nur auf den ersten Blick verlief der Putsch-Parteitag damals erstaunlich friedlich. Es gab kaum öffentliche Auseinandersetzungen, keine verbalen Scharmützel. Stöß räumte seinen Posten, Müller nahm ihn ein. Doch hinter ihm wurden Gräben aufgerissen, in die Müller heute stürzen könnte. Vor allem die Jusos tobten, warfen Müller unter anderem politische Beliebigkeit vor, er gehört keinem Parteiflügel an, schlägt daraus aber kein Kapital. Vor allem, weil er sich ungeschickt verhält, was gefährlich ist. Denn wer zu keinem Flügel gehört, wird auch von keinem gestützt. Stöß oder auch Saleh hingegen haben noch nie einen Hehl daraus gemacht, wo sie politisch stehen. Auch in der SPD "Links von der Mitte", mit einem klaren Weltbild. Müller hingegen scheint seines noch zu suchen. Mal greift er die AfD lautstark an, mal ärgert er die Gewerkschaften, weil er sehr den Kontakt zur Wirtschaft sucht. Für linke Genossen ist er einfach zu schwammig. Format sieht anders aus.
Genau das ist auch die Quintessenz eines Papiers, das eine Arbeitsgruppe verfasst hat, die direkt nach den Wahlen das SPD-Desaster aufarbeiten sollte. Müller war nicht dabei, dafür aber jede Menge Genossen des linken Flügels. Mark Rackles, Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Helmut Kleebank, der Spandauer Bezirksbürgermeister, und viele andere.
Herausgekommen ist eine Abrechnung mit Müllers Politik, nach der er eigentlich zurücktreten müsste, schrieb der "Tagesspiegel", nachdem das Papier im Internet nachzulesen war. Auch die Arbeitsgruppe fordert von Müller mehr Profil und nimmt den Wahlkampf aufs Korn.
Der war ganz auf Müller zugeschnitten und vielen Sozis zu lasch. Eines der Plakate taugt heute unter Berliner Sozis zum Running Gag. Berlin ist fleißig, war dort zu lesen. "Ein Spruch, der an Biederkeit nicht zu toppen war", ereifert sich noch heute ein Genosse aus Kreuzberg gegenüber FORUM, der seine Kritik lieber in die Partei trägt, seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er ärgert sich über seinen Parteichef, weiß was die Leute in Kreuzberg über Müller sagen: "Er ist nett, aber nicht glaubwürdig." Verbal mache er sich für neue Wohnungen stark, doch in der Realität falle sein Stadtentwicklungssenator durch deutliche Nähe zu den Immobilienhaien der Stadt auf, heißt es. Das kommt natürlich schlecht an im alternativen Milieu von Kreuzberg. Entsprechend desaströs war das Ergebnis der SPD dort: 18,2 Prozent, weit, weit hinter Grünen und Linken, das tut richtig weh.
Schlechtes Verhältnis zur Presse
"Müller sollte mal richtig durchgreifen", fordern die Genossen in Kreuzberg. Doch das ist nicht sein Stil, er ist oft zu zögerlich und bisweilen einfach ungeschickt. Auch gegenüber Journalisten. Es gibt wohl kaum einen Landeschef, der solch ein schlechtes Verhältnis zur Presse pflegt. Alle anderen Parteien wissen die Presse für sich zu nutzen. Allen voran FDP-Charmingboy Sebastian Czaja, dem im Wahlkampf kein Weg zu weit war, um die Redaktionen persönlich zu besuchen und der in den Medien auch entsprechend gut weggekommen ist. Müller hingegen lässt gerne Interviews platzen, weil er gestellte Fragen einfach nicht beantwortet, auch wenn sie vorher schriftlich eingereicht worden waren. Das bringt nicht nur die Journalisten in Bedrängnis, auch seinen engsten Mitarbeitern ist das so unangenehm, dass sie die düpierten Journalisten dafür zu Veranstaltungen einladen, zu denen sie vorher keinen Zugang hatten.
Dort erleben sie bisweilen einen anderen Michael Müller. Wie beim Sommerfest des Senats vor einigen Monaten. Da hatte der "Regierende" plötzlich Charisma. Ist witzig, wenn er zum Volk spricht, punktet als Typ von nebenan. Genau das, was die Berliner sich wünschen. Seine Kritiker überzeugt das nicht. "Da muss er ja auch keine Stellung beziehen", hält ein Parteifreund dagegen, der den Auftritt ebenfalls beobachtet hat. Für ihn steht sich der "Parteichef einfach "zu oft selbst im Weg."
Von Martin Busche