Die nächste Landtagswahl findet im Saarland statt. Die Abstimmung gilt als erster wichtiger Stimmungstest für die Bundestagswahl im Herbst. Denn wie im Bund regiert an der Saar eine CDU-geführte Große Koalition.
Das Saarland gilt nicht selten als Testregion. Neue Produkte werden dort schon mal gerne auf ihre Markttauglichkeit erprobt. Der Reiz für die Verkaufsstrategen liegt in der Struktur des kleinsten Flächenlandes der Republik mit seinen urbanen Zentren und ländlichen Regionen, das zugleich mit knapp einer Million Einwohnern recht überschaubar bleibt.
Im politischen Tagesgeschäft sorgt das "älteste neue Bundesland", wie sich Saarländer schon mal in einem leicht selbstironischen Anflug bezeichnen, eher selten für große Schlagzeilen. Ausnahmen bestätigen diese Regel dann allerdings eindrucksvoll. In jüngster Vergangenheit hat das Land mehrfach die bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
2009 startet der damalige CDU-Ministerpräsident und heutige Bundesverfassungsrichter Peter Müller das erste und bislang einzige "Jamaika-Experiment" auf Landesebene: das Saarland als Testregion für ein schwarz-gelb-grünes Regierungsbündnis. Nach zweieinhalb Jahren beendet Müllers Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer dieses Projekt mit einem krachenden Paukenschlag, wie zu hören war, sogar gegen den Rat von Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Dabei hatten keine unüberwindbaren inhaltlichen Hürden das Bündnis zum Scheitern gebracht. Ausschlaggebend war eine innerparteilich heillos zerstrittene FDP, die die Koalition an den Rand der Instabilität brachte.
Im Frühjahr 2012 folgte als Konsequenz ein bemerkenswerter Wahlkampf, den CDU und SPD mit dem erklärten Ziel einer Großen Koalition führten. Die Saarländer, des Jamaika-Dauerstreits überdrüssig, bescherten der angekündigten Liaison eine satte Zweidrittel-Mehrheit, sozusagen Vorschusslorbeeren auf ruhige Regierungszeiten. Das zentrale Wahlkampfthema war die Sicherung einer eigenständigen Existenz des Landes im Dreiländereck zu Frankreich und Luxemburg. Es war die Zeit, in der es ernst wurde mit der Haushaltssanierung zur Einhaltung der Schuldenbremse und in der die Geberländer im Finanzausgleich, allen voran Bayern, die Existenz kleiner Einheiten im föderalen System massiv in Frage stellten.
Mentalität: Harmonie der Widersprüche
Die politische Grundhaltung der Saarländer lässt sich wohl am ehesten mit "tendenziell liberal-links" beschreiben. Das katholischste aller Bundesländer (mit einem höheren Katholikenanteil als Bayern) ist als ehemalige Bergbau- und Montanregion von den Einflüssen der katholischen Soziallehre und einer früh entstandenen starken Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung geprägt. Sowohl die CDU als auch die Sozialdemokraten im Saarland gelten vor allem wegen ihrer sozialpolitischen Ausrichtungen traditionell als eher liberale beziehungsweise linke Landesverbände.
Die zahlreichen Brüche und Zerrissenheiten in den letzten Generationen haben die Saarländer zusammengeschweißt und eine Mentalität wachsen lassen, die der Schriftsteller Ludwig Harig treffend als "Harmonie der Widersprüche" beschreibt. Einst ob des Reichtums der Bergbau- und Montanindustrie ständiger Zankapfel der ehemaligen Erbfeinde Deutschland und Frankreich war das Land Aufmarschgebiet in den zahllosen Kriegen. Mit dem Niedergang der Montanindustrie und dem Ende des Bergbaus geriet es in einem ständigen Prozess des Strukturwandels, entfaltet sich heute zum Automobilland und international renommierten Forschungs- und Wissenschaftsstandort.
Die Entwicklung erklärt, warum die Saarländer gerne starke, bodenständige Politiker, die zugleich bundesweit Gewicht haben, an der Spitze der Regierung mit absoluten Mehrheiten ausgestattet haben. Oskar Lafontaine (damals SPD) und anschließend Peter Müller (CDU) kamen ein Vierteljahrhundert ohne Koalitionspartner aus. Grüne und FDP krebsten mit wechselndem Erfolg an der Fünf-Prozent-Hürde.
Die politische Landschaft hat sich entscheidend verändert, seit Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat die Linke mit deutlich zweistelligen Ergebnissen ins Parlament führte. Es sollte Signal werden, dass die aus PDS und WASG vereinte Partei nun auch im Westen Fuß fasst, erkennbar zulasten der SPD.
Die rechnerisch "linke Mehrheit" (SPD, Linke, Grüne) im Land hat auch wegen persönlicher Zerwürfnisse bislang nicht zur Koalitionsbildung geführt. Viele Genossen haben Oskar seinen Abgang als SPD-Bundesvorsitzender, vor allem die Art und Weise, bis heute nicht verziehen. Das hatte die Saar-SPD in einem der denkbar knappsten Wahlergebnisse 1999 die Macht gekostet. Bis heute leidet die SPD unter der linken Konkurrenz.
Als es bei der letzten Wahl 2012 mit der angekündigten großen Koalition vorrangig um die Frage ging, wer diese anführen sollte, sah es lange Zeit nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Heiko Maas (SPD) aus. Am Schluss musste sich der SPD-Landesvorsitzende und heutige Bundesjustizminister einmal mehr mit dem zweiten Platz begnügen. Immerhin: Damit war die SPD im dritten Anlauf an den Kabinettstisch zurückgekehrt. Ihre Minister liefern solide Arbeit ab. Unter Bildungsminister Ulrich Commerçon ist nach jahrelangem Dauerstreit wieder so etwas wie Schulfrieden im Land eingekehrt. Wirtschafts- und Arbeitsministerin Anke Rehlinger ist mit einem "sozialistischen Ergebnis" von 99 Prozent von ihrer Partei zur SPD-Spitzenkandidatin gewählt worden.
Das Hauptziel, die Existenzsicherung, ist noch nicht erreicht
Die Ausgangslage für die Wahl Ende März kommenden Jahres ist derzeit eher unübersichtlich und von einigen Unbekannten geprägt. Als sicher gilt, dass die Piraten im Saarland ihr parlamentarisches Intermezzo beenden. In Umfragen sind sie nur noch unter "Sonstige" erfasst. Ob die FDP nach ihrem katastrophalen Absturz auf 1,2 Prozent als Konsequenz hausgemachter Selbstzerfleischung an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen kann, ist ungewiss, aber nicht ganz unmöglich. Zuletzt lagen sie in Umfragen bei vier Prozent. Zwar herrscht nach einem, auch personellen, Selbstreinigungsprozess wieder eine gewisse Geschlossenheit. Aber außer Parteichef Oliver Luksic mangelt es der Partei an prominenten Köpfen im Land. Die Grünen werden sich vermutlich auf die gewohnte Zitterpartie am Wahlabend einrichten: Aktuell liegen sie bei sieben Prozent, für grüne Verhältnisse im Saarland ein ordentliches Zwischenergebnis.
Bei den Linken hängt erfahrungsgemäß viel davon ab, ob Lafontaine erneut als Spitzenkandidat den Wahlkampf bestreitet. Der 69-Jährige will erst im November entscheiden. Mit ihm sind die Saar-Linken für ein ordentliches zweistelliges Ergebnis gut. Ohne ihn, so Beobachter, dürften sie auf westdeutsches Durchschnittsniveau zurückfallen.
Die große Unbekannte ist die Saar-AfD. Die vom Bundesvorstand betriebene Auflösung des Landesverbandes wegen angeblicher Kontakte ins Rechtsaußenlager ist noch nicht abschließend entschieden. Trotz Negativschlagzeilen kam die Partei beim letzten Saarlandtrend auf elf Prozent.
Die SPD will mit Anke Rehlinger an der Spitze die alte Erfahrung widerlegen, wonach in Großen Koalitionen der Juniorpartner am Schluss immer den Kürzeren zieht. Darauf deuten auch die Umfragen hin, die die CDU zuletzt bei 34, die SPD bei 29 Prozent gesehen haben.
Zugleich tritt Rehlinger gegen eine Ministerpräsidentin an, die sich hoher Beliebtheitswerte erfreuen darf. Wäre eine Direktwahl möglich, hätten sich der letzten Umfrage zufolge 59 Prozent für Kramp-Karrenbauer und lediglich 26-Prozent-Tendenz jedoch deutlich steigend für Rehlinger entschieden. Bei der Politikerzufriedenheit ist der Abstand geringer. 70 Prozent sind mit der amtierenden Regierungschefin zufrieden bis sehr zufrieden, Rehlinger kommt auf 62 Prozent.
Allerdings kann die CDU noch mit einem zweiten gewichtigen Pfand wuchern: Innenminister Klaus Bouillon hat sich mit seiner Art, die Herausforderungen der Flüchtlingssituation zu managen, nicht nur im Land selbst hohe Anerkennung erworben. Mit ihm ist eines der aktuellen politischen Hauptfelder, das Sicherheitsthema, prominent besetzt.
Das erklärte Hauptziel der Großen Koalition, die Existenzsicherung des Landes, ist bislang nicht erreicht. Und ob es noch in diesem Herbst zu abschließenden Vereinbarungen über neue Bund-Länder-Beziehungen kommt, ist ungewiss. Auch deshalb hat Kramp-Karrenbauer bereits die Losung ausgegeben: Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Zu Ende bringen will sie es am liebsten in der jetzigen Konstellation, also weiterhin in einer Großen Koalition. Die SPD hat dieser Offerte die kalte Schulter gezeigt, vermeidet bislang jede Vorab-Festlegung auf angestrebte Wunsch-Koalitionen nach der Wahl.
Oliver Hilt