Eigentlich war es ein richtig guter Start ins neue Jahr. Mein skeptischer Optimismus hat nicht völlig getrogen. Es gibt sie noch, die weltbewegenden Themen jenseits der kurzatmigen Gesetzesverschärfungsdebattenspirale (GVDS). Endlich traut sich jemand an unsere Zukunft, was ja irgendwie auch etwas mit Sicherheit zu tun hat. Denn kaum weniger als die Rettung des Klimas soll sie bringen: Eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch und Milch. Das sollte uns das Klima schon wert sein! Immerhin ist die Idee völlig systemkonform. Wenn einer irgendwo Wald abholzt, muss er woanders aufforsten, wenn wir also mit unserem VW einkaufen fahren, sollten wir halt einen Ausgleich beim Schnitzelkauf leisten. So weit, so gut. Aber leider krankt der Vorschlag des Bundesumweltamtes an seiner Halbherzigkeit, vermutlich in vorauseilender Erwartung all der kleinkarierten Kritik. Natürlich sehen wieder alle Kritikberufenen in Wirklichkeit Finanzminister Schäuble am Werk. Vermutlich hat sein Ministerium auch schon differenzierte Ausnahmeregelungen (für den Kompromissfall) in der Schublade. Etwa nach dem Drogenmodell, wonach Kleinstmengen für den persönlichen Konsum nur mit einem neuen mittleren Steuersatz von 13 Prozent belastet werden. Zum Ausgleich basteln die Finanzbürokraten nach den Erfahrungen des letzten Wahlkampfs bereits vorsorglich an einem grundgesetzlichen Verbot von Veggiedays. Die würden nämlich die Einnahmen schmälern. Soweit Teil eins der Verschwörungstheorie.
Teil zwei wäre ein von den Russen inszenierter Racheakt für die Sanktionen und zur moralischen Destabilisierung des fleischfressenden Westens. Oder stecken gar (Teil drei) großindustrielle Fleischproduzenten mit einem gigantischen Ablenkungsmanöver von der leidigen Tierschutzdebatte dahinter?
Was für ein schönes Thema, bei dem jeder wirklich jeden Nonsens, als Diskussionsbeitrag getarnt, absondern könnte. Blöd nur, dass die Halbwertzeit dieses Nachhaltigkeitsvorschlags gerade mal knapp zwei Tage währte. Nicht einmal der krampfhafte Versuch, daraus eine Debatte über die Unsäglichkeit unseres Mehrwertsteuersystems zu machen, verfing.
Trotzdem war es zumindest den Versuch zu Beginn des Wahljahres wert. Schließlich hat ja schon bei der letzten Bundestagswahl die Kombination aus Ernährung (Veggieday) und Steuererhöhungsdebatte ziemlich lange ernsthafte Debatten über den Zustand unserer Gesellschaft an den Rand gedrückt. Ich bin auf den nächsten Versuch gespannt.
Von Oliver Hilt
Oliver Hilt beobachtet für FORUM die saarländische Politik.
POLITIK
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NACH GEDACHT: Netter Versuch
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