Eine Fraktion zusammenhalten und gleichzeitig als kleinerer Partner in einer Großen Koalition den eigenen politischen Ideen Geltung verschaffen, das erfordert Durchsetzungsvermögen. SPD-Fraktionschef Stefan Pauluhn über Konflikt und Konsens im Parlament.
Herr Pauluhn, Fraktionsvorsitzender von Regierungsparteien stehen meist weniger im öffentlichen Rampenlicht als die Regierungsmitglieder. Sind sie die Strippenzieher im Hintergrund?
Ich finde das Wort Strippenzieher zunächst einmal negativ besetzt. Aber dass man als Fraktionsvorsitzender einer Regierungsfraktion, ich nenne es mal Politik organisiert, ist sicherlich richtig. Wenn man Politik organisiert und den Überblick über alle Politikfelder in einer gewissen Flughöhe nicht zu weit oben, aber auch nicht zu sehr unten halten muss, dann zieht man auch schon mal an der ein oder anderen Strippe, damit es läuft. Und ich finde, das hat in dieser Legislaturperiode ganz gut geklappt, auch im Wechselspiel mit dem Koalitionspartner und den Ministerien.
Darf man das als eine Art Mittlerposition verstehen: auf der einen Seite Chef der Abgeordneten, die aus den Wahlkreisen Anliegen formulieren...
...also der Abgeordnete an sich hat per se keinen Chef. Natürlich muss man eine Fraktion organisieren. Und da geht es nicht immer nur darum: Was will ich? Das Ziel in der Politik ist immer zu vermitteln: Was wollen wir? Da muss man auch immer versuchen, Strömungen in der eigenen Fraktion zusammen zu bündeln.
Zuchtmeister im Stil des berühmten Herbert Wehner?
(lacht) Also Herbert Wehner war immer eines meiner Vorbilder. Es gibt ja viele schöne Zitate von Herbert Wehner, die ich hie und da mal verwende. Aber heute ist das anders als in den späten 60er- und 70er-Jahren. Und es ist sicherlich auch anders in einem kleinen Landtag mit kleinen Fraktionen. Wir sind jetzt 18 Abgeordnete, das ist überschaubar. Da ist alles noch viel persönlicher und nicht so von oben nach unten, wie vielleicht im Bundestag. Da mag Thomas Oppermann (Bundestags-Fraktionschef) vielleicht noch jeden einzelnen kennen, aber sicher nicht mehr in jedem Detail die Arbeitsbereiche und Anliegen jedes seiner Fraktionsmitglieder.
Wie weit kann es in dieser Rolle gelingen, die spezifischen Anliegen des einzelnen Abgeordneten aus deren Wahlkreisen zu berücksichtigen?
Das geht im Saarland ganz gut. Wir sagen ja nicht umsonst, dass wir das Land der kurzen Wege sind. Insofern ist ein Thema, das zunächst einmal, sagen wir im Bliestal oder in Perl eine Rolle spielt, auch sehr schnell ein landespolitisches Thema.
Das ist manchmal arbeitsintensiv und schwierig. Aber es hat den entscheidenden Vorteil, dass da viel Bürgernähe entsteht, und dass Politik auch nicht so abgehoben wirkt in der Bevölkerung, bei allem Gemotze, das es ja gibt. Es ist also nicht so weit weg wie in größeren Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen.
Wie läuft das mit dem, was man Fraktionsdisziplin nennt? Wenn etwa das Kabinett oder die eigenen Minister Dinge planen, die bei dem ein oder anderen Abgeordneten auf Kritik stoßen?
Es ist sicherlich auch so, dass nicht jedes einzelne Vorhaben in jedem Detail von allen geteilt wird. Es kommt darauf an, dass die Richtung stimmt. Das wird dann auch kontrovers diskutiert, und dann findet eine Fraktion auch schon mal eine andere Mehrheitsmeinung, und die wird dann auch vertreten. In dieser Legislaturperiode gab es keinen Fall, in dem die Fraktionen einen ministeriellen Vorschlag gänzlich schlecht gefunden hätten. Es gab wohl hin und wieder strittige Einzelfälle, das hängt auch schon mal mit dem Stadt-Land-Gefälle zusammen. Nicht alles, was auf dem Land als optimal angesehen wird, trifft in der Landeshauptstadt auf Jubelschreie und umgekehrt. Das gilt auch für inhaltliche Fragen, wie beispielsweise im Umweltschutz. Aber wirklich komplett konträre Positionen zu Regierungsvorschlägen, wo ich mit der Faust auf den Tisch hätte schlagen müssen, gab es nicht.
Die eigene Fraktion ist das eine, die Abstimmung mit dem Koalitionspartner die andere Baustelle. Das heißt, noch mal Kompromisse suchen?
Also zunächst einmal: Konkretisiert die eigene Fraktion ihre Vorhaben, dann kommt das in einen gemeinsamen Ausschuss. Wenn man sich da nicht einigt, kommt das Thema in den Koalitionsausschuss. Und da hat man im Zweifel in den Koalitionsvertrag geschaut, was da vereinbart war. Sicher gibt es Bereiche, wo wir mehr wollten. Etwa beim Bildungsfreistellungsgesetz. Da wollten wir zurück zu den ursprünglichen Regelungen. Dies wollte der Koalitionspartner nicht mittragen. Wir konnten aber aushandeln, dass Bildungsfreistellung jetzt auch für Weiterbildung im Ehrenamt oder für politische Tätigkeiten möglich ist. Trotzdem hat das Saarland noch Nachholbedarf, was das Volumen an anrechnungsfreien Tagen angeht. Also wird das ein Thema für den nächsten Koalitionsvertrag.
Der Landtag hat nach langen Diskussionen in dieser Legislaturperiode eine Parlamentsreform beschlossen. Ziele waren eine Stärkung der Oppositionsrechte und vor allem mehr Lebendigkeit der Debatten. Was hat es in der Praxis gebracht?
Ob etwa das Instrument der Kurzintervention oder eine Minute mehr Redezeit dazu beitragen, mehr Lebendigkeit ins Parlament zu bringen, da hatte ich von Anfang an meine Zweifel. Es war wohl eher der Versuch, insbesondere von den Grünen, diese Große Koalition, die ja in der Tat von den Wählern mit über zwei Drittel der Mandate ausgestattet worden war, so dastehen zu lassen, als wären die Bösen an der Macht, die den Kleinen im Parlament keine Nachfragen oder Diskussionen zulassen. Das war aber nie so, im Gegenteil. Wir sind von Anfang an auf die kleineren Fraktionen zugegangen. Das ging schon bei der Ausschussverteilung und der Bestimmung der Vorsitzenden los. Und jetzt werden die großen Errungenschaften leider nur mäßig aufgegriffen.
Es gab ja auch die Forderung, Ausschusssitzungen grundsätzlich öffentlich zu machen, wie in anderen Landtagen. Warum hat man sich nicht dazu durchgerungen?
Ich habe immer die nicht öffentlichen Diskussionen in den Ausschüssen als die empfunden, die am meisten an der Sache orientiert waren, und eben nicht am öffentlichen Aufschlag.
Aber verleiten verschlossene Türen nicht auch zur Legendenbildung?
Ich finde, dass auch die Herstellung der Öffentlichkeit nicht zum Gegenteil führt. Wenn ich sehe, was aus der einen oder anderen Anhörung etwa aus Untersuchungsausschüssen anschließend vertont wird, hat das trotz Öffentlichkeit nicht immer etwas mit dem zu tun, was wirklich im Ausschuss passiert ist.
Eines der wichtigsten Rechte des Parlaments ist das Budgetrecht, also die Entscheidung, wofür unsere Steuergelder ausgegeben werden. Viele zusätzliche Spielräume über den Entwurf der Regierung hinaus gab es in Zeiten der Schuldenbremse nicht.
Es waren im laufenden Doppelhaushalt jeweils eine Million pro Jahr für eigene Akzentsetzungen, das hat sich nicht geändert. Natürlich mussten wir die Schuldenbremse einhalten, und da tut jeder Cent, den man an Zuschüssen abknapsen muss, weh.
Das heißt, es wird tatsächlich in den Beratungen um jeden Cent gestritten?
...nicht gerade um jeden Cent, aber es beginnt schon bei 500 Euro. Wenn dann ein Zuschussbetrag von früher 50.000 auf 45.000 Euro gekürzt wird, wird schon kritisch nachgefragt. Das sind dann für den Betroffenen immerhin zehn Prozent weniger.
Eine Diskussion, die immer wieder aufflammt, ist die nach einem "Feierabendparlament".
Das ist wie bei Loch Ness: Die Forderung taucht regelmäßig etwa zweimal in einer Legislaturperiode auf. Wenn diejenigen, die diese Forderung erheben, meinen, es würde dann billiger, sind sie auf einem Irrweg. Es gibt ja einzelne sogenannte Feierabendparlamente. Dort sind dafür der Mitarbeiterstab und der Verwaltungsapparat viel größer. Es wird also eher teurer statt billiger. Und es gibt eine zweite Fehleinschätzung: Die Größe oder eine Kleinheit eines Landes ist kein Maßstab. Die Anzahl der Gesetze und die gesellschaftlichen Prozesse, die eine politische Debatte nach sich ziehen, sind im Saarland genau die Gleichen wie in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Dieses Parlament hat auch eine Daseinsberechtigung, nämlich die Ansprüche der Menschen im Saarland so politisch organisieren zu können, wie es ihnen gebührt. Ich halte die Frage eines Feierabendparlamentes für keine gute Idee.
Interview: Oliver Hilt
POLITIK
BeckerBredel
Politik organisieren
MEHR AUS DIESEM RESSORT
Fataler Denkfehler
Die AfD-Propaganda entzieht sich der klassischen Vorstellung v ...
26.04.2024
Nachrichten aus Wirtschaft und Politik (26.4.2024)
Drei Fragen ...
26.04.2024
Nach gedacht: Signalwirkung
Beauftragte sind Menschen, denen eine Aufgabe zur Erledigung übertrage ...
26.04.2024
Extremisten schnell entlassen
Seit dem 1. April ist ein neues Disziplinarrecht in Kraft. Es ...
26.04.2024
Zwischen mutigen Initiativen und „Rückwärtspolitik“
Seit einem Jahr regiert eine CDU/SPD-Koalition in Berlin unter ...
26.04.2024
Europas Wahl
35 Parteien und Gruppierungen sind zur Europawahl zugelassen. ...
26.04.2024
Nahaufnahme: Die Allianz gegen den Westen
Die Kriege und Krisen in der Ukraine, in Nahost und Ostasien h ...
26.04.2024
Countdown zum Wahltag
Die Kandidatinnen und Kandidaten sind aufgestellt, die Listen ...
26.04.2024