Mercedes-Benz-Arena am Donnerstag, 18. Mai. Die Alba-Saison ist gefühlt um Wochen zu früh zu Ende gegangen. An diesem Donnerstagabend hätte man in Spiel fünf des Viertelfinals gegen Bayern München stehen können. Hätte. Stattdessen trifft man sich zum Abschied vor der Sommerpause.
Zu Ende gegangen ist eine für Berliner Verhältnisse extrem schlechte Spielzeit. Platz sechs nach der Vorrunde. Das Aus kam in vier Spielen im Viertelfinale gegen Bayern München. Das Saisonziel Vorschlussrunde wurde somit verfehlt. Die circa 400 Fans im Foyer der Arena sparen dennoch nicht mit Liebesbekundungen, keinerlei Missstimmung oder gar Pfiffe. Der Alba-Fan an sich ist schon ungewöhnlich treu, hat viele Hochs erlebt, in letzter Zeit aber auch viele Tiefs. Die werden toleriert, wenn zu erkennen ist, dass die Spieler sich richtig engagieren. Und trotzdem spricht Alba-Geschäftsführer Marco Baldi es auch an: In den letzten beiden Jahren hat sich die Beteiligung an den Abschlussfeiern jeweils im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Das verstehe er auch. Auch sie hätten Fehler gemacht und setzten alles daran, dass im nächsten Jahr das Team wieder die ganze Zeit "mit Leib und Seele" spiele.
Wieder "mit Leib
und Seele" spielen
Nach dem Abschied von Sasa Obradovic nach vier Jahren als Trainer hatten Marco Baldi und Himar Ojeda ihren Wunschkandidaten Ahmet Çak? von Efes Istanbul verpflichtet. Der Neue, ein eher ruhiger, freundlicher Vertreter seiner Zunft, gab als Erstes das Ziel Euroleague-Teilnahme aus. Er erntete Stirnrunzeln, denn gerade war die Euroleague verkleinert worden. Wildcards sind nicht zu erwarten, man müsste also ins Finale einziehen und entweder Bamberg oder Bayern aus dem Weg räumen. Çak?s Basketball-Philosophie wird nie recht klar: Alle, auch die Zuschauer, sollen Spaß haben. Und im Detail? Da wird es schnell vage. In der Praxis erweist sich, dass auch Çak?s Spieler oft nicht so recht wissen, was der Coach von ihnen erwartet. Defensiv klappen die Rotationen und Hilfen nicht, einfache Körbe für den Gegner sind an der Tagesordnung. Später werden die Spieler durchblicken lassen, dass es doch Defensivsysteme gegeben habe, diese seien aber so komplex gewesen, dass die Spieler sie nicht hätten umsetzen können. Und der Trainer sei nicht in der Lage gewesen, von seiner Linie abzuweichen. Vorne gleicht die potente Offensive oft das rückwärtige Desaster aus, aber an schlechten Tagen können die Albatrosse auch gegen Abstiegskandidaten geradezu untergehen.
Zu Hause gegen Science City Jena lässt sich Alba eine 18-Punkte-Führung noch nehmen und verliert kläglich 73:74. Eine der schlechtesten Spielhälften der Berliner in der Vereinsgeschichte. Und beispielhaft für weite Teile der Spielzeit: keine Defense, oft kein Teamplay, desaströse Reboundausbeute bei wechselhaftem Erfolg im Angriff. Zur Saisonmitte, bis kurz vor der Jena-Blamage, gibt es aber auch die Ausreißer nach oben: Zehn Bundesligaspiele in Folge werden gewonnen zugegeben, nicht gegen die stärksten Teams. In Bonn Anfang Februar reißt die Erfolgssträhne. Im parallel laufenden Eurocup erreicht Alba zwar die Top 16, gewinnt von sechs Partien aber nur eine. Dass sich Malcolm Miller, Tony Gaffney, Niels Giffey, Peyton Siva und zuletzt, genau vor den Play-offs, Dragan Milosavljevi? zum Teil langwierig verletzen, erweist sich auch nicht als hilfreich.
Die deutschen Pokal-Top-Four zeigt wieder die Upside der Berliner. Im Halbfinale liefern sie Bayern München durchweg einen großen Kampf auf Augenhöhe, verlieren allerdings am Schluss mit acht Punkten. Tags drauf springt immerhin noch der dritte Platz gegen Ludwigsburg heraus, von Telekombasketball augenzwinkernd mit der Überreichung einer Goldenen Ananas belohnt.
In der Folge in der Liga dann wieder fast nur noch Enttäuschungen. Das Fass zum Überlaufen bringt die Niederlage bei den Eisbären Bremerhaven, als die Berliner 100 Punkte von einer von den Play-offs weit entfernten Mannschaft kassieren, bei nur 92 eigenen.
Zwei Tage nach dem Spiel werden Ahmet Çak? und sein Co-Trainer beurlaubt und Assistenzcoach Thomas Päch, als Chef zuletzt Meister mit Albas U14 sieben Jahre zuvor, übernimmt das Ruder. Mit fünf Spielzeiten als Assistent von Henrik Rödl in Trier als Erfahrung und dem "Alba-Gen" ist er eine gute Wahl, denn umgehend schafft er es, dass die Spieler mit Kampfgeist, Teamspirit und aggressiver Defense auftreten.
Alba trifft im Viertelfinale auf den FC Bayern, ist chancenlos in Spiel eins, verlängert die Serie durch den erkämpften Heimerfolg in Spiel zwei, könnte Spiel drei auch gewinnen, verspielt den Sieg aber am Ende. Spiel vier in Berlin sieht 17 Führungswechsel, bis sich in den letzten eineinhalb Minuten der Qualitätsunterschied offenbart. Alba verwirft Freiwürfe, begeht Schrittfehler, lässt Offensivrebounds zu, als es ums Überleben geht. 82:87. Game und Season over.
Und dennoch: In der K.-o.-Runde zeigen die Spieler, was sie immer hätten sein können, die ganze Saison über: selbstbewusst, beherzt in Angriff und Verteidigung ein Team. Gründe dafür: zum einen der Impuls durch Thomas Päch, andererseits gewiss unter anderem auch die Rückkehr des stark auftrumpfenden Peyton Siva nach langer Verletzung.
Kommt ein neuer Chefcoach?
Und jetzt? Bei der Feier mit den Fans, nur zwei Tage nach dem K. o., ist nichts klar. Thomas Päch und sein Co Sebastian Trzcionka bleiben aber in welcher Funktion? Kommt ein neuer Chefcoach? Mancher will wissen, es würde Denis Wucherer. Sicher ist: Alba wird ein großes Interesse haben (müssen), Niels Giffey, ?smet Akp?nar und auch Akeem Vargas zu halten. Center Bogdan Radosavljevi? hat ohnehin noch Vertrag.
Sicher ist auch, dass Alba mit der Menge an aufstrebenden Talenten unzufrieden ist. So hat man sich von Konstantin Lwowsky (Jugendleiter und NBBL-Chefcoach) und Patrick Femerling (Chef des wegfallenden Regioteams) zum Saisonende getrennt. Für das Heranbringen der Jugendspieler ans Profigeschäft setzt Alba nun auf die Kooperation mit Bernau in der ProB. Ohne Milliardär als Mäzen (Bamberg), Fußballclub in der Hinterhand (Bayern) oder Großsponsor naheliegend wäre ja Mercedes, die aber nicht im Basketball sponsern muss Ex-Ligakrösus Alba nun schon länger kleinere Brötchen backen. In der Sommerpause gibt es also viel zu besprechen.
Joachim Lißner