Die deutsche Rugby-Nationalmannschaft macht sich Hoffnungen auf ihre erste Teilnahme an einer Weltmeisterschaft. Nach den Eindrücken des ersten Qualifikationsabschnitts kurz vor Frühlingsanfang muss der Trip zu den Titelkämpfen 2019 in Japan angesichts einer beachtlichen Entwicklung in den vergangenen Jahren keine Utopie bleiben.
Einst bestenfalls müde belächelt, drängen in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Randsportarten stärker in den Vordergrund: Ob zuletzt die jüngste American-Football-Begeisterung in Deutschland um die NFL oder auch zuvor in der Weihnachtszeit das immense Interesse an der Darts-Weltmeisterschaft in London eine früher kaum beachtete Sportart nach der anderen kommt aus ihrer Nische.
Neuestes Beispiel für die wachsende Vielfalt in Sport-Deutschland ist Rugby. Die deutsche Nationalmannschaft weckte kurz vor Frühlingsanfang für das Spiel völlig verdreckter Hünen auf schlammiger Wiese im ersten Abschnitt der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2019 in Japan nach einer beachtlichen Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit vergleichsweise große Aufmerksamkeit und nutzte die Gelegenheit durch zum Teil historische Erfolge.
Der Deutsche Rugby-Verband (DRV) will die gestiegene Chance auf größere Popularität seiner hauptsächlich in den Staaten des britischen Commonwealth betriebenen, aber nicht zuletzt auch in Frankreich sehr beliebten Sportart nutzen langfristig jedenfalls: "Wir wollen die Teamsportart Nummer drei werden", sagte DRV-Sportdirektor Manuel Wilhelm Mitte März am Rande des WM-Ausscheidungsspiels in Köln gegen Spanien trotz des ersten Dämpfers im Rennen um die Tickets nach Japan (15:32) ganz unbescheiden. Doch Wilhelm und seine Mannen planen nicht den Frontalangriff auf das sportliche Establishment wie etwa RB Leipzig in der Fußball-Bundesliga.
Weil der DRV seinen Sport nach den Worten seines Präsidenten Klaus Blank noch als "schlafenden Riesen" sieht, setzt der Verband auf kontinuierliche Aufwärtstendenzen: "Wir setzen uns für unser Ziel kein Zeitlimit, denn im Moment ist es ja auch eher noch eine Vision. Aber wir glauben fest daran, dass unser Sport das Potenzial dazu hat, in Deutschland sehr populär zu werden." Die Pläne klingen vermessener als ihre tatsächlichen Chancen. Doch warum sollte Rugby andererseits eigentlich nicht auch in Deutschland ein Publikumsrenner werden?
Großes
Potenzial
in Deutschland
So unästhetisch die schwergewichtigen Kolosse auf dem Feld auf den ersten Blick auch wirken mögen, so sehr bietet Rugby nämlich schnörkellosen Sport geradezu in Reinkultur mit zahlreichen Facetten: Das Spiel an sich besitzt Rasse wie ein umkämpftes Match im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga, die Spieler tänzeln wie Boxer, reißen sich gegenseitig um wie Ringer und sind im Umgang mit den gegnerischen Spielern im Rahmen der Regeln hart wie Handball. Die taktischen Varianten erinnern in ihrer Vielzahl an die Möglichkeiten beim American Football, und der Spielfluss erinnert sehr an die Intensität beim Basketball.
Auch aus diesen Gründen hat der Sport in vielen Teilen der Welt eine große bis sehr große Bedeutung, die Rugby-WM generiert lange schon das größte Zuschauer-Interesse an einem Sportereignis nach der Fußball-WM und Olympischen Spielen, und 2016 in Rio de Janeiro bekam der Sport in seiner Variante mit sieben Spielern sogar olympische Weihen. Umso größere Bedeutung hätte für das deutsche Team die deutschen Fünfzehn wie man wegen der Anzahl der Spieler auf dem Feld auch sagt seine WM-Premiere. Das Debüt im Fokus einer weltweiten Öffentlichkeit käme für das Rugby hierzulande einer Initialzündung gleich.
Das Fernsehen hat die Chance auf neue Helden bereits gewittert: Die Begegnung mit Spanien wurde bei Sport1 als erstes Match der deutschen Länderspiel-Geschichte im Rugby live im Free-TV übertragen. Passend zur spürbaren Aufbruchstimmung sorgten auf den Rängen gleich mehrere tausend Fans im Stadion des Fußball-Regionalligisten Viktoria Köln für einen beachtlichen Besucherzuspruch. Womöglich haben Programmplaner und Zuschauer ein gutes Näschen: Nach der ersten Hälfte der Ausscheidung für Japan, bei der zugleich auch der EM-Titel ausgespielt wird, liegt die Mannschaft von Bundestrainer Kobus Potgieter im Kampf mit Rumänien, Belgien, Spanien und Russland um maximal zwei WM-Plätze neben dem automatisch für die WM qualifizierten EM-Titelverteidiger Georgien vergleichsweise gut im Rennen, die Entscheidung fällt jedoch erst im Frühjahr 2018.
Für Zuversicht sorgte vor allem der Traumstart in die WM-Qualifikation: Gegen den WM-Dauerteilnehmer und Vize-Europameister Rumänien feierten Potgieters Spieler völlig überraschend mit 41:38 den ersten Erfolg über das Team vom Balkan seit fast 50 Jahren. Der Erfolg und die allgemeine Aufwärtsentwicklung des Sports ist kein Zufall.
Seit rund fünf Jahren pumpt der milliardenschwere Unternehmer und Rugby-Liebhaber Hans-Peter Wild aus Heidelberg das notwendige Geld in den lange brach gelegenen Aufbau von angemessenen bis professionellen Strukturen im Verband und damit in die Qualität der Arbeit im sportlichen Bereich.
Aufwärtstrend
ist kein
Zufall
Sein Engagement gleicht auch Standortnachteile wie gegenüber Spanien aus, wo die nationale Fußball-Liga LFP den heimischen Rugby-Sport mit jährlich immerhin 200.000 Euro unterstützt. Nicht von ungefähr kam durch Wilds Unterstützung Potgieter als anerkannter Experte aus dem Rugby-Land Südafrika, wo die "Springbocks" mehr noch als die Fußballer wahrhaftige Volkshelden sind, zum DRV. Vereinzelt lockten die Perspektiven auch Profis mit eingeschränkten Möglichkeiten als zusätzliche Entwicklungshelfer aus der Kaprepublik nach Deutschland.
Zugleich gründete Wild, der sein Vermögen mit der Produktion des Erfrischungsgetränks "Capri Sonne" macht, in seiner Heimatstadt die "Wild Rugby Academy" und gab damit dem Rugby sowohl in breiten- als auch leistungssportlicher Hinsicht immens wichtige Impulse.
Der Aufstieg erfolgt ungeachtet der größeren Ambitionen weiterhin lediglich in kleinen Schritten, aber eben stetig: Schon 2015 war die DRV auf dem Sprung zur WM-Endrunde in England, scheiterte aber letztlich als Sieger der europäischen B-Gruppe in den Play-off-Spielen doch noch an Russland. Im vergangenen Jahr allerdings bedeutete der am letzten Spieltag gesicherte Klassenverberbleib in der höchsten Kategorie mit den führenden Ländern des Rugby-Sports das Optimum. Der Sieg über WM-Teilnehmer Uruguay während der Vorbereitung auf die WM-Qualifikation im vergangenen Herbst unterstrich nur die positive Tendenz, ehe nun der Coup gegen Rumänien bereits ein tatsächliches Highlight darstellte. Das Lob von Rumäniens Nationalcoach Lynn Howells kam für die DRV-Mannschaft einem Ritterschlag gleich: "Im Vergleich zum vergangenen Jahr haben sich die Deutschen in allen wichtigen Bereichen um 100 Prozent gesteigert". In der Weltrangliste sind inzwischen auch schon die Top 20 für das deutsche Team in Reichweite. "Unsere Ergebnisse", meint Nationalmannschafts-Kapitän Sean Armstrong denn auch mit deutlich sichtbarem Stolz, "unsere Ergebnisse in den letzten Jahren zeigen, dass es wirklich bergauf geht. Wir haben uns rasant entwickelt".
Weil Stillstand auch im Rugby Rückschritt bedeuten würde, hat Potgieter seinen Mannen auch die WM-Teilnahme vorgegeben: "Es gibt einfachere Aufgaben, aber wir müssen groß denken und unseren Traum so lange wie möglich leben, dann kommen wir auch voran."
Teammanager Robert Mohr, ein früherer Rugby-Legionär in Frankreich, konstatierte allerdings in einer Zwischenbilanz enorme Fortschritte: "Unsere Arbeit zahlt sich langsam aus. Wir werden auf der Rugby-Landkarte endlich wahrgenommen". In der Tat hat das rugby-affine Ausland die Entwicklung im Fußball-Land Deutschland längst registriert. Die renommierte Sunday Times in England widmete dem Aufschwung der DRV-Fünfzehn in der jüngeren Vergangenheit eine ganzseitige Reportage. Die Überschrift spricht Bände: "Achtung: Germany is coming!" Man kann es kaum erwarten.
Samira Manzke