Nach seinen Siegen bei den Sandplatzturnieren in München und Rom führt Alexander Zverev die deutschen Herren ohne Bodenbedenken zum Grand Slam unter den Eiffelturm. Verteidigen muss sich der Top-Ten-Spieler nicht nur gegen Attacken auf dem Platz, sondern auch gegen kurzsichtige persönliche Angriffe. Überflüssig, wie einst bei Boris Becker.
Und wieder hebt er gefühlvoll, mit perfekter Technik und Taktik einen Stoppball übers Netz. Manchmal, wenn es drauf ankommt, kann der Sandplatztiger mit Geburtsort Hamburg ganz langsam werden und starke Gegner damit gleichsam entspannt ruhigstellen. Der schnelle Alexander, genannt "Sascha", ein 20-Jähriger, der fast zwei Meter groß ist, verfügt über viele Varianten auf seinem wild entschlossenen Weg an die Spitze der Welt. Wo er selbst nach Meinung des Sandplatzkönigs Rafael Nadal, der mehr und mehr zum direkten Konkurrenten wird, über kurz oder lang landen könnte.
Tigerschnelle Sprünge im Sand zur Seite gehören zu seinen Spielarten. Wenn man Sascha Zverev einfach machen lässt. Nicht nur auf dem Court, sondern auch daneben. Dort wo er sich regenerieren und nicht verbiegen lassen will. Wo er schon jetzt kleinlichen Attacken ausgesetzt ist, wie einst Boris Becker, der ebenfalls in jungen Jahren erstaunliche Erfolge feierte.
Akrobatische Künste und ein über-raschendes Tempo
Das deutsche Herrentennis hat wieder einen Spieler, bei dem es sich lohnt, das legendäre, internationale Sandplatzturnier in Paris auch mit der nationalen Brille anzuschauen. Einen Sandplatz-Könner, der irgendwann bei einem Grand Slam den Altvätern wie Nadal die Krone sanft, aber entschlossen, vom Kopf stoßen könnte.
Einen kleinen Vorgeschmack darauf gab Zverev unter anderem in der ersten Maiwoche in München, bei den 100. Bayerischen Meisterschaften auf Sand. Bei einem ATP-Turnier, das ähnlich wie Paris regelmäßig unter Regeneinbrüchen leidet. Wobei die kleinen BMW Open am Aumeister, anders als die French Open, keine flexiblen Dächer installieren werden. Am Bois de Boulogne allerdings ist endlich der Weg bereitet für eine Schutzabdeckung über dem Court Philippe Chatrier mit Fertigstellungsdatum 2020. Bis dahin müssen Spieler und Zuschauer mit allen Wetterkapriolen und Wartezeiten zurechtkommen. Wie beim Sandplatz-Härtetest in Süddeutschland.
Nach Paris im Frühsommer kommen (fast) alle Granden des Tennis-Zirkus, um auf dem langsamen Boden mit seiner trägen roten Asche ihr sportliches Vorwärtskommen anzuschieben. Rafael Nadal, von Boris Becker als Favorit gesehen, Titelverteidiger Novak Djokovic, Stan Wawrinka, Andy Murray, Marin Cilic, Dominic Thiem, Jack Sock, Roberto Bautista Agut, Wilfried Tsonga. Aber auch Gaël Monfils, Fabio Fognini, Hyeon Chung, Horacio Zeballos (gegen den Philipp Kohlschreiber in München im Achtelfinale ausschied) und John Isner. Vielleicht auch Guido Pella, der 2016 beim Sandplatz-Grand-Slam in der zweiten Runde ausschied. Nur Roger Federer verzichtet trotz guter Form, da der Fokus des 35-jährigen Schweizers ganz klar auf der Rasensaison mit "seinem" Turnier in Wimbledon liegt. Von den deutschen Top-Hundert-Spielern sind Alexander (Sascha) Zverev, Philipp Kohlschreiber, Mischa Zverev (Saschas älterer Bruder), Florian Mayer, Jan-Lennard Struff und Dustin Brown für die French Open gesetzt.
Anstrengung und Show gehören bei großen und kleinen Events auf roter Asche dazu. Im Münchner Halbfinale setzte sich Sascha schon mal gegen einen Nadal-artig stöhnenden Spanier durch. Gegen Roberto Bautista Agut zeigte der jüngere der Zverev-Brüder akrobatische Künste und ein überraschendes Tempo auf Sand. Aber nicht nur Alexander Zverev wird immer besser, auch der viertbeste Deutsche, Jan-Lennard Struff, legt derzeit an Unbezwingbarkeit zu. Entsprechend hart und knapp verlief das Match der beiden am Tag zuvor im Viertelfinale am Aumeister. Bis zum Tiebreak im dritten Satz. "Das ist sehr bitter", ließ der unbewegte "Struffi" nach seinem Ausscheiden Gefühle zu.
Reicht die Kraft nach mehreren engen, harten, langen Duellen noch fürs nächste Match? Saschas klare Antwort vor dem dann auch tatsächlich erfolgreichen Finale in München: "Ja, jaaa." Der erste Turniersieg in Deutschland war für den jüngeren Zverev ganz besonders: "Mein erster Titel auf Sand. Das heißt, ich spiele auf allen Belägen gut." Gute Aussichten für die French Open. Die vorläufige Krönung folgte dann in Rom: Sieg im Finale gegen Novak Djokovic.
Im Finale der BMW Open war der Boden durch die Regenmassen besonders langsam geworden. Sascha liebt eigentlich schnellen Untergrund, lebt von seinen rasanten Schlägen. Über-Kopf-Bälle sind eine Spezialität des Hünen. Aufschläge bis über 220 Kilometer pro Stunde für ihn kein Problem. Ebenso temporeiches Querrüberrutschen zum Ball. Dafür hat er extra trainiert, mit dem Athletiktrainer Jez Green, der auch an Andy Murrays rasantem Vorwärtskommen mitgewirkt hat. Zverev, der Streber nach Perfektionstennis, zeigt jetzt bereits nicht nur Willens-, sondern auch Körperkraft. Erstaunlich. Im direkten Gegenüber sieht der knapp Zwei-Meter-Mann noch sehniger und dünner aus, als auf dem Bildschirm und auf Fotos. Bis er 21 wird, soll seine Athletik voll ausgebildet sein. Damit Sascha Zverev auch Matches über fünf Sätze, wie in Grand Slams vorgesehen, durchhält. Ein Kraftakt, der für jüngere Spieler noch kaum zu meistern ist.
Aufschläge von
mehr als 220 km/h sind kein Problem
"Der Erste einer neuen Zeit" stand neben dem Siegerauto in München ist das Alexander Zverev für das deutsche Herrentennis?
Auch der 26-jährige Guido Pella grub sich beim Finale in den Sand, der schwer war, auch wenn so manche Schaufel vor dem Match vom Platzwart frisch nachgelegt worden war. Längere Zeit sehr erfolgreich, bis Sascha den unerbittlichen Turbo-Gang einlegte. "Ich weiß, dass es dich nicht glücklich macht, hier nicht gewonnen zu haben. Ich bin überzeugt, auch Du wirst Turniertitel gewinnen", drückte Zverev dem bezwungenen Argentinier durchaus emotional seinen Respekt für dessen starken Marathon mit sieben Matches aus. Ekelpakete sind anders.
So charmant Sascha jenseits der Matches lächeln kann, so schmallippig wird er, wenn er auf etwas angesprochen wird, das er nicht beantworten möchte. Das eine Mal ist das die Frage, ob er denkt, dass die French Open zu knacken sein müssten. Nachdem er mit dem schwierigen Sand in München so gut zurechtkam. "Das sind noch dreieinhalb Wochen bis zu den French Open." Eine Woche nach der anderen, ein Masters nach dem anderen abarbeiten, sei seine Denkweise.
Das andere Mal nervt ihn bei der abschließenden Pressekonferenz in München die Frage nach einem kleinen Schläfchen. Das Sascha sich vernünftigerweise in der dreistündigen Wartezeit aufs Finale gegönnt hatte, nachdem er sich im Regen im Freien unter Echt-Bedingungen eingespielt und Kraft trainiert hatte. Die deutsche Nummer eins beendete die Journalistenrunde, die bereits knapp zehn Minuten gedauert hatte, an dieser Stelle. Mancher verübelte ihm das.
Der jüngere Zverev ist geradlinig, auch wenn er brüsk wirkt. Im Spiel wie an den Nebenschauplätzen. Keineswegs empathielos. Sogar während des Finales war sein Blick an Kindern hängen geblieben, die sich mit Plastiktüten über ihrer durchweichten Kleidung gegen Wind und Kälte schützten. Im Blick hatte er schon beim Hereinkommen die VIP-Tribüne, auf der Hostessen die Sitze trockneten und die besonders "wichtigen" Gäste mit Massen an isolierenden Sitzkissen, Handtüchern und Decken versorgten.
Zverev ist keiner, dem es egal ist, wie es den Menschen um ihn herum geht. In München wandte er sich nach seinem Sieg zunächst an die Zuschauer. Noch bevor er höflich den Sponsoren, den Club-Vertretern und dem Turnierdirektor "Herr Patrick" (Kühnen) seine Referenz erwies: "Vielen Dank an Euch alle als allererstes, dass Ihr auch im kalten Wetter immer zu mir gehalten habt und immer hiergeblieben seid ... Es ist viel später losgegangen, und Ihr seid trotzdem hiergeblieben. Ihr seid mir sehr wichtig. Ohne Euch alle verliert dieses Turnier hier sehr viel an Wert. Vielen Dank an Euch."
Auch unter dem Himmel von Paris wird den Zuschauern Durchhaltevermögen abverlangt. Spannung ist garantiert. Der Franzose Gaël Monfils sagte in München ganz klar, dass er die French Open gewinnen will. Dort warfen ihn die dominanten Aufschläge und die Grundlinienkünste des Südkoreaners Hyeon Chung im Achtelfinale aus dem Rennen.
Geradlinig, auch wenn er brüsk wirkt
Noch schlimmer traf es anschließend Mischa Zverev, der gegen "Winnie Puh" Martin Klizan antrat. Der Slowake, der jeden seiner unerbittlichen Schläge und Returns mit einem lauten "Oh, oh" in der Original-Comic-Bären-Tonlage begleitete, dominierte die Partie gegen den 29-jährigen, älteren Zverev-Bruder von Anfang an. 6:2, 6:1 hieß es am Ende.
Mehr Erfolg könnte Mischa angesichts seiner Australian-Open-Siege über Andy Murray und John Isner dennoch in Paris beschieden sein. Den anderen deutschen Herren in diesem Jahr ebenso. Besonders dem jüngeren der Zverev-Brüder, Sascha. Wenn man den 20-Jährigen nur in Ruhe lässt.
Annegret Handel-Kempf