Cristiano Ronaldo wird von Fußballfans entweder gehasst oder geliebt, dazwischen gibt es nichts. Der 32-Jährige ist der am meisten polarisierende Fußballstar der Neuzeit, was vor allem mit seinem extravaganten Auftreten zusammenhängt. Neben der ganzen Show ist er aber schlicht und ergreifend momentan der beste Fußballer auf diesem Planeten.
Jeder der Cristiano Ronaldo schon einmal spielen gesehen hat, kennt diese Szenen. Dieser Hauch von Majestätsbeleidigung in seinem Blick, wenn ein gegnerischer Verteidiger sich traut, ihm mit ein wenig Härte im Zweikampf entgegenzutreten. Das Zelebrieren seiner Freistöße. Ebenso präsent sind aber auch seine Dribblings, seine Schnelligkeit und vor allem seine Tore. Bestaunen durften dies vor Kurzem die Abwehrreihen von Bayern München und Atlético Madrid. Fünf Treffer gegen die Bayern, drei im Stadtderby. Im Halbfinal-Rückspiel bei Atlético nahm sich der Superstar eine schöpferische Pause. Dann bleibt eben nur noch das extravagante Auftreten, ohne Tore. Genau dabei finden die Leute, die ihn nicht mögen, ihre Angriffsfläche. Dass er jedoch eigentlich ein ganz netter Typ sein soll, vielleicht mit der ein oder anderen Macke, berichten unter anderem Toni Kroos und Carlo Ancelotti. "Er hat einen sehr guten Charakter. Es gäbe bestimmt viele Menschen, die nach all den Erfolgen, die Cristiano erreicht hat, etwas nachlassen würden. Er aber nicht. Er will immer gewinnen", beschreibt Kroos den 32-Jährigen. Auch Ancelotti streicht den Ehrgeiz des Weltstars heraus. "Er nahm auch nachts um drei Uhr noch ein Eisbad in Valdebebas, selbst als zu Hause Irina Shayk (Ronaldos Ex-Freundin) wartete. Geld ist ihm egal, er will einfach überall der Beste sein", so der Italiener.
"nachts um drei noch ein eisbad"
In den Halbfinals der diesjährigen Champions League zeigte Ronaldo genau das. Mittlerweile hat er 52 Tore in K.-o.-Spielen der Champions League erzielt. Kein anderer Spieler hat so oft in den entscheidenden Partien getroffen. Sieben Mal hat er in der Königsklasse drei Tore in einem Spiel gemacht lediglich Lionel Messi ist das genauso oft gelungen. Der Argentinier aber kann nicht mehr kontern. Er ist mit dem FC Barcelona im Viertelfinale krachend an Juventus Turin gescheitert. Real steht zum siebten Mal in Folge im Halbfinale. Das ist Rekord. Bestmarken sind Ronaldos Antrieb, die er nun auch zu Genüge innehat. Dass er dabei mit seinem arrogant wirkenden Auftreten einigen Leuten auf den Schlips tritt, stört ihn aber scheinbar nicht. Während ein Messi völlig darauf verzichtet, reizt Ronaldo das Spektrum vollkommen aus. Warum auch nicht?
Cristiano Ronaldo begann seine Karriere einst in Funchal. Sein Talent wurde im Falken-Viertel von Santo António früh erkannt. Sie nannten ihn Bienchen und bewunderten an ihm die Schnelligkeit, das Ballgefühl oder die Dribblings. Vielleicht ist Ronaldo ja der letzte große Straßenfußballer. Mit neun Jahren nahm ihn der Kleinclub Andorinha auf. Der Vater war dort Platzwart. Der Andorinha-Präsident lud Vertreter von Maritimo und des Stadtrivalen Nacional Funchal zu Verhandlungen, doch weil Maritimo nicht erschien, bekam Nacional den Zuschlag. Andorinha erhielt im Gegenzug zwanzig Bälle und anderes Ausrüstungsmaterial dazu. Heute darf für Ronaldo knapp 100 Millionen hingeblättert werden.
Im Gegensatz zu Maritimo sind Andorinha und Nacional im Ronaldo-Museum präsent. Die schwarz-weißen Trikots befinden sich in guter Gesellschaft: Sporting Lissabon, wohin Ronaldo als Zwölfjähriger wechselte, Manchester United, Real Madrid, die portugiesische Auswahl Stationen eines ganz besonderen Fußballer-Lebens. Mittlerweile fehlt ihm in seiner Titelsammlung lediglich der Weltmeistertitel. Nach dem überraschenden Europameistertitel wird er dies aber verschmerzen können. Vier Mal Weltfußballer, drei Mal Champions League-Sieger, drei Mal englischer Meister und so weiter und so fort.
Neben seinem eigenen Hotel wurde nun auch ein Flughafen nach ihm benannt. Seit dem 29. März heißt der Aeroporto da Madeira offiziell "Aeroporto Internacional da Madeira Cristiano Ronaldo". Das sei nur ein Marketinginstrument, um Touristen anzulocken, sagten Kritiker. Befürworter hoben derweil die Exzellenz des Geehrten hervor. Manch einer ließ sich mit Ronaldos Büste fotografieren, die dem Original wenig ähnelt. Und gerade dann, wenn einem sogenannten Hater das Getue um den arroganten Flügelflitzer wieder richtig nervt, tauchen Filmchen von ihm auf, wie er sich Zeit für die Fans nimmt, während alle anderen Spieler schon im Bus sitzen, oder wie er ein Herz für Menschen hat, die im Leben im Abseits stehen. Von seinem Beraterkreis werden ab und an Meldungen gestreut, wenn sich Ronaldo für einen wohltätigen Zweck einsetzt. Offenbar hat er bereits mehrere Millionen gespendet. Das ist bei einem Jahresgehalt von geschätzten 24 Millionen Euro selbstverständlich möglich muss aber dennoch erst geleistet werden. Ähnlich verhält es sich mit seinem Sohn Cristiano junior. Cristiano senior kümmerte sich darum, das alleinige Sorgerecht zu erhalten. Um die der Öffentlichkeit unbekannte Mutter davon zu überzeugen, soll auch Geld gezahlt worden sein.
bereits mehrere millionen Euro gespendet
Dem Starkicker würde es Sympathiepunkte bringen, Einblicke in sein Innenleben zu geben. Ronaldo aber hat das nicht nötig. Immer fokussiert auf das nächste Spiel. Den nächsten Titel. Er ist der Traum jedes Trainers und der Albtraum jeder Abwehrreihe. Der beste Spieler derzeit. Und das trotz seines fortgeschrittenen Fußballeralters. Der "Guardian" lobte den ehemaligen United-Spieler vor ein paar Wochen überschwänglich: Das, was bei Cristiano Ronaldo unter "Müll" laufe, sei für alle anderen immer noch "ihr bestes Spiel aller Zeiten, ihre beste Saison, ihre Nacht der Träume". So verklärt man normalerweise alte Legenden, nur dass Ronaldo gerade in aller Deutlichkeit klarmacht, dass sich seine noch in Arbeit befindet. 32 Jahre ist Ronaldo inzwischen alt. Er ist nicht mehr so explosiv und schnell wie noch vor zwei, drei Jahren, das sieht jeder. Trotzdem trifft er weiterhin wie am Fließband, ist in den wichtigen Momenten da. Vor allem, weil er seinen Spielstil grundlegend geändert hat. Ronaldo hat sich davon verabschiedet, Spielen dauerhaft seinen Stempel aufzudrücken, sie an sich zu reißen. Er rückte über die Jahre erst immer weiter nach vorne, dann immer weiter ins Zentrum. Den insgesamt acht Toren, die er den Bayern und Atlético in der Champions League einschenkte, gingen keine Einzelaktionen, keine Dribblings voraus. Stattdessen traf er per Direktabnahme, mit links, mit rechts, mit dem Kopf, wie eine Nummer neun eben, ein waschechter Strafraumstürmer.
Immer wieder lauert er erfolgreich an der Grenze zum Abseits, mal, weil er es wie beim 1:0 gegen Atlético clever aushebelt, mal, weil ihm wie im Rückspiel gegen Bayern der Linienrichter hilft. Gegen Atlético hatte Ronaldo (50) nach Karim Benzema (40) die wenigsten Ballkontakte aller Real-Feldspieler; drei davon im gegnerischen Strafraum: Es waren seine drei Tore.
spielstil grundlegend geändert
Noch im Rückspiel gegen Bayern hatten einige Real-Fans Ronaldo ausgepfiffen. Nach seinem dritten Tor gegen Atlético forderte er die Zuschauer wieder gestenreich auf, doch lieber zu applaudieren. "Ich möchte einfach nur, dass sie mich nicht mehr auspfeifen", sagt er. Seine Pausen, die er sich im Spiel mit zunehmendem Alter zu nehmen pflegt, gefallen dem Publikum, das unterhalten werden will, nicht. Dabei sind auch sie ein Erfolgsgeheimnis, mehr noch die Pausen, die er sich zwischen den Spielen nimmt. Nur in 26 der 35 Ligaspiele kam er zum Einsatz, nie spielte er in einer Saison für Real weniger, und das liegt nicht nur an der Verletzung, die er aus dem EM-Finale mitgebracht hatte: Ronaldo lässt ganze Spiele aus und wirkt auch deswegen in diesem Saisonendspurt so fit wie lange nicht.
"Er weiß selbst, dass er manchmal nicht spielen sollte", wehrte Zidane am Dienstagabend jegliches Lob dafür ab, Ronaldo ab und zu, vor allem auswärts, aus der Mannschaft genommen zu haben. "Es ist nicht nur dieses Jahr, es geht um das, was sich über die Jahre angesammelt hat. Er weiß das selbst, weil er intelligent ist." Cristiano Ronaldo hat erkannt, inwiefern er sich anpassen muss, wenn er weiterhin an seiner Legende arbeiten will. Er sagte über sich selbst: "Ich weiß nicht, wer an Cristiano Ronaldo zweifelt." Ob der Fußballfan ihn mag oder nicht, seine Zahlen und seine Leistungen lassen einfach keine Zweifel zu. Der Legendenstatus ist schon lange erreicht.
Philipp Häfner