Die Moderne Fünfkämpferin Annika Schleu steht meist im Schatten ihrer Kollegin Lena Schöneborn. Dabei gewann die Berlinerin in der Staffel ebenfalls schon mehrmals Gold, bei Olympia war sie Vierte. Eine internationale Medaille im Einzel fehlt ihr aber noch.
Es gibt wohl kaum eine Sportart, die in Deutschland so sehr mit einer Person assoziiert wird, wie der Moderne Fünfkampf mit Lena Schöneborn. Die Berlinerin wurde 2008 Olympiasiegerin, 2015 Einzel-Weltmeisterin und ist zudem mehrmalige Welt- und Europameisterin im Team und mit der Staffel; sie ist hierzulande "Miss Moderner Fünfkampf". Das musste im vergangenen Jahr bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien) auch Annika Schleu erleben. Als sie am Abend nach dem Wettkampf das Deutsche Haus besuchte, waren die meisten Besucher traurig, weil es für Schöneborn dieses Mal nicht für eine vordere Platzierung gereicht hatte. Dass Schleu ihre Teamkollegin allerdings hervorragend vertreten hatte und Fünfte geworden war nach der Disqualifikation der Chinesin Chen Qian ist sie mittlerweile sogar auf Rang vier vorgerückt , ging dabei fast völlig unter.
WM in Kairo vom 22. bis 28. August
Annika Schleu kennt es nicht anders, und sie ist auch nicht neidisch auf Lena Schöneborn. Ein bisschen mehr Anerkennung wünscht sich die Berlinerin trotzdem manchmal. "Eine ordentliche Leistung, für die man in anderen Sportarten wie der Leichtathletik und beim Biathlon bereits bejubelt werden würde, reicht für uns Fünfkämpfer nicht aus, um wahrgenommen zu werden. Wir müssen schon eine Einzelmedaille bei Olympia oder bei der WM gewinnen, damit es für die Medien interessant ist."
Die nächste Gelegenheit bietet sich vom 22. bis 28. August bei den Weltmeisterschaften in Kairo. Annika Schleu startet dort zunächst in der Staffel zusammen mit Lena Schöneborn. Die Deutschen sind Titelverteidiger und gewannen erst kürzlich auch bei der EM in Minsk wieder die Goldmedaille. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir nicht auch dieses Mal wieder aufs Treppchen wollen", sagt Schleu. So wie schon bei der WM 2012 und 2016 und bei den Europameisterschaften 2011, 2013, 2014, 2015 und ganz aktuell 2017. Auch die Männerstaffel hat Medaillenchancen zuletzt gab es EM-Bronze, vor zwei Jahren bei der Heim-WM in Berlin sogar sensationell Gold.
Im Einzel ist Schleus Bilanz dagegen weniger rosig. Dort wartet die Siebte der Weltrangliste immer noch auf ihre erste internationale Medaille, ganz im Gegensatz zu Lena Schöneborn. Falls es nun ausgerechnet in Kairo klappen sollte, wäre das durchaus bemerkenswert, denn Annika Schleu ist schon lange nicht mehr so zurückhaltend an einen Saisonhöhepunkt herangegangen. "Es gab sicher schon Meisterschaften, auf die ich mich mehr gefreut habe", sagt sie und spricht damit aus, was wohl viele im deutschen Team denken. Warum der Weltverband die Weltmeisterschaften ausgerechnet nach Kairo vergeben hat, noch dazu im Sommer, wenn dort Temperaturen von 45 Grad herrschen, bleibt ein Rätsel. Zumal auch die Sicherheitslage in Ägypten noch immer ein Problem ist. Das Land befindet sich seit der Januar-Revolution von 2011 in einer Umbruchphase, die wiederholt zu Demonstrationen und gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt hat. Das Auswärtige Amt hat eine Teilreisewarnung herausgegeben. Es bestehe landesweit ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge und die Gefahr von Entführungen; Demonstrationen und Menschenansammlungen sollten unbedingt gemieden werden.
Als der Weltcup im März in Kairo Station machte, offenbarte sich ein weiteres Fünfkampf-spezifisches Problem. Die Pferde, die der Veranstalter zur Verfügung stellte, waren zum Teil sehr schwierig zu reiten etliche Teilnehmer bekamen deshalb in dieser Disziplin null Punkte und mussten all ihre Hoffnungen auf ein gutes Abschneiden frühzeitig begraben. Auch Annika Schleu war betroffen, für sie reichte es am Ende nur zu Rang 29. "Ich hoffe, das Niveau der Pferde ist bei der WM besser und ausgeglichener als beim Weltcup", sagt sie. Ansonsten werde der Wettkampf zum Lotteriespiel, "und das will keine von uns. Die Besten sollen gewinnen", sagt die 27-Jährige. Im Modernen Fünfkampf starten die Sportler nicht mit eigenem Pferd, stattdessen werden die Tiere zugelost.
Insgesamt sind fünf Disziplinen zu absolvieren: Schwimmen, Fechten, Reiten sowie Querfeldeinlaufen und Schießen mit der Laserpistole, wobei die beiden Letzteren seit 2009 als gemeinsame Abschlussdisziplin ausgetragen werden als sogenanntes Combined. All diese Disziplinen müssen intensiv trainiert werden, da bleibt neben dem Bachelorstudium nicht mehr viel Zeit für Freizeit. "Der Moderne Fünfkampf ist mein Leben", meint Annika Schleu. Ihre Paradedisziplin ist das Combined. Dort zählt sie sich selbst zu den "vier oder fünf besten Läufern" in der Welt. Schon oft hat sie sich dort noch viele Plätze nach vorn gelaufen, entsprechend selbstbewusst geht sie jedes Mal ins Rennen. Wunder kann jedoch auch Schleu nicht vollbringen. Wenn sie vor dem Combined schon zu weit zurückliegt, wird eine vordere Platzierung auch für sie fast unmöglich. Die Ergebnisse der ersten drei Disziplinen entscheiden darüber, was für die Berlinerin letztlich drin ist.
"die Besten sollen gewinnen"
Den Auftakt macht das Schwimmen mit 200-Meter-Freistil. Eine Disziplin, in der sich Annika Schleu nie sonderlich hervortut, aber auch keinen allzu großen Rückstand ansammelt. Die Schwimmzeiten werden in Punkte umgerechnet; eine Zeit von 2:30 Minuten entspricht 250 Punkten, jede Sekunde mehr oder weniger schlägt mit plus oder minus zwei Punkten zu Buche. Bis 2016 waren es pro Sekunde noch drei Punkte gewesen. Auch deshalb trainiert Annika Schleu das Schwimmen weniger intensiv als andere Disziplinen weil es sich nicht lohnt. "Ich bin inzwischen in einem Alter, wo man sich nicht mal eben um fünf Sekunden verbessert. Schon für eine Sekunde müsste ich derart viel investieren, dass es unverhältnismäßig wäre", erklärt sie. "Da gibt es andere Baustellen, auf denen man schneller mehr Punkte herausholen kann."
Zum Beispiel beim Degenfechten, ihrer "Wackeldisziplin", wie sie es selbst nennt. Sie bringt viele Punkte und ist zudem wegen der direkten Duelle die einzige Disziplin, bei der man den Gegnern Punkte aktiv wegnehmen kann. Gefochten wird jede gegen jede, auf lediglich einen Treffer, maximal eine Minute. Wer 70 Prozent seiner Gefechte gewinnt, bekommt 250 Punkte; weitere Punkte werden anschließend in einer Bonusrunde vergeben. Dabei tritt die Letztplatzierte nach der Platzierungsrunde gegen die Vorletzte an die Siegerin erhält einen Bonuspunkt und tritt danach gegen die Drittletzte an. Dieses Leiter-System wird bis zur bestplatzierten Athletin der Platzierungsrunde fortgeführt, wobei die siegreiche Athletin auf der Planche bleibt. Eine Besonderheit gibt es: Gewinnt die bestplatzierte Athletin der Platzierungsrunde ihren einzigen Kampf, erhält sie zwei Bonuspunkte.
"Fechten ist Kopfsache"
"Fechten ist Kopfsache", sagt Annika Schleu. Im Fechten müsse man vom Erfolg einer Aktion überzeugt sein und dürfe nicht halbherzig angreifen, doch genau das tut die Athletin vom TSV Spandau 1880 noch immer zu häufig. "Ich bin zu lieb, zu zaghaft", sagt sie. "Aber auf der Planche muss man ein Schwein sein." Diese Disziplin ist für sie richtungsweisend: "Wenn es dort gut läuft, dann weiß ich, dass einiges möglich ist". Ins Vorbereitungstrainingslager nach Minsk hatte sie deshalb zum Teil auf eigene Kosten extra einen Fechttrainer einfliegen lassen, der sich um sie kümmerte.
Das Springreiten zählt dagegen eigentlich zu Schleus Stärken, allerdings nicht in dieser Saison. "2017 ist bislang irgendwie ein schwarzes Jahr im Reiten", sagt sie, auch weil sie des Öfteren Pech mit den Pferden hatte. Auch deshalb gab es, von einem vierten Platz beim Weltcup in Ungarn und dem Sieg bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin einmal abgesehen, in diesem Jahr bislang nur Platzierungen im Mittelfeld außerhalb der Top Ten. An der körperlichen Verfassung liegt es ganz sicher nicht die ist gut. "Wenn in einem Wettkampf einmal alles perfekt läuft, dann weiß ich, dass ich weit vorn landen kann. Solche Tage sind selten und kommen meist dann, wenn man sie am wenigsten erwartet", sagt Annika Schleu. Klingt fast so, als könnte es tatsächlich ausgerechnet in Kairo so weit sein.
Jan Philip Häfner