Der Berliner Max Kepler-Rózycki ist nach Donald Lutz der zweite deutsche Baseballspieler, der es in die Major League Baseball (MLB) geschafft hat. Doch sein Aufstieg wäre ohne den Pioniergeist zweier Mannheimer Baseballfreunde vor 60 Jahren undenkbar. Denn schon 1956 machten sich von dort zwei junge Männer in die Neue Welt auf, um mit dem amerikanischen Nationalsport ihr Geld zu verdienen.
Progressive Field, Cleveland, Ohio, 1. August 2016. Max Kepler-Rózycki sorgt für großes Aufsehen, als er drei Mal im selben Spiel einen Baseball für die Minnesota Twins gegen die Cleveland Indians als Homerun über den Zaun schlägt. In der 55-jährigen Geschichte der Twins haben das nur vier Spieler vor ihm geschafft. Die Baseballwelt nimmt endgültig zur Kenntnis, dass hier ein 23-jähriger Berliner auf dem besten Wege ist, in der milliardenschweren Major League Baseball in den USA zu einem Star zu werden.
Genau zwei Monate zuvor: Claus T. Helmig stirbt am 1. Juni 2016 mit 80 Jahren. Er und sein Bruder Jürgen Helmig waren zusammen mit Hans-Norbert Jäger und Roland Hoffmann die Wegbereiter des Baseballsportes in Deutschland. Das erste Baseballspiel auf deutschem Boden hatte 1936 als Demonstration vor 100.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion zwischen zwei US-Teams stattgefunden.
In Mannheim stellten die US-Streitkräfte schon bald nach Kriegsende im konfiszierten Rhein-Neckar-Stadion einen regelmäßigen Baseball-Spielbetrieb auf die Beine. Und die Mannheimer GI-Mannschaften schlugen sich vor durchschnittlich 5.000 Zuschauern hervorragend gegen andere Armee-Teams. Die deutschen Dreikäsehochs als Zuschauer waren fasziniert von diesem in einem "diamant"-förmigen Spielfeld betriebenen Sport, der so viele verschiedene Fertigkeiten abfordert: Schlagen, Werfen, Fangen. Geduld und Präzision, Augenmaß, aber auch schnelle Reaktion und Laufgeschwindigkeit. Und bald spielten die Deutschen selbst, gründeten einen Verein, die Mannheim Knights bis zwei von ihnen so gut wurden, dass sie 1956, also schon vor 60 Jahren, den Sprung in die USA wagten, um als erste Europäer einen Profivertrag als Baseballer zu unterschreiben. Claus Helmig war Scouts bei der EM 1955 aufgefallen, und immerhin brachte er es dann zu einem Spiel für die Paris Orioles in der Sooner State League auf Class-D-Niveau. In den USA wird die oberste Profiliga, die Major League Baseball, die einzige Liga, in der man richtig Geld verdienen kann, von pyramidenartig gestaffelten unterklassigen Ligen gefüttert (AAA als zweithöchste Liga bis Rookie Ball / Class D).
Die große Karriere in Übersee hatten die beiden Mannheimer Jungs nicht gefunden, aber nach ihrer Rückkehr nach Deutschland nahm Baseball Fahrt auf: Schon 1957 stand das erste Baseballfeld in Mannheim, 1958 kam die erste Europameisterschaft nach Deutschland. Nach mehreren Umzügen wurde ab 1972 der große Platz am Carl-Benz-Stadion gebaut. Er trägt den Namen des tödlich verunglückten Hall-of-Famers Roberto Clemente, den die Mannheimer Nationalspieler auf der WM 1972 kennengelernt hatten. Ein Neubau in einer Zeit, als die Baseballclubs einer nach dem anderen eingingen. Über Jahrzehnte sollte Mannheim das Herz des deutschen Baseballsportes bleiben, ab 1975 mit den neugegründeten Mannheim Tornados als Aushängeschild und Claus Helmig als Vorsitzendem. 1980 gründete dieser nach Differenzen mit den Jäger-Brüdern die Mannheim Amigos als Konkurrenz zu den Tornados und stand ihnen 20 Jahre lang vor. In den 80er-Jahren hatte sich der deutsche Baseball von seinem zwischenzeitlichen Tief erholt und auch andere Standorte wurden ernstzunehmende Konkurrenten: Köln (Dodgers und Cardinals), Berlin (Challengers und Sluggers), Lokstedt (Stealers), Paderborn (Untouchables), Regensburg (Legionäre).
MLB die einzige Liga, in der man richtig Geld verdienen kann
Mit dem Aufkommen des Privatfernsehens ergaben sich endlich auch größere Chancen, ein breiteres Publikum zu erreichen. Im Sportkanal (Screensport) liefen unter anderem aus den USA direkt übertragene Baseballspiele von 1989-1993 bis der Sender mit Eurosport fusionierte, Baseball aber nicht weiterführte. Der Sender Tele 5 übertrug 1991 Spiele der von Helmig initiierten German American Baseball League, einer Konkurrenz zu den Ligen des Deutschen Baseball- und Softballverbandes (DBV). Während der Kontroversen darum brach der Irakkrieg aus, und die GABL löste sich auf. Baseball war so aber erstmals einer größeren Zahl von Menschen zugänglich. Auch heute noch kontrovers diskutiert, ist hier der Wert eines deutschsprachigen Kommentars und wie weit dieser gehen sollte in der Eindeutschung von Fachbegriffen. Bei damaligen Wortschöpfungen wie dem "Spreizfingerschleuderball" laufen den Kennern auch heute noch Schauer über den Rücken. Andererseits erklärten die Reporter dem unkundigen Publikum nebenbei gleich die Spielregeln. Baseballmützen wurden ebenfalls modern. In den 90ern begann Baseball als cool zu gelten.
Mit sechs die ersten Bälle geschlagen
1993 kam in Berlin dann Max Kepler-Rózycki zur Welt. Seine Eltern sind keineswegs Sportfreaks, sondern waren Ballett-Tänzer an der Deutschen Oper. Mutter Kathy Kepler stammt aus Texas, Vater Marek Rózycki aus Polen. Max fand früh Interesse an Sport, probierte vieles aus: Tennis, Fußball und auch Baseball. Mit sechs Jahren habe er seine ersten Bälle geschlagen, so Kepler-Rózycki. An der John F. Kennedy-Schule spielte er dann in der dort assoziierten American Little League Baseball in Berlin (ALLBB), als Fußballer war er bei Hertha BSC Ersatztorwart und Stürmer. Er habe schon damals eine sehr gute Hand-Auge-Koordination und gute Beinarbeit gehabt wie man es beim Baseball brauche. Seine Eltern brachten ihm "früh viele Stabilisations- und Kraftübungen, Dehnungen und Yoga" bei, so Max. "Das tat manchmal ziemlich weh, aber es war sehr effektiv." Mit elf Jahren entschied er sich für Baseball und wechselte von den SCC Berlin Challengers zu den Berlin Sluggers, wo er es bis 2007 schon auf Zweitliganiveau geschafft hatte und auch Spitzenspieler der jeweiligen Jugendauswahlmannschaften des Baseball- und Softballverbandes Berlin/Brandenburg (BSVBB) war.
2008 kam dann der Ruf ans Baseballinternat der Deutschen Baseballakademie nach Regensburg. Max lernte fürs Leben und wie man Baseball spielt. Sein Team in der 1. und 2. Bundesliga: die Regensburg Legionäre. Jetzt trat sein überragendes Talent richtig zutage, denn er brillierte nicht nur im Feld und am Schlag, sondern auch als Werfer ("Pitcher").
2009, mit 16 Jahren, dann der nächste, der vorentscheidende Schritt. Scouts waren die guten Leistungen Kepler-Rózyckis in Regensburg und bei der EM in Rom nicht verborgen geblieben. Einige MLB-Clubs bemühten sich um Max, auch große Namen wie die New York Yankees, das Bayern München des Baseball, doch den Zuschlag erhielt ein Team aus der Provinz: die Minnesota Twins. Sie hatten sich am meisten um ihn bemüht und auch am meisten gezahlt: 800.000 Dollar als Unterschriftsbonus. Nun würden die Mühen der verschiedenen Ebenen von ganz unten bis nach ganz oben in die Major League Baseball beginnen. In Begleitung durch seine Mutter. Und Kepler-Rózycki lernte fleißig, zeigte Demut, überzeugte durch Leistung auf und Disziplin neben dem Platz, wie sein heutiger Chef-Trainer, die Legende Paul Molitor, lobt. Seine Einstellung und sportliche Tipps gibt Max inzwischen selbst gerne auf Fortbildungen in Deutschland an junge Spieler weiter. Manche spielen inzwischen selbst in den unteren Baseball-Profiligen.
Unaufhaltsam
und zäh machte Kepler seinen Weg
Vier bis fünf Jahre hatte er selbst für seinen Weg durch die Instanzen veranschlagt, immer gewahr, dass es auch nicht reichen könnte. Und da ist das US-System knallhart: up or out. Entweder man schafft es aufs nächsthöhere Niveau in einer gewissen Zeit oder man wird entlassen. Und versucht es vielleicht bei einem anderen Club mit ungewissen Chancen.
Kepler-Rózyckis Rückzugsposition, auch im Verletzungsfall, wäre immer das College gewesen, das Handgeld die Finanzierung dafür. Doch unaufhaltsam und zäh, polnisches Erbgut, wie er selbst meint, machte Kepler seinen Weg, gewann viele Auszeichnungen, bis er am 27. September 2015 ankam: erster Einsatz bei den großen Minnesota Twins in der MLB. Kleine Rückversetzungen in die Minor League wurden gefolgt von Call-Up 2 und 3, der letzte am 1. Juni 2016 Claus Helmigs Todestag. Und seit diesem Tag ist Kepler nicht zu bremsen. Kein anderer Spieler weist derart gute Statistiken auf. Er schlägt Homeruns, gerade weil er nicht versucht, welche zu schlagen, fängt sensationell im Feld. 93 Kilogramm Lebendgewicht bei 1,93 Meter Körperlänge sind beeindruckend. Für die Fachpresse gilt er als Favorit für den "Rookie" des Jahres, also den besten Neuling in der ganzen Liga.
Drei Jahre vor ihm hatte es Donald Lutz nur zeitweise in die MLB geschafft. Max Kepler-Rózycki aber ist gekommen, um zu bleiben.
Joachim Lißner
INFO:
minnesota.twins.mlb.com
www.baseball-softball.de
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