Auch Markus Weinzierl musste nach nur einem Jahr auf Schalke gehen. Manager Christian Heidel steht nach einer missglückten ersten Saison ebenfalls gehörig unter Druck. Und setzt nun auf einen ganz jungen Musterschüler.
Dass seine recht späte Entscheidung für einen Trainerwechsel einige Probleme birgt, merkte Christian Heidel sehr schnell. Wenige Tage nach der Bekanntgabe der Verpflichtung von Domenico Tedesco besprach der Manager von Schalke 04 mit dem neuen Chefcoach erstmals die konkrete Kaderplanung. Und legte ihm laut "RevierSport" einen Abwehrspieler ans Herz, den der Verein über Monate gescoutet hatte, den er bereits kontaktierte und für dessen Verpflichtung der bisherige Trainer Markus Weinzierl bereits seine Zustimmung gegeben hatte. Der Transfer, mit viel Zeit und Geduld hartnäckig eingefädelt, schien also nur noch Formsache zu sein. Doch Tedesco sagte nein. Diesen Spieler brauche er nicht, mit ihm könne er nichts anfangen, er passe nicht in sein System. Heidel nahm Abstand von der Verpflichtung, die ganze Vorarbeit war für die Katz.
domenico tedesco neuer chefcoach
Es ist nämlich nicht weniger als wieder einmal ein kompletter Paradigmenwechsel, den Schalke mit dem neuerlichen Trainerwechsel vollzieht. In Tedesco, der gerade einmal drei Monate Erfahrung im Profifußball hat, übernimmt der mit 31 Jahren jüngste Trainer der Schalker Bundesligageschichte. Er gilt im Gegensatz zu dem im Umgang mit den Spielern eher reservierten Weinzierl als Kommunikator und Motivator. Und er war ein Musterschüler, einer aus der Generation der "Laptop"-Trainer, aber offenbar im besten Sinne. Den Fußball-Lehrer-Schein absolvierte er mit der Note 1,0 als Kursbester vor dem Hoffenheimer Überflieger Julian Nagelsmann. Und bei seinem Drei-Monats-Engagement in der Zweiten Liga rettete er in Erzgebirge Aue nicht nur die vermeintlich schwächste Zweitliga-Mannschaft aus extrem schwieriger Lage (fünf Punkte Rückstand auf das rettende Ufer bei nur elf ausstehenden Spielen), er eroberte auch durch seine offene Art die Herzen der Auer Fans im Sturm. Der "Kicker" schrieb gar, er habe sich in dieser kurzen Zeit Legendenstatus erarbeitet. Der nun durch den schnellen Wechsel aber gleich wieder bröckele.
Doch Tedesco ist ehrgeizig, hat Ziele. Wenn die Bundesliga ruft, und dann gleich in Form eines solch großen Vereins, gibt es für ihn keinen Grund, noch zu warten. Und er ist selbstbewusst genug, um daran zu glauben, dass er Schalke in den Griff bekommt. Obwohl seine Vorgänger Jens Keller, Roberto Di Matteo, André Breitenreiter und Weinzierl dort alles andere als ein leichtes Leben hatten. Weinzierl war gar im vergangenen Sommer für die damalige Bundesliga-Rekordablöse für Trainer (mindestens drei Millionen Euro) vom FC Augsburg verpflichtet worden. Und auch ihm war nur ein Jahr in Gelsenkirchen vergönnt.
Bleibt im Endeffekt die Frage, warum sich die Trennung von ihm so lange hinzog. Schon vor wenigen Wochen verwies FORUM auf die Problematik, mit einem geschwächten Trainer in die neue Saison zu gehen und vielleicht nach wenigen Wochen handeln zu müssen. Mit weniger Auswahl auf dem Trainermarkt. Und einen Coach, der einen nicht von ihm zusammengestellten Kader ohne Vorbereitung in einem unruhigen Umfeld aus dem Schlamassel ziehen muss.
All diese Dinge waren Heidel sicher bewusst. Doch ihm war auch bewusst, dass Weinzierl "sein" Trainer war. Ihn nach einem Jahr zu entlassen, würde auch seine eigene Fehleinschätzung beweisen. Deshalb wartete Heidel die Saisonanalyse mit Weinzierl ab. Würde dieser ihm ein gutes Gefühl geben, dass es in der nächsten Saison klappen könnte mit dem Aufschwung, würde er mit ihm weiterarbeiten wollen. Dies ist Weinzierl offenbar nicht gelungen. Wobei der Verdacht naheliegt, dass seine Chance auch nicht wirklich groß war. Schließlich stellte Heidel schon direkt nach Saisonende öffentlich fest, dass er "kein Konzept" erkannt habe. Dies ist das vernichtendste Urteil, das ein Trainer bekommen kann. Da war das Kind eigentlich schon in den Brunnen gefallen, zumal Heidel durch diese Aussage Weinzierl schwächte und nun plötzlich noch genauer hätte erklären müssen, warum er doch an ihm festhält.
Im Endeffekt wurden Weinzierl, neben dem offenbar fehlenden Konzept, wohl drei Dinge zum Verhängnis. Zum ersten schlicht und ergreifend die sportliche Ausbeute, denn Schalke qualifizierte sich erstmals seit sieben Jahren nicht für den Europacup und Weinzierls Vorgänger Breitenreiter war nach der Qualifikation für die Europa League am Saisonende entlassen worden. Die durchaus plausiblen Argumente des schwachen Saisonstarts durch die späte Kader-Zusammenstellung und des Verletzungspechs greifen dabei zu kurz. Denn durch die Schwäche der Konkurrenten lag die Europacup-Teilnahme am Ende doch noch auf dem Silbertablett, doch Schalke verschenkte sie durch Niederlagen in Darmstadt und Freiburg nach erschreckend schwachen Leistungen selbst. Dies mag zum Zweiten auch an einem zumindest teilweise belasteten Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer gelegen haben. Dass der schon zum Fehleinkauf abgestempelte Jewgen Konopljanka Weinzierl öffentlich als "Feigling" bezeichnete, mit dem Schalke in die Zweite Liga absteige, wenn er denn bleibe, war nur oberflächlich der Rundumschlag eines frustrierten Ersatzspielers. Konopljanka gilt in der Mannschaft als beliebt, und da er sich grundsätzlich einen Verbleib auf Schalke vorstellen kann, glaubte er sich zum Zeitpunkt des Interviews offenbar in einer Position der Stärke. Als Weinzierl ihm mitteilte, dass er nicht mehr mit ihm plane, antwortete ihm der Ukrainer nach eigener Auskunft, er bleibe sicher länger auf Schalke als der Trainer. Er sollte Recht behalten. Weinzierls drittes Problem schließlich waren erste Risse im Verhältnis zu Heidel. Diesem und weiteren Vereins-Offiziellen sollen einige Aussagen des Trainers nicht gefallen haben, in denen er die Qualität des Kaders kritisierte.
Bleibt eben wieder die Frage: Warum hat Heidel so spät reagiert? Das sportliche Ergebnis, die Probleme im Binnenverhältnis, all das muss ihm mit Saisonende schon klar gewesen sein. Und weil der Manager wusste, dass ihm diese Fragen gestellt würden, trat er im Moment der Entscheidung die Flucht nach vorne an, indem er sein eigenes Profil schärfte. Nämlich das als Manager mit Mut und Größe. Der seinen Fehler mit der Verpflichtung von Weinzierl eingestand. Der den schwereren Weg einschlägt, weil er es für Schalke tut ("Die einfachste Entscheidung wäre es für mich gewesen, mit Markus Weinzierl weiterzumachen") und der innovativ und entschlossen genug ist, eine unorthodoxe Entscheidung zu treffen. Eben mit einem jungen Trainer mit wenig Profierfahrung. So oder so stimmt die Einschätzung: Heidel geht volles Risiko.
"Total überzeugender Eindruck"
"Wenn es schiefgeht, wird der Aufschrei der Kritiker groß sein, wie konnte man das nur machen und einen so jungen Trainer holen? Doch ich bin davon überzeugt, dass Domenico Tedesco für Schalke die richtige Wahl ist", sagte Heidel der "Sport-Bild". "Mich haben sie auch schon zu Mainzer Zeiten erst wegen Jürgen Klopp zerfetzt, dann wegen Thomas Tuchel und später auch noch wegen Martin Schmidt und bei allen dreien hat es funktioniert." Dank dieser Historie bekam er Tedesco auch beim mächtigen Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies durchgesetzt. Er vertraue dem Manager, "denn er ist nicht ganz unerfolgreich mit der Benennung von unbekannten Übergangstrainern", sagte Tönnies der "WAZ". Er beschränkte sich bei der Beurteilung auf das Lob Heidels und den menschlich "total überzeugenden Eindruck", den er im Vorstellungsgespräch von Tedesco erhalten hatte, als Bewertungsgrundlage.
Doch genauso hatte er sich schon auf Heidel verlassen, als dieser ihm im vergangenen Sommer Weinzierl präsentierte. Und deshalb sagt der Clubchef jetzt auch: "Ich will die Verantwortung nicht wegschieben. Aber letztlich ist dafür die sportliche Abteilung verantwortlich." Allein schon daran lässt sich erkennen: Nun steht auch Heidel in der Pflicht. Sein erster Trainer floppte, der zweite Schuss, egal ob mutig oder nicht, muss sitzen. Sonst kommen all die wieder hervor, die vor seinem Wechsel Zweifel hegten, ob der frühere Autoverkäufer nicht "nur Mainz kann".
Und Weinzierl? Den holte nach der Saison sein bester Spruch ein, den er gleich bei der Vorstellung im vergangenen Sommer zum Besten gegeben hatte. Bei der Wohnungssuche habe er "schon eine Absage bekommen. Weil der Vermieter einen langfristigen Mieter suchte." Wie lange die Mietverträge von Heidel und Tedesco laufen, ist bisher nicht bekannt.
Holger Schmidt