Viele neutrale Fußballfans drücken im Champions League-Finale zwischen Juventus Turin und Real Madrid den Italienern die Daumen, weil sie Torwart Gianluigi Buffon den noch fehlenden Triumph gönnen.
Der Vergleich mit Wein, der im Alter immer besser wird, ist bei Gianluigi Buffon schon ein bisschen abgegriffen. Doch jetzt hat sich die 39 Jahre alte Torwart-Ikone die Metapher selbst zu eigen gemacht. In den Sozialen Netzwerken postete er jüngst ein Bild seiner eigenen Weinmarke "Buffon", die ab sofort online bestellt werden kann.
Der Fußball-Profi dürfte einer der besten Käufer sein, denn als Italiener hat er eine große Schwäche für Rotwein und auch für Pasta. "In einer Woche habe ich früher vielleicht neun oder zehn Mal Pasta gegessen, jetzt esse ich sie vielleicht fünf Mal. Und wenn ich früher zehn Gläser Wein in einer Woche getrunken habe, trinke ich jetzt zwei", sagt er. "Es ist nicht so, dass man besser spielt, weil man weniger Gläser Wein trinkt. Aber es gibt einem diese Wut, wenn man auf ein Vergnügen verzichtet."
"es zählt nur noch der titel"
Wut verspürt "Gigi" auch, wenn er an seine Bilanz in Champions-League-Endspielen denkt. 2003 unterlag er mit Juventus Turin denkbar knapp im Elfmeterschießen dem AC Mailand, 2015 vergoss Buffon bittere Tränen, als die Profis des FC Barcelona im Berliner Olympiastadion den Henkelpott in die Höhe stemmten. Ohne diese Niederlagen wäre Buffon wohl schon längst Fußball-Rentner. "Oft frage ich mich, was mich treibt weiterzuspielen. Hätte ich mit Juventus die Champions League gewonnen, hätte ich keine Motivation mehr", sagt er. "Dass ich diesen Titel noch gewinnen muss, spornt mich an."
Am 3. Juni im walisischen Cardiff hat der Torhüter, der ansonsten fast alles in seiner Karriere gewonnen hat, seine dritte und vermutlich letzte Chance. Im Finale der Königsklasse gegen Titelverteidiger Real Madrid muss er Cristiano Ronaldo und Co. stoppen, und Buffon ist bereit dafür: "Mittlerweile zählt die Finalteilnahme nichts mehr. Es zählt nur noch der Titel."
Die meisten der neutralen Fußballfans dürften in diesem Duell der Systeme zwischen den strategisch agierenden Teamspielern aus Turin und den offensiven Freigeistern aus Madrid für Juve die Daumen drücken. Weil dort Buffon im Tor steht. Der Mann aus der Toskana ist schon seit 19 Jahren Profi, es gab einige Skandale und Kontroversen um seine Person, doch auf der Zielgeraden seiner Karriere fliegen ihm die Sympathien nur so zu.
"Er ist ein Monument des Calcio, des Weltfußballs und des Sports auf allen Ebenen. Ich schätze ihn als Sportler und als Menschen", schwärmt Giovanni Malago, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Italiens. Auch im Ausland wird Buffon als lebende Torhüter-Legende verehrt. "Gigi hat seit zwei Jahrzehnten Topleistungen gebracht", sagt Manuel Neuer. Und obwohl er einen völlig anderen Spielstil pflegt, betont der deutsche Nationaltorhüter: "Er gehörte natürlich auch mit zu meinen Vorbildern."
"Unkaputtbarer king of cool"
Kurz bevor Neuer 2006 sein erstes Bundesligaspiel für Schalke 04 bestritt, war Buffon in Deutschland Weltmeister geworden. Vermeintlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Das ist inzwischen elf Jahre her, und Buffon ist immer noch einer der Weltbesten seines Fachs. Manche sagen sogar, er sei der Beste. Er habe "die Aura des unkaputtbaren King of Cool", schrieb jüngst die "Süddeutsche Zeitung".
Das Fußballspielen und das Abfangen von Flanken werden nicht mehr seine Stärken, aber in Sachen Konstanz und Nervenstärke macht dem Italiener so schnell keiner etwas vor. "Ich habe den absoluten Willen zu siegen, das Alter auf meinem Personalausweis bedeutet diesbezüglich recht wenig", sagt er. Nur der Wille zähle.
Diesen Ehrgeiz sieht man ihm vor allem bei Länderspielen an, wenn er die italienische Hymne mehr mitschreit als mitsingt. Diesen Ehrgeiz hat er sich bewahrt, obwohl er mittlerweile mehr als 1.000 Pflichtspiele auf dem Buckel hat. Er treibt ihn zu Höchstleistungen an. In der aktuellen Champions-League-Saison glänzte Buffon mit starken Paraden und einem sensationellen Stellungsspiel, er blieb 689 Minuten lang ohne Gegentor. "Dieser Wettbewerb bringt das Beste in mir hervor", sagt Buffon, der im Viertelfinale Barcas Wunderstürmer um Lionel Messi zum Verzweifeln brachte.
Im Halbfinale gegen den AS Monaco wurde Buffon nur von Ausnahmetalent Kylian Mbappe (18) bezwungen. Der Altersunterschied zwischen beiden beträgt unfassbare 7.621 Tage! Mbappe, an dem fast alle europäischen Topclubs interessiert sind, gehört die Zukunft. Buffon dagegen genießt die Gegenwart. Und in der will er in Cardiff zum großen Wurf ausholen. "Man erinnert sich an unsere Taten", schrieb er nach dem Halbfinal-Sieg auf Twitter. "Für unsere Fähigkeit, das Unmögliche wahrzumachen." Ganz so aussichtslos sehen die Experten Juve im Finale gegen Real überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil: Mit der seit Jahren eingespielten Defensive um Buffon und Abwehrchef Leonardo Bonucci sowie dem kompakten Mittelfeld um Nationalspieler Sami Khedira dürfte auch das Starensemble aus Madrid nur sehr schwer zu Torchancen kommen. Und im Angriff ist Juve mit Torjäger Gonzalo Higuain und dem Ex-Bayern-Profi Mario Mandzukic ebenfalls top besetzt. Allerdings: Die letzten vier Endspiele im wichtigsten europäischen Club-Wettbewerb hat die "Alte Dame" verloren (1997, 1998, 2003, 2015). Buffon spielt die Bedeutung dieser Statistik herunter, in Cardiff beginne alles wieder bei Null. Juve gegen Real, vielleicht auch Buffon gegen Ronaldo. Und was passiert, wenn Buffon sich seinen großen Wunsch vom Titelgewinn in der Champions League endlich erfüllt? Hört er dann auf? Aussagen dazu lässt sich "Gigi" nicht entlocken, er sagt nur: "Ich habe eine einzige Gewissheit: Ich werde bestimmt keine weiteren 1.000 Spiele schaffen." Und er hat einen Wunsch, was sein Karriereende betrifft: "Ich möchte, dass die Leute traurig sind, wenn ich aufhöre."
Sein Vertrag bei Juventus Turin läuft noch ein Jahr, es gilt als wahrscheinlich, dass Buffon nach der Weltmeisterschaft 2018 in Russland seine Torwarthandschuhe an den Nagel hängt und Platz macht für das 18 Jahre alte Torwarttalent Gianluigi Donnarumma vom AC Mailand. Dann würde eine grandiose Karriere enden. Begonnen hat Buffon als Mittelfeldspieler, doch sein Vater drängte ihn ins Tor, weil seine Arme so außergewöhnlich lang waren. Zwischen den Pfosten bewies er noch mehr Talent. Als Buffon 1995 als damals 17-Jähriger sein Debüt in der Serie A für den AC Parma gab, war Donnarumma noch nicht einmal geboren. Gleich bei seiner Premiere gegen Milan hielt der junge Buffon seinen Kasten sauber. "Das Glücksgefühl, es wirklich in die Serie A geschafft zu haben, übertraf jede Nervosität", erzählte Buffon einmal.
Danach startete der Torwart durch. 1996 gewann er mit späteren Stars wie Fabio Cannavaro und Francesco Totti den Titel bei der U21-EM. Ein Jahr später debütierte er auch in der A-Nationalmannschaft, wo er seitdem 168 Mal zum Einsatz kam Europarekord. Als Juventus im Jahr 2001 unfassbare 54 Millionen Euro Ablöse an Parma zahlte, um sich die Dienste des Torhüters zu sichern, war die Skepsis nicht gerade klein. Doch die Summe hat Buffon längst zurückgezahlt. Nicht nur mit Siegen und Titeln, auch mit Identifikation. Als der italienische Rekordmeister im Zuge des Bestechungsskandals zum Zwangsabstieg in die Serie B verurteilt worden war, flüchtete Buffon nicht. Er blieb, stieg mit dem Club sofort wieder auf und half mit, dass Juve mittlerweile wieder die unumstrittene Nummer eins im Land des viermaligen Weltmeisters ist. "Ich hatte das Gefühl, loyal gegenüber dem Club sein zu müssen, der mir so viel gegeben hat", verrät Buffon.
54 Millionen Euro Ablöse an Parma
Und jetzt Cardiff. Champions-League-Finale Nummer drei. Noch einmal die Medaille für den zweiten Platz umgehängt zu bekommen, wäre nur schwer zu ertragen für den megaehrgeizigen Buffon. Was aber, wenn er nicht mit einem weiteren großen Triumph abtreten kann? Dann zumindest mit einem Skandal, scherzte Buffon kürzlich: "Vielleicht steige ich mit einem Kopfstoß gegen einen Rivalen à la Zinedine Zidane gegen Marco Materazzi aus dem Fußballgeschäft aus." Wahrscheinlich würden die Tifosi ihm auch das verzeihen, genauso wie einige Verfehlungen zu Beginn seiner Karriere, als er unter anderem durch T-Shirts mit demokratisch fragwürdigen Aufschriften für Schlagzeilen gesorgt hatte. Darüber spricht kaum noch jemand, Gianluigi Buffon hat sich schon jetzt Heldenstatus erarbeitet.
Jörg Soldwisch