Nach der 2:6-Pleite gegen Leverkusen muss Berlins Bundesligist auf Schützenhilfe hoffen oder wieder in die ungeliebte Qualifikation zur Europa League.
Angesichts der Statistik ließ es einen als Hertha-Fan schon ein wenig gruseln: Das letzte Saisonspiel konnten Berlins Fußballer schließlich seit zehn Jahren nicht mehr für sich entscheiden. Im Jahr 2012 gelang zwar am 34. Spieltag ein 3:1-Sieg gegen die TSG Hoffenheim es folgte aber anschließend noch die Relegation gegen Fortuna Düsseldorf, die man mit einer Niederlage und einem Unentschieden jedoch verpatzte und in die Zweite Liga absteigen musste.
Nach menschlichem Ermessen hätte am vergangenen Sonnabend schon ein Punkt gegen Bayer Leverkusen gereicht, um die Europa League 2017/18 sicher buchen zu können. Doch es sollte wie nicht selten in der jüngeren Vergangenheit des vor 125 Jahre gegründeten Vereins ganz anders kommen. Bereits nach fünf Minuten in Rückstand leistete sich Hertha BSC weiter vor allem in der Defensive zahlreiche Schnitzer. So war die Partie im Olympiastadion beim Pausenstand von 0:3 bereits entschieden.
Bereits nach 45 Minuten das Heft aus der Hand gegeben
Anfangs spielte die Konkurrenz zwar noch mit (Freiburg etwa lag beim FC Bayern zurück), doch als der 1. FC Köln kurz vor der Pause gegen Mainz 05 in Führung ging, hatten die Domstädter den Berlinern Platz fünf bereits weggeschnappt. Damit hatte man in der Hauptstadt bereits nach 45 Minuten das Heft des Handelns aus der Hand gegeben und konnte nur noch auf den Ausgleich der Mainzer hoffen.
Pal Dardai sah sich somit genötigt, zur zweiten Halbzeit Korrekturen in seiner Aufstellung vorzunehmen. Das "Luxusproblem" mit mehreren Kandidaten für Abwehr und defensives Mittelfeld hatte sich zum Spieler-Lotto mit wenig Treffern verkehrt. Der Ungar verzichtete diesmal auf Niklas Stark, der in Darmstadt noch auf die Zähne gebissen hatte, und vertraute wieder auf Jordan Torunarigha in der Abwehrzentrale. Dadurch musste der erfahrene Sebastian Langkamp zunächst auf der Bank Platz nehmen und nur John Anthony Brooks kehrte in die Innenverteidigung zurück.
Der US-Amerikaner präsentierte sich allerdings im ersten Durchgang schwach und begünstigte mit einem Fehler das vorentscheidende 0:3 kurz vor dem Halbzeitpfiff. So ließ Dardai Brooks zur Pause in der Kabine ebenso wie den enttäuschenden Allan. Dass mit Langkamp und Per Skjelbred zwei Defensive ins Spiel kamen, verdeutlichte, dass es dem Hertha-Trainer in der zweiten Halbzeit mehr um Stabilität als um eine mögliche Aufholjagd ging.
Hertha muss auf einen Dortmunder Pokalsieg hoffen
Mitchell Weisers erster Startelfeinsatz seit dem 15. Spieltag brachte zwar auf der offensiven Außenbahn durchaus Schwung, der 23-Jährige ließ allerdings im ersten Durchgang auch zwei gute Torchancen zum möglichen Ausgleich aus. Sein Anschlusstor zum zwischenzeitlichen 1:4 kam dann zu spät. Es entwickelte sich nach dem Wechsel so eine klassische Partie, wie sie am letzten Spieltag passiert wenn es um nichts mehr geht. Reichlich Tore, drei Elfmeter, Sami Allagui (wechselt zum FC St. Pauli) bekam von Dardai sogar noch seinen Abschiedseinsatz. In seinem letzten Spiel für Hertha BSC sorgte er vom Punkt für den zweiten Berliner Treffer.
Wirklich versöhnlich allerdings konnte man den Nachmittag aus Hertha-Sicht natürlich nicht empfinden. Bei der 2:6-Pleite jedenfalls kassierten die Blau-Weißen ausgerechnet in dieser Situation zum ersten Mal seit fünf Jahren (im März 2012 gab es ein 0:6 gegen Bayern) ein halbes Dutzend Gegentreffer. Die Frage nach dem Druck, dem man in entscheidenden Situationen nicht standhalten kann, wird die Mannschaft von Hertha BSC so jedenfalls nicht los. Selbst, wenn die direkte Qualifikation zur Europa League doch noch gelingen sollte im Fall eines Pokalsiegs von Borussia Dortmund am Sonnabend wäre dies der Fall.
Es bliebe dann eben der Eindruck, dass man es nicht aus eigener Kraft geschafft hat eine Erfahrung, die vor allem der Trainer unendlich herbeigesehnt haben dürfte für sein Team, um einen weiteren, enorm wichtigen Entwicklungsschritt zu tun.
Nicht daran zu denken, wenn das "Worst-Case-Szenario" aus Sicht der Berliner einträfe: Eintracht Frankfurt holt den DFB-Pokal und man muss in die Qualifikation zur Europa League. Schließlich hat es die Mannschaft geschafft, dass dieses an und für sich für einen Verein wie Hertha stattliche Ergebnis gleich eine weitere, nahezu traumatische Erfahrung mit sich bringt. Nach einer Niederlagenserie zum Ende der vergangenen Saison wurden ja nacheinander erst die Champions-League- und dann die direkten Europa-League-Plätze verspielt. In der Qualifikationsrunde zum internationalen Wettbewerb konnte man sich anschließend nicht gegen Bröndby IF durchsetzen und schied vorzeitig aus.
Eine böse Hypothek vor dem Start dieser Saison aber die Blau-Weißen sollten einen positiven Auftakt erleben. Trotz des Gegentors zum Ausgleich in der Nachspielzeit konnte man den SC Freiburg doch noch mit 2:1 bezwingen. Die Initialzündung für die Hinrunde, die man mit 30 Punkten nur zwei Zähler schlechter abschloss als die ebenso unerwartet starke Hinserie 2015/16.
Das forsch formulierte Ziel der Wiederholung der Ausbeute in der Rückrunde musste man jedoch bald zu den Akten legen. Die beinahe schon traditionell schwächere zweite Saisonhälfte der Herthaner entstand diesmal aber vor allem durch ein Auswärtsproblem: acht der neun Partien auf des Gegners Platz gingen im Jahr 2017 verloren. Dazu kam das unglückliche Aus im Achtelfinale des DFB-Pokals, als man bei Borussia Dortmund erst im Elfmeterschießen das Nachsehen hatte.
Zuhause aber, in der Liga, gelang die Revanche gegen den BVB (2:1), und auch die Münchner Bayern befanden sich im Olympiastadion am Rande einer Niederlage, bevor Lewandowski weit in der Nachspielzeit doch noch das 1:1 gelang. Ohne die Heimstärke wäre Hertha 2016/17 zweifellos nicht so weit gekommen einer Spielzeit, in der das Dardai-Team nie schlechter als Platz sechs in der Tabelle stand. Die Heimniederlagen zum Ende der Saison hin gegen Hoffenheim, Leipzig und eben Leverkusen wogen dann in der Schlussabrechnung natürlich besonders schwer. Dort verzeichnete man einen Punkt weniger als letztes Jahr schloss diesmal aber einen Platz besser ab. Wie man es dreht und wendet das Endergebnis 2016/17 bleibt schwer einzuordnen. Auch wenn Pal Dardai die Situation noch mal zu einem eindringlichen Appell an zu hohe Erwartungen in Berlin nutzte. Platz sechs, so der Trainer, sei auch auf lange Sicht noch das höchste der Gefühle für Hertha BSC insofern zeigte sich der Ungar zufrieden mit der Saison.
Hagen Nickelé