Hertha BSC hat zahlreiche Top-Talente in seinen Reihen. Trainer Pal Dardai verlangt von ihnen, dass sie wie Wölfe um ihren Platz im Kader kämpfen.
Ganz pflegeleicht war John Anthony Brooks nicht. Hinter vorgehaltener Hand wurde bei Hertha BSC lange bemängelt, der Abwehrspieler würde aus seinem großen Talent nicht das Optimum herausholen. Von Jos Luhukay wurde Brooks sogar mal aus dem Kader geworfen, weil er sich im Saisonendspurt ein Tattoo auf den Rücken stechen ließ. Doch der Deutsch-Amerikaner fing sich, mit professioneller Arbeit stieg er bei Hertha zum Leistungsträger auf und wechselte nun für 17 Millionen Euro plus Boni zu Wolfsburg.
Am Ende wurde aus Brooks also doch noch eine Art Musterbeispiel der Ausbildung beim Berliner Fußball-Bundesligisten: Aus einem großes Talent wird ein großer Leistungsträger, der irgendwann großes Geld in die Kassen spült. Die Frage vor der neuen Saison lautet: Wer wird der neue Brooks? Anwärter gibt es genügend, auf dem Trainingsplatz der Profis tummeln sich zahlreiche Talente. Jordan Torunarigha (19), Maximilian Mittelstädt (20), Trainer-Sohn Palko Dardai (18), Arne Meier (18), Julius Kade (18), Maurice Covic (18) und neuerdings auch Jonathan Klinsmann (20), Sohn des Welt- und Europameisters Jürgen die "alte Dame" Hertha setzt auf "junge Wilde".
Das hat vor allem mit Trainer Pal Dardai zu tun. Der Ungar startete seine zweite Laufbahn in Herthas Nachwuchsabteilung, er kennt das Potenzial der aufstrebenden Jungspieler. Dardai weiß aber auch, wie groß der Schritt in den Männerbereich ist. Viele seiner Talente seien fußballerisch "noch Babys", sagt er. "Sie müssen den Mitspielern zeigen, dass sie da hingehören und dem Trainer, dass sie Männer werden." Zu bescheiden dürften die Jungprofis bei ihm nicht auftreten: "Jede U-Mannschaft hat brave Jungs und ein paar Wölfe. Ich mag die Wölfe."
Jordan Torunarigha soll irgendwann einmal sogar der Leitwolf der Herthaner werden. Körperlich und mental ist der 19-Jährige schon sehr weit, deshalb kommt er auch schon auf acht Bundesligaeinsätze. Gegen Darmstadt erzielte der wuchtige Innenverteidiger sogar seinen ersten Treffer. Dardai hält große Stücke auf seinen Youngster in der Abwehr: "Jordan verliert kaum einen Zweikampf, ist kopfballstark und schnell." Co-Trainer Rainer Widmayer stellt Torunarighas psychische Stärke in den Vordergrund: Der Linksfuß sei "gierig, giftig, aggressiv".
Nach bestandenem Abitur zählt für den jungen Abwehrspieler nur noch der Fußball. Er will Sebastian Langkamp und Niklas Stark, der auch nur zwei Jahre älter ist, im Kampf um die zwei Innenverteidiger-Plätze herausfordern. Dardai wird ihm diese Chance geben, denn er weiß: "Jordan ist ein Wettkampftyp."
Das muss im Profibereich der 99er-Jahrgang, den Dardai als "goldenen Jahrgang" beschreibt, erst noch beweisen. Doch die Voraussetzungen dafür sind blendend. Vor allem dem 18 Jahre alten Mittelfeldspieler Arne Maier wird in der kommenden Saison der Durchbruch zugetraut. "Ein Riesen-Juwel" sei der gebürtige Ludwigsfelder, sagt der Hertha-Coach: "Sechser, Achter, Zehner, überall ist er im Mittelfeld einsetzbar. Er bringt alles mit: Torgefährlichkeit, Übersicht, Dynamik, tolle Ballbehandlung."
"Jordan verliert kaum einen Zweikampf"
Der Hochgelobte, der schon mit 16 Jahren erstmals bei den Profis mittrainierte, durfte zum Ende der vergangenen Saison sein Bundesligadebüt feiern, in der neuen Spielzeit dürfte Maier weitere Einsatzzeiten sammeln, weil durch die Doppelbelastung mit der Europa League Altstars wie Salomon Kalou (31) oder Vedad Ibisevic (32) die eine oder andere Pause erhalten werden. Seine Spielweise, mit der er im Nachwuchsbereich auch deutschlandweit überragt, will Maier auch bei den Profis nicht ändern: "Ich muss einfach immer den Ball haben, sonst habe ich für mich kein gutes Spiel gemacht."
Palko Dardai ist vielleicht nicht so talentiert wie Maier, aber auch dem Trainer-Sohn wird der Durchbruch in der Bundesliga zugetraut. "Im Training bei mir wirkt er mir noch etwas gehemmt, er will keine Fehler machen", sagt Papa Pal. Das ist verständlich, und genauso verständlich wäre es, wenn Dardai bei seinem 18 Jahre alten Sohn etwas strenger hinschaut als bei anderen. "Als Sohn hast du es immer schwerer, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Du musst immer mehr tun als die anderen", sagt Dardai senior. Sollte sich der dribbelstarke Palko also bei Hertha unter seinem Vater durchsetzen, dann ganz sicher nicht aufgrund von Klüngelei.
Julius Kade hat ein ganz anderes Problem: seine Physis. Der 18-Jährige ist ein absolutes Leichtgewicht, wiegt bei einer Größe von 1,67 Meter kaum mehr als 50 Kilogramm. Dass Kade, der schon in der vergangenen Saison den Sprung in den Profikader geschafft hat, trotzdem auch Stärken in der Balleroberung hat, spricht für seine fußballerische Qualität. In der U19 kann Kade die körperlichen Defizite mit seiner Technik, Schnelligkeit und seinem Spielverständnis wettmachen, im Männerbereich wird das deutlich schwieriger.
Diesen großen Sprung hat Maximilian Mittelstädt bereits geschafft. Der 20 Jahre alte Linksverteidiger will nach seiner Vertragsverlängerung bis 2021 in die erste Elf: "Die Stammspieler sollen meinen Atem im Nacken spüren." Sein Trainer hört so etwas gerne, Dardai fordert von den Jungen, "die Hemmungen abzulegen". Und das tun sie. "Die Jungs haben keine Angst, gehen voll drauf", sagt der gestandene Mittelfeldspieler Per Skjelbred. "Junge Berliner Talente sind wichtig für Hertha."
Spieler, die im eigenen Club ausgebildet werden und den Sprung zu den Profis schaffen, fördern zweifelsohne die Identifikation der Fans mit dem Team. Für den ehrgeizigen Dardai ist die Talentförderung eine von zwei Säulen auf dem Weg in die Bundesligaspitze: "Um in Deutschland eine Topmannschaft zu werden, brauchst du richtig Kohle und eine sehr gute Nachwuchsarbeit." Dafür investiert der Hauptstadtclub weiter in die Infrastruktur und das Personal im Jugendbereich. "Wir betreuen, begleiten und bereiten die Jungs bis an die Schwelle zum Männerbereich vor", sagt Manager Michael Preetz. "Dann müssen sie die letzten Schritte selbst gehen. Man kann aber nicht davon ausgehen, dass jeder bei den Profis ankommt."
Jörg Soldwisch