Nach über einem Jahrzehnt voller sportlicher und finanzieller Probleme will der ECC Preussen endlich in der drittklassigen Oberliga sorgenfrei aufspielen. Der neue Trainer soll für die nötige Aufbruchsstimmung sorgen.
Spitzenreiter, Spitzenreiter!", hallt es durch das Erika-Heß-Eisstadion. Ausgelassen feiern die Fans des ECC Preussen wahrscheinlich zahlenmäßig, mit Sicherheit aber an Stimmgewalt im Vorteil in der Schlussphase des Lokalderbys Ende September bei FASS Berlin. Schließlich entscheidet ihr Verein nicht nur das erste Duell der Saison gegen den Lokalrivalen mit 4:2 für sich, sondern erobert zwischenzeitlich auch die Tabellenführung am dritten Spieltag der Oberliga Nord.
Nach drei Niederlagen in den folgenden Partien ist inzwischen zwar der erste Überschwang verflogen, die Fans zeigen sich jedoch weiter begeistert von den Leistungen des Teams. Auch ein Beweis dafür, dass man nicht mehr verwöhnt ist bei dem Club, dessen Vorgänger BSC Preussen 1994 noch Gründungsmitglied der erstklassigen Deutschen Eishockey-Liga (DEL) war. Die Namen wechselten etwa Preussen Devils (1995/96) und dann lange Jahre in verschiedenen Konstellationen Berlin Capitals , doch der Erfolg blieb aus. Nicht nur das: Die Hauptstadt erwies sich schließlich als zu klein für die beiden großen Rivalen die "Caps" und die Eisbären. Das Team mit den Wurzeln im Westteil der Stadt zog den Kürzeren, durchlebte sportliche und finanzielle Krisen bis hin zur Insolvenz im Jahr 2004. Um wenigstens den Spielbetrieb in den Nachwuchsabteilungen aufrechtzuerhalten, gründeten Aktive einen Nachfolgeverein: den ECC Preussen Juniors. Auch eine Herrenmannschaft wurde auf die Beine gestellt, die in der viertklassigen Regionalliga an den Start ging. Statt Adler Mannheim oder Kölner Haie hießen die Kontrahenten nun unter anderem ELV Niesky oder EHV Schönheide: Stunde Null und Neubeginn also für den Verein mit der langen Geschichte.
Doch es folgte sportliche Stagnation, zum Teil sogar selbst gewählt. Nach der fünften (als Zweiter) und sechsten Saison (Meister) in der Regionalliga Ost schlug man sogar jeweils den möglichen Aufstieg aus. Zu groß war die Furcht, mit den dünnen finanziellen Voraussetzungen alte Fehler zu wiederholen. Trotz des ersten Titels der jungen Vereinsgeschichte blieb der ECC Preussen Juniors also ein Problemkind.
Zumal auch noch die traditionelle Heimspielstätte, die Deutschlandhalle, geschlossen wurde. Ein weiterer Tiefpunkt für Verein und Fans, bei denen das Eisstadion am Messegelände so etwas wie Kultstatus besaß. Den nötigen Umzug ins Erika-Heß-Eisstadion im Wedding wollten viele nicht mehr mitmachen, der Zuschauerschnitt brach in der Spielzeit 2009/10 ein. Wo zuvor immerhin noch gut 1.000 Besucher bei Spitzenspielen in die Deutschlandhalle gepilgert waren, kam jetzt nur noch rund die Hälfte.
Ein weiterer Tiefpunkt folgte im Mai 2011: die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Mitgliederversammlungen waren an der Tagesordnung und ein Notvorstand musste den Verein aus der Krise führen. Durch die Reform der Oberliga war die Regionalliga Ost inzwischen komplett eine Klasse höher versetzt worden. Der ECC Preussen ("Juniors" hatte man inzwischen gestrichen) aber wurde dreimal Letzter und hielt die Klasse nur aufgrund von Rückzügen anderer Vereine. Schließlich ging man selbst freiwillig runter in die Regionalliga, wurde dort Meister und verzichtete auf den Aufstieg. Erst als die Preussen im Jahr darauf wieder Erster wurden, wagte man den erneuten Schritt in die Oberliga. Dort reichte es in der Hauptrunde der Saison 2015/16 auch wieder nur für den vorletzten Platz, in der folgenden Abstiegsrunde belegte man Rang zwei eigentlich zu wenig für den Klassenerhalt. Doch da es keinen sportlichen Absteiger aus der Zweiten Liga (DEL 2) gab, durfte man auch diese Saison wieder an den Start gehen.
Nach über einem Jahrzehnt der Irrungen und Wirrungen ist der Wunsch der Preussen nach Ruhe auf sportlicher und finanzieller Ebene also mehr als nachvollziehbar. Für die gerade begonnene Spielzeit bediente man sich daher eines neuen Kniffs: Man suchte nach einer Art Galionsfigur und wurde fündig. Der frühere DEL-Profi Lenny Soccio übernahm im Mai das Traineramt, Vorgänger Björn Leonhardt rückte auf den Posten des Assistenten. Der Deutsch-Kanadier erspielte sich über ein Jahrzehnt bei den Hannover Scorpions auch überregional Kultstatus und arbeitete dazu seit drei Jahren als Coach bei "seinem" Verein. Er war der Wunschkandidat der Preussen und es gelang ihnen, Soccio nach über zwanzig Jahren in der niedersächsischen Landeshauptstadt zu einem Neuanfang in Berlin zu bewegen.
Wunsch nach
Ruhe und Kontinuität bei den Fans
Und: Der Start mit dem neuen Trainer in die laufende Spielzeit geriet vielversprechend. Trotz schwieriger Gegner holte man mit acht Punkten aus den ersten drei Partien fast die volle Punktzahl. Zum Auftakt wurde gleich mal der Staffelmeister der vergangenen Saison, die Füchse Duisburg, mit 3:2 in der Verlängerung bezwungen. Auch bei "Soccios Scorpions" verteilten die Preussen keine Gastgeschenke und nahmen per 4:2-Sieg die drei Punkte mit an die Spree. Der neue Coach blieb in Kenntnis der schwierigen Bedingungen allerdings auf dem Teppich: "Wenn mir einer vor dem Wochenende gesagt hätte, dass wir aus diesem mit fünf Punkten herausgehen würden, hätte ich vermutlich nur gelacht."
Der anschließende Sieg im Derby gegen FASS rundete die Sache schließlich ab. Der große Rivale von einst, der EHC Eisbären, ist längst zum Rekordmeister der DEL avanciert und bewegt sich in anderen Sphären. Doch auch gegen den Oberligakonkurrenten ist eine gewisse Spannung spürbar FASS pflegt schließlich eine Partnerschaft mit der Nummer eins in Berlins Eishockey. Beim ECC hat man dagegen gute Beziehungen zum Football-Team der Berlin Adler und zu Hertha BSC. Im Fanblock der Preussen hängen immer auch Fahnen des Fußballbundesligisten und mit der Hertha-Dauerkarte kommt man seit Neuestem für fünf Euro auch bei den Preussen rein. Passend: Die aktuelle sportliche Heimat ist mittlerweile die Eishalle Charlottenburg an der Glockenturmstraße unmittelbar am Olympiastadion.
So bleibt der ECC im Westteil der Hauptstadt verwurzelt der Slogan: "Der Verein für alle Berliner und Brandenburger" erscheint da in der Aktualität eher trotzig bis unpassend. Dabei hat der lokale Status ja durchaus auch Potenzial als Drittligist kann man in der Sporthauptstadt ohnehin nur eine Nische besetzen. Deshalb gilt es für den ECC Preussen zunächst, in der Oberliga richtig Fuß zu fassen, bevor möglicherweise ambitioniertere Ziele angegangen werden. Ein erster Schritt auf einem noch weiten Weg scheint jedenfalls gemacht.
Hagen Nickelé