Die Eisbären Berlin beharren auf ihrer Favoritenrolle im Eishockey. Dabei leben sie nur noch von der Substanz. Die Fusion mit den LA Kings bringt weiter Unruhe in den Verein.
Diesmal war Peter John Lee nicht spazieren. Diesmal war er in der Halle und blickte dem Scheitern ins Auge nicht wie 2013, als er das entscheidende Spiel seiner Eisbären zum Gewinn der Meisterschaft durch einen Spaziergang in Kreuzberg verpasste.
Der Geschäftsführer der Eisbären Berlin sah die denkbar knappe Niederlage seiner Mannschaft gegen Red Bull München Anfang April mit eigenen Augen und war natürlich enttäuscht. Mit 1:2 in der Overtime verloren, raus im Halbfinale das tat weh. Dabei avancierten die Berliner in dieser Saison während der Play-offs zum Overtime Spezialisten und hauten Favorit Mannheim im Viertelfinale aus dem Rennen das sechste und vorletzte Spiel der Serie endete dabei exakt in der 101. Minute mit dem Siegtreffer der Berliner zum 4:3 in der doppelten Overtime. Doch gegen die Roten Bullen aus München hatten die Eisbären das bessere Ende diesmal nicht auf ihrer Seite. Dabei schienen die Kufensportler aus der Hauptstadt gerade erst so richtig in Fahrt zu kommen. Der Aufschwung allerdings kam spät, die Saison insgesamt war schwach und galt vielen bereits als verloren.
Vielleicht war es die pure Angst um die eigenen Arbeitsplätze, die den Eisbären zum Saisonfinale Beine machte. Denn Ende Februar änderte sich die Situation des Berliner Eishockey-Clubs grundlegend. Die Nachricht platzte in die Endphase der mäßigen Hauptrunde und schien zur sportlichen Tristesse zu passen: Der Rekordmeister der Deutschen Eishockey Liga steht ab sofort unter der Kontrolle des Schwesterteams Los Angeles Kings aus der nordamerikanischen Profiliga NHL.
Die Eishockey-Ikone und Kings-Geschäftsführer Luc Robitaille ist neuer Aufsichtsratsvorsitzender der Eisbären. "Für uns ist wichtig, dass die Eisbären nun an die LA Kings berichten werden im sportlichen und im geschäftlichen Bereich, sagte Robitaille bei seiner Vorstellung in Berlin. Beide Mannschaften gehören dem US-amerikanischen Unterhaltungskonzern Anschutz Entertainment Group (AEG).
Der 51 Jahre alte Kanadier, der fast 1.600 Spiele in der besten Eishockey-Liga der Welt absolviert hatte, begründete die Umstrukturierung an der Spitze mit den zuletzt fehlenden Erfolgen der Berliner. "Es geht darum, Meisterschaften zu gewinnen. Die Eisbären haben über die Jahre viele Titel geholt, in den vergangenen Jahren waren die Ergebnisse aber nicht befriedigend, sagte er. Künftig sollen die Berliner nun direkt auf die Ressourcen des NHL-Teams zugreifen können, etwa im Scouting, aber auch im medizinischen und geschäftlichen Bereich. "Wir wollen die Eisbären zur bestmöglichen Organisation in Europa machen, sagte Robitaille. Aus Sicht der Kings wird Lee in Zukunft dabei aber ein bisschen Hilfe gebrauchen können. "Als eine Gruppe sind wir stärker, dann können wir Eisbären-Geschäftsführer Peter John Lee hier helfen, dass er die Erwartungen auch erfüllen kann."
Das könnte unmittelbare Konsequenzen nach sich ziehen. Steht etwa Sportdirektor Stefan Ustorf zur Disposition? Bei der neuen Manpower aus den Vereinigten Staaten könnte die Expertise des ehemaligen deutschen Nationalspielers vielleicht schon in der kommenden Saison als überflüssig erachtet werden. Zumal der aktuelle Kader in der laufenden Saison nicht überzeugen konnte. Ein klares Bekenntnis jedenfalls sieht anders aus. "Mit Stefan werde ich gemeinsam alles analysieren, und dann werden wir entscheiden, wie oder ob das weitergeht mit uns", sagte John Lee nach dem Ausscheiden.
Hinzu kommen weitere Schwachstellen, die es aufzuarbeiten gilt. Die Eisbären haben diese Saison praktisch ohne Offensivverteidiger bestritten. Bruno Gervais, Constantin Braun, Micki DuPont oder Hördler, sie alle entwickelten kaum Wucht von der blauen Linie. Ein ganz entscheidender Grund für das schwache Powerplay in der laufenden Saison. Das Überzahlspiel war vielleicht der entscheidende Schwachpunkt der vergangenen Play-off-Spiele gegen Mannheim und vor allem München. Mit Ausnahme von Spiel eins gegen die Roten Bullen konnten die Eisbären nie einen Nutzen daraus ziehen, wenn ein Münchner auf der Strafbank saß. "Wenn du gewinnen möchtest, musst du mehr daraus machen", sagte Angreifer André Rankel, "im Endeffekt scheidest du so aus."
Lee bleibt
optimistisch
Die Personalpolitik für die neue Saison muss also darauf reagieren. Die "Berliner Zeitung" fordert deshalb "Schluss mit dem Durchwursteln", die Außenseiterposition reiche in Zukunft nicht mehr aus. Die Freude über Achtungserfolge könne nicht der Maßstab für die erfolgsverwöhnten Eisbären sein. Doch in der Außenseiterposition hat Geschäftsführer Lee sein Team nie gesehen. Seine Ziele jedenfalls waren immer klar: "Wir wollen Meister werden. Jedes Jahr. Das ist der Plan" angesichts der in den letzten Jahren gebotenen Leistung wirkt das irreal.
Und auch ein wenig gefährlich. Denn vieles hängt von den Zuschauerzahlen ab. Wird die Halle bei den Spielen nicht mehr zuverlässig ausgelastet, könnten andere Nutzer für den Besitzer der Phillip Anschutz interessanter werden. Die Eisbären schrumpfen dann wieder zur lokalen Attraktion aus dem Ostberliner Wellblechpalast in Hohenschönhausen. Manchen Fan würde es freuen. Statt jährlichen Preiserhöhungen in der schnieken Mercedes-Benz-Arena ginge es zurück zu den Wurzeln und einer ursprünglichen Stimmung, wie sie noch im Jahr 2000 in Pepe Damquarts Film "Heimspiel" überschwänglich gefeiert wurde.
Was also werden die Fusion mit den LA Kings und der Optimismus eines Peter John Lee bringen? Den Aufbruch in die Zukunft oder das letzte Rückzugsgefecht? Eines jedenfalls ist klar: Die Eisbären sind nicht mehr Herr im eigenen Hause. Die bösen Worte dazu heißen: Infiltration. Entmachtung. Rechenschaftspflicht. Und wenn Peter John Lee nächstes Jahr all das zu bunt wird, kennt er bereits ein Gegenmittel: einfach mal spazieren gehen.
Eike Ahlhausen