Der frühere Junioren-Nationalspieler Collin Quaner schafft bei Union Berlin endlich seinen Durchbruch.
Von seinem großen Vorbild Thierry Henry hat Collin Quaner zu Hause ein Trikot hängen. Der französische Superstar, der vor zwei Jahren seine Karriere beendete, ist für den Stürmer von Union Berlin eine große Inspiration. So elegant aufzutreten wie Henry, so spielerisch leicht und trotzdem eiskalt und effektiv vor dem Tor, das war schon immer Quaners Ziel. In dieser Zweitliga-Saison kommt der Deutsch-Ghanaer seinem Idol zumindest nahe.
Quaner ist mit sieben Treffern aus den ersten neun Ligaspielen nicht nur Unions bester Torschütze, sondern gemeinsam mit Eintracht Braunschweigs Domi Kumbela in diesem Zeitraum auch der erfolgreichste Goalgetter der gesamten 2. Fußball-Bundesliga. Doch damit nicht genug. Die Bewegungen des 25-Jährigen sind trotz seiner Größe von 1,91 Meter geschmeidig, seine Laufwege reißen viele Löcher in die gegnerische Abwehr. Dazu punktete er mit seiner Beidfüßigkeit.
An der
Spitze der Torjägerliste
Auf den ersten Blick verwundert dieser Aufstieg, schließlich war Quaner in der vergangenen Spielzeit in 15 absolvierten Partien gerade einmal ein mickriges Törchen gelungen. Quaner ist also ein Top-Torjäger fast aus dem Nichts. Aber eben nur fast. Für viele Weggefährten des hochveranlagten Angreifers war dessen Durchbruch nur eine Frage der Zeit. "Langsam wird es mir auch ein bisschen unheimlich", sagt der gebürtige Düsseldorfer mit ghanaischen Wurzeln selbst über seinen Höhenflug. Mit jedem Tor wächst das Vertrauen in seine Fähigkeiten und daran, dass noch viel mehr möglich ist. "Das Selbstbewusstsein spielt im Sport eine große Rolle. Ich erfahre das selbst am eigenen Leib."
Schon im Jugendalter wurde dem schnellen und körperlich robusten Stürmer eine große Zukunft prophezeit. Quaner wurde in die U20-Nationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eingeladen, im Freundschaftsspiel gegen die Schweiz gelang ihm gleich bei seinem Debüt im DFB-Trikot ein Tor.
Doch auf Vereinsebene wollte ihm nicht so recht der Durchbruch gelingen, weil entweder der Club oder er selbst zu schnell die Geduld verlor. Von Düsseldorf über Bielefeld und Ingolstadt bis nach Aalen schon in jungen Jahren haftete Quaner das wenig schmeichelhafte Prädikat "Wandervogel" an.
In Aalen deutete er mit sechs Toren in 26 Spielen zumindest an, warum er einmal als große Sturmhoffnung gehandelt worden war. Union griff zu und sicherte sich 2015 die Dienste des ablösefreien Mittelstürmers. Nach einem Jahr Anlauf zahlt Quaner das Vertrauen mit Toren zurück. Mittlerweile scheint sogar der vereinsinterne Torrekord von Bobby Wood möglich. Der zum Hamburger SV gewechselte Angreifer hatte in der vergangenen Spielzeit 17 Treffer erzielt. "Ich mache mir nicht so viele Gedanken darüber", sagt Quaner. "Ich genieße es einfach gerade."
Denn es hätte auch anders kommen können. Wäre Quaner auch in seinem zweiten Jahr in Berlin nicht durchgestartet, hätte das wohl einen ziemlich starken Knick in der Karriere des früheren Junioren-Nationalspielers bedeutet. "Er stand vor der Entscheidung: Komme ich jetzt aus dem Quark oder lasse ich das mit der Karriere sein", sagt Marc Fascher, der Quaner im Jahr 2013 bei Hansa Rostock trainiert hatte, gegenüber der "Bild"-Zeitung. "Es hat ihm gutgetan, mal länger bei einem Verein zu sein, seinen Koffer auspacken zu können."
Quaner arbeitete auf dem Platz härter als je zuvor, und auch außerhalb des Rasens fand er Ansätze, sich zu verbessern. Nachdem bei ihm eine Gluten-Unverträglichkeit festgestellt wurde, verzichtet der Profi unter anderem auf Getreideprodukte. Seitdem gehören die Bauchschmerzen und Seitenstiche nach dem Sport der Vergangenheit an. Quaner beschäftigt sich ohnehin viel mit dem Thema Ernährung, eines seiner Lieblingsbücher ist "Vegan in Topform". Sein früherer Mitspieler beim FC Ingolstadt, Alfredo Morales, verrät: "Ich kenne kaum einen Spieler, der so auf seine Ernährung achtet und nach jeder Einheit noch weiter individuell arbeitet."
Doch Quaner hatte auch Glück. Eigentlich war für ihn auch in dieser Spielzeit bei Union nur der Bankplatz vorgesehen, weil der Club in Philipp Hosiner einen namhaften und zugleich nicht ganz billigen Stoßstürmer verpflichtet hatte. Doch der Ex-Nationalspieler Österreichs verletzte sich unmittelbar nach dem Saisonstart an den Adduktoren, und der neue Trainer Jens Keller sah in Quaner mehr Qualitäten als nur dessen Schnelligkeit. Das war unter Kellers Vorgängern etwas anders gewesen. Quaner nutzte seine Chance. Und wie. "Es ist fast immer einfacher, wenn von einem nicht viel erwartet wird. Ich hatte nichts zu verlieren. Manchmal gibt es nur den Weg nach vorn", sagt er. Seine Leistungen beeindrucken selbst Sturmkonkurrent Hosiner: "Collin hat seine Sache sehr gut gemacht."
Die Medien
feiern
den Stürmer
Kurz vor dem 2:0-Heimsieg gegen St. Pauli verletzte sich Quaner am Oberschenkel, und diesmal profitierte Hosiner, der Quaners Platz in der Startelf einnahm und zur 1:0-Führung traf. Quaners Ausfall war für Trainer Jens Keller dennoch ein Schlag. "Collin bewegt sich einfach gut, er geht in die Tiefe", sagt Keller. Der frühere Schalke-Coach will auch bei Union einen offensiven Spielstil durchsetzen, und dafür braucht er Spieler wie Quaner. "Er wird nicht nur anhand seiner Tore bewertet", betont Keller, "sondern auch hinsichtlich seiner Präsenz auf dem Platz."
Symbolisch für seinen Aufstieg war sein geniales Solo zum 1:0-Siegtreffer gegen den starken Aufsteiger Würzburger Kickers. Sechs Minuten vor dem Schlusspfiff ließ Quaner zuerst drei Gegenspieler locker aussteigen, danach schlenzte er den Ball mit dem Außenrist von der Strafraumgrenze ins Tor. "Quantastisch", schrieb hinterher der "Berliner Kurier", die "Berliner Morgenpost" titelte: "Willkommen zur Collin-Quaner-Show in Köpenick."
Und auch Union-Trainer Keller war von seinem Stürmer hellauf begeistert: "Solche Tore machst du nur, wenn du das Selbstvertrauen hast. Er hat einen Riesenlauf."
Ob ihn dieser Lauf bis in die Bundesliga, vielleicht sogar irgendwann auf die europäische Bühne bringt, liegt an Quaner selbst. Die Fähigkeiten dazu habe er, glauben ehemalige Weggefährten. Sein Ex-Coach Fascher schwärmt zum Beispiel: "Er ist wahnsinnig schnell und hat einen Torriecher." Diese Talente vereinte auch Thierry Henry zu aktiver Zeit in sich. Sein großes Idol hat Quaner einmal kennenlernen dürfen, der frühere Star des FC Arsenal sei "super nett und überhaupt nicht abgehoben".
Jörg Soldwisch