Diesen Sommer sollten Fashionistas nicht tief in den Schminkkasten greifen. Denn die Artists der Fashion-Labels haben sich einem neuen Minimalismus in Sachen Make-up zugewandt und damit ganz offen mit dem schweren Instagram-Beauty-Look gebrochen.
Ähnlich wie in der Fashion-Szene, als sich zuweilen eine Kluft zwischen der Couture und dem Streetstyle aufgetan hatte und wo der Look der Straße inzwischen zu einem fast genauso wichtigen Trendbarometer geworden ist wie das, was von den Designern auf den internationalen Laufstegen präsentiert wird, gibt es längst auch in der Beauty-Welt eine entsprechende Zweiteilung. Die neuesten Make-up-Trends werden nicht mehr allein von den für die renommierten Fashion-Labels tätigen Artists wie Pat McGrath oder Lisa Eldridge gemacht, deren Model-Styling nicht nur auf den Catwalks, sondern auch in sämtlichen Hochglanz-Magazinen zu bewundern ist. Für weltweit viele Fashionistas ist es eher maßgeblich, was in Sachen Schönheit, Make-up und Kosmetik auf Instagram zu sehen ist.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Beauty-Richtungen ist gewaltig. Während bei McGrath und Co. noch das Model oder die schöne Frau die Hauptrolle spielen, deren Stärken durch im Idealfall kaum erkennbare Kniffe betont und deren etwaige kleine Schwächen durch perfekte Schmink-Tricks kaschiert werden, steht bei Instagram-Artists das Make-up an sich im Mittelpunkt. Da wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Sprich: So gut wie alles, was die Kosmetikindustrie hergibt, wird auf das Gesicht aufgetragen. Und zwar in dicken Schichten von Foundations und Lagen von Puder sowie in breiten Strichen. Eben das volle Programm samt Contouring, Highlighter, Bronzer, Blush und Glimmer. Augen, Brauen und Lippen werden dramatisch mit reichlich Farbe betont.
Wenig Make-up war bei den meisten Designern an den Models zu sehen
Die Gräben zwischen den Anhängern der beiden Make-up-Konzepte und den für sie stehenden Artists sind tief. Sie liefern sich eine gnadenlose Verbalschlacht. Die einen echauffieren sich über den Make-up-Overkill, während die anderen die natürlicheren Looks als viel zu trivial und unfertig deklarieren. Der bekannte Youtube-Beauty-Guru Wayne Goss schrieb den Heavy-Make-up-Befürwortern sogar ins Stammbuch, dass sie Frauen in Dragqueens verwandeln würden.
Diesen Sommer wird der Unterschied zwischen Instagram-Style und Fashion-Beauty-Look noch viel deutlicher werden. Denn die Mehrzahl der Designer hatte sich dazu entschlossen, ihren Models auf den Laufstegen ein eher minimalistisches Make-up verpassen zu lassen. Für den Sommer gilt daher gewissermaßen das Motto: "Less is always more". Das New Yorker Onlineportal fashiontimes.com brachte es auf den Punkt: Keine Foundation, dafür etwas mehr Feuchtigkeitscreme, kein Puder, stattdessen BB- oder CC-Creme, weg mit dem schweren Concealer zugunsten eines flüssigen Highlighters. Zum Kaschieren von Fehlern und um dem Teint etwas Farbe zu verleihen, rät das Portal allerdings zu einem Bronzer, der gleichmäßig über das Gesicht verteilt werden sollte.
Auch die renommierte Webseite fashionisers.com bejubelte die bewusste Abgrenzung der offiziellen Modebranche auf den Catwalks für die Sommersaison vom Instagram-Beauty-Mainstream: Die dicken Augenbrauen und grafischen Lippen gehörten ebenso der Vergangenheit an wie das dickcremige Countouring. Stattdessen werde der Schwerpunkt eindeutig auf ein schnelles, müheloses und natürlich schönes Make-up gesetzt. Aber auch die Natürlichkeit hat ihre Grenzen, weil bisweilen reichlich Farbe im Spiel ist und auch auf Schattierungen nicht verzichtet werden soll. Allerdings werden damit ganz gezielt nur kleine Areale des Gesichts betont, während der Rest von frischer, natürlicher Haut geprägt sein sollte.
Der viel zitierte No-Make-up-Look kann dabei nicht unbedingt als Parade-beispiel für ein minimalistisches, wenig Zeit und Mühe erforderliches Styling ins Feld geführt werden, denn bei vielen dieser scheinbaren Nude-Looks steckt genauso viel Aufwand dahinter wie bei den Instagram-Heavy-Outfits. Bei Lanvin oder Christian Dior hatten die Make-up-Artists so perfekte Arbeit geleistet, das Make-up war von so leichter Hand aufgetragen und so geschickt verblendet, dass der Eindruck völlig ungeschminkter Modele entstehen konnte. Auch bei Michael Kors war durch teilweisen Verzicht auf Lippenstift und Blush viel No-Make-up angesagt, genauso bei Alexander McQueen oder Stella McCartney.
Viel auffälliger und ein absolut neuer Trend im Sinne eines frischen, cleanen, minimalistischen Looks ist der Verzicht auf Puder, der die Haut gemeinhin matt aussehen lässt. Bei Boss, Gucci, Missoni oder Isabel Marant waren daher bei den Models glänzende Gesichtspartien zu sehen. Bei einigen Labels wie Givenchy, Christophe Lemaire oder Jil Sander hatten die Stylisten nicht nur das Puder, sondern auch noch jegliche Foundation weggelassen. Das ist mitunter im Alltag schwer kopierbar, denn die meisten Models verfügen über eine makellose Haut, was für "Normalos" teilweise den Einsatz eines Concealers rechtfertigt.
Smokey Eyes nur in soften Tönen
Auch vom Contouring à la Kim Kardashian hatten sich eine Reihe von Labels und ihre Make-up-Verantwortlichen komplett verabschiedet. Stattdessen setzten sie auf wenige frische Highlights. Mal war es die Stirn wie bei Roberto Cavalli oder Marni, mal waren es die Wangenknochen wie bei Valentino. Einige Brands wollten aber nicht ganz auf Contouring verzichten, doch setzten sie dabei auf dezenten Einsatz. Teilweise wie Tibi oder Guy Laroche auf einen Bronzer mit Gelbstich. Oder mit Graueinschlag wie Bottega Veneta. Softes Contouring gab es auch bei Giorgio Armani oder Topshop Unique. Eine wagemutige Entscheidung bei einigen Designern war auch die bewusste Entscheidung gegen Mascara, beispielsweise bei Acne Studios, Alexander Wang, Proenza Schouler oder Vera Wang. Bei Gucci fiel der Mascara-Verzicht ganz besonders ins Auge, weil zusätzlich die Augenbrauen vieler Models gebleacht waren.
Der Klassiker Smokey Eyes kommt diesen Sommer in einer soften Version daher. Beispielsweise bei Rag & Bone, Christopher Kane, Moschino oder Carolina Herrera. Im Sinne des neuen Minimalismus sind 2017 aber auch glossy Augen oder Lider besonders angesagt, beispielsweise bei Marchesa, Marni oder Altuzarra. Nicht zuletzt weil sich Gloss schnell und problemlos auftragen lässt und weil es eine faszinierende und frische Wirkung hat. Wer gerade kein spezielles Augen-Gloss von Beauty-Marken wie M.A.C oder Kevyn Aucoin zur Hand haben sollte, kann einfach etwas Lipgloss auf den Lidern verreiben.
Schließlich ist farbloser Lipgloss diesen Sommer wieder besonders en vogue. Allerdings sind einige Designer wie Antonio Berardi, John Galliano oder Isabel Marant noch einen Schritt weitergegangen und haben scheinbar Gloss oder Lippenstift ganz beiseite gelassen. Allerdings dürften sie schon mit Lippenbalsam oder Ähnlichem etwas geschummelt haben, weil keinerlei Sprödigkeit, sondern nur volle Schmollmünder zu entdecken waren.
Apropos Lippenstift: Da führt natürlich auch diesen Sommer am Klassiker Rot kein Weg vorbei, allerdings darf es diesmal die matte, dezente Variante sein. Auch wenn bei den Red Lips einige Designer wie Dolce & Gabbana oder Simone Rocha mit knalligen Tönen aus der Reihe tanzen und einige Labels ihren Models sogar glamouröse Glimmer-Lippen à la Instagram verpassen, wie zum Beispiel Fendi, DKNY oder Maison Margiela.
Die etwas verwegenen Lidschattenlösungen im Stil der 80er-Jahre nicht zu vergessen, wie sie bei Kenzo, Max Mara, Louis Vuitton oder Chanel zu bestaunen waren. Ganz zu schweigen von geometrischen Figuren wie weißen oder silbernen Kreisen im Gesicht der Models bei Issey Miyake oder Giamba sowie Blumen-Applikationen bei Preen oder Rosie Assoulin.
Warum viele Make-up-Artists seit Jahren schon und auch im Sommer 2017 wieder versuchen, blauen Lidschatten endlich salonfähig zu machen, dürfte für immer ihr Beauty-Geheimnis bleiben. Die Fashionistas werden ihnen wahrscheinlich auch diesmal nicht folgen, sondern stattdessen zarten Pastellfarben oder warmen Nuancen von Rot oder Orange den Vorzug geben.
Peter Lempert