Der Mythos vom Wilden Westen prägt noch immer ganz entscheidend das amerikanische Selbstverständnis. Da ist es kein Wunder, dass in der aktuellen Wintermode der zeitgemäß interpretierte Cowgirl-Look bei einigen Labels wieder eine wichtige Rolle spielt.
Der jüngste Wahlkampf um das Amt des US-Präsidenten hat laut der deutschen "Vogue" eine Reihe von Designern dazu verleitet, sich modisch mit dem amerikanischen Traum und Mythos auseinanderzusetzen. Und sich zu überlegen, ob und wie sich der moderne "American Way of Life" in aktuellen, zeitgemäß neu interpretierten Fashion-Kreationen darstellen lässt.
Der Wink mit dem Zaunpfahl, beispielsweise das offensichtliche Zitieren der Stars and Stripes bei Gareth Pugh (Suit mit weißen Sternen auf blauem Grund), ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Zu denen zählt auch die spezielle amerikanische Sportswear, für die Labels wie Michael Kors, Tommy Hilfiger und Tory Burch als absolute Protagonisten stehen. Der Look ist eine Mischung aus Leichtigkeit, Ungezwungenheit und Alltagsschick. Primus inter pares ist Michael Kors mit seinem Trainingsanzug aus Kaschmir. Tommy Hilfiger präsentiert diesen Winter eine maritime Variante der US-Sportswear in ganz bewusst jugendlicher Version. Tory Burch hat mit ihrer aktuellen Kollektion die junge Lady im Blick, die sich am Wochenende nur mit winzigem Handgepäck ausgerüstet direkt von der Arbeit in die Freizeit verabschiedet. Was impliziert, dass sich alle Kleidungsstücke mühelos miteinander kombinieren lassen. Bei Reiterhosen, Trainingshosen oder Jeans ist das natürlich kein Problem.
Doch trotz all dieser Neuerungen werden doch immer der Cowboy oder eben das Cowgirl stellvertretend für all das stehen, worauf Amerika besonders stolz ist. Auch wenn der Mythos des Wilden Westens in seiner idealen Ausprägung eigentlich erst in den Hollywood Studios entstanden ist. Nicht einmal der Cowboy ist eine uramerikanische Profession, sondern er war mit den spanischen Eroberern auf den neu entdeckten Kontinent gelangt. Damit nicht genug, brachten die Vaqueros, wie die hispanischen Viehtreiber genannt wurden, auch noch die Pferde mit in die Neue Welt. Pferde hatte es dort seit dem Ende der Eiszeit nicht mehr gegeben. Die Indianer waren also mitnichten schon immer auf wilden Mustangs durch die Prärie geritten, sondern die späteren amerikanischen Wildpferde waren nichts anderes als Nachkommen von im 16. Jahrhundert ausgebüchsten spanischen Rassetieren.
Western-Look mit städtischem Twist
Die klassische Arbeitskleidung der Cowboys, die bei den sogenannten Cattle Drives riesige Rinderherden zu den Eisenbahnverladestationen dirigierten und ihre Reitkünste als Freizeit-Vergnügen bei Rodeo-Wettbewerben unter Beweis stellten, war noch Anfang des 19. Jahrhunderts nicht etwa die Jeans, sondern die Wollhose. Erst danach setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, dass der robuste Denimstoff für das Leben im Sattel am besten geeignet war. Frauen spielten bei den typischen Ranchberufen lange Zeit keine Rolle. Das hing schon allein damit zusammen, dass es nur vergleichsweise wenige Damen in den rauen Tagen des Wilden Westens gab. Wer da war, musste allerdings kräftig körperlich schuften. Und angeblich konnten manche Ladys schon früh bei Rodeos zeigen, dass sie es in der meisterhaften Beherrschung von Lasso und Pferd durchaus mit ihrem männlichen Umfeld aufnehmen konnten. Obwohl sie natürlich keine Damenjeanshosen trugen, die in den USA erst Mitte der 30er-Jahre allmählich salonfähig gemacht wurden.
Als kleine Retourkutsche haben die Damen inzwischen weltweit die Oberhand auf dem 110 Milliarden Euro schweren Jeans-Markt übernommen. Im Schnitt besitzt die westliche Frau heute rund zehn Paar Denimhosen. Die sind in der Regel recht langlebig und landen erst nach sieben Jahren im Altkleidercontainer. Die modernen, echten Cowboys wird das allerdings nicht weiter jucken. Diese haben mit Designer-Marken nichts am (Cowboy-) Hut, für sie gibt es eigentlich nur Wrangler oder Levis. Was die Farbe betrifft, so kommt für einen echten Cowboy nur Blau in Frage, notfalls noch Schwarz, alles andere wäre für die harten Jungs Karnevalsverkleidung. Beim Schnitt wird ein gerader Beinschnitt bevorzugt, schließlich soll die Jeans noch über die Cowboystiefel passen.
Stichwort Cowboy-Stiefel: Sie sind neben den Jeans natürlich eines der Hauptmerkmale des aktuell wieder trendigen Cowgirl-Styles. Schlicht in Camelfarben die Stiefel von The Row, leicht martialisch mit Stahlkappen bewehrt die Teile von Proenza Schouler, mit Mesh-Details die Boots von Diane von Furstenberg. Aber auch Fransen gehören nun einmal seit jeher zu Western-Klamotten. Cowboy-Hüte tauchten auf dem Laufsteg von Trussardi auf, Gürtel mit dekorativer Silberschnalle im Western-Look bei Fausto Puglisi.
Zuletzt war "Urban Western" oder auch "Country-Chic", wie der moderne Western-Look inzwischen genannt wird, anno 2012 auf den Laufstegen mega-angesagt gewesen. Im Frühjahr 2012 bei Marc Jacobs, Thakoon oder Jeremy Scott, im Herbst 2012 vor allem bei Isabel Marant mit jeder Menge von Western-inspirierten Blusen, Cowgirl-Hüten und Rodeo-Stiefeln. Schon damals hatten die Klamotten nichts mehr mit den peinlichen Western-Pieces einer Dolly Parton gemein. Wie mondän frau in solchen Teilen aussehen kann, hatten Blake Lively (Fransen und Flanell) und Kendall Jenner (Leder, Wildleder und Schlangenprints) 2014 und 2015 ganz offensichtlich bei Shootings für die "Vogue" bewiesen.
Die "New York Times" hatte jüngst eine camelfarbene Handtasche mit Fransen im Western-Style von Ralph Lauren zur It-Bag deklariert. Auch Altuzarra, Elie Saab, DSquared2 oder Roberto Cavalli sind diesen Winter mit fransengeschmückten Western-Bags zur Stelle. Als Alternative für Cowgirls gibts die schicken Satteltaschen. "InStyle" hatte im Sommer 2015 moderne Versionen des Cowgirl-Gürtels zu den Must-haves der Saison gekürt. Und Valentinos Cowgirl-Stiefel aus der Sommerkollektion 2016 hatten die "Vogue" zur Prognose veranlasst, dass 2016 "will be the year of the cowboy boot".
Skinny-Jeans gehören dazu wie Hüte und Boots
Wer nicht nur ausgefallene Stiefel kaufen, sondern sich mal in eine waschechte, dabei hochelegante Western-Lady verwandeln möchte, sollte mal auf der Website von Double D Ranch nachschauen. Das US-Label ist für seine Luxus-Westernwear bekannt.
Zuletzt sei noch ein kurzer Blick auf die Geschichte des Cowgirl-Looks geworfen. Dieser hat sich im Laufe von 100 Jahren grundlegend gewandelt. Anfang des 20. Jahrhunderts liefen die Damen im ländlichen Amerika noch in wadenlangen Röcken, fransengeschmückten Westen, breitkrempigen Hüten und derben Stiefeln herum. In den 30er-Jahren kamen die Hosen dazu, in den 40er-Jahren wurden die Röcke deutlich kürzer und die Hosen enger. Bauschige Röcke und Rüschenblusen waren nicht mehr angesagt. In den 50ern wurden karierte Flanell-Hemden und Jeanshosen zum präferierten Look der Rodeo-Queens. In den 70ern hielt der Disco-Glamour Einzug in den Kleiderschrank mit Denim-Schlaghosen. In den schrägen 80ern wurden gewöhnungsbedürftige Blusenhemden mit Fransen und Stickereien populär. Seit den 90ern kleiden sich auch die Cowgirls in den Weiten des Wilden Westens in Skinny-Jeans und kombinieren diese mit auffälligen Hüten und Gürteln.
Peter Lempert