Die Aufnäher der späten 80er-, frühen 90er-Jahre sind als ebenso neue wie günstige It-Accessoires zurück. Das hat, nach Ablauf der Ära des Fashion-Minimalismus, ein Aufblühen von Dekor, Spaß und spielerischer Dekadenz zur Folge.
In ist eben gerade nur, wer was drauf hat." Die "Süddeutsche Zeitung" wollte damit jüngst nicht auf einen hohen Intelligenzquotienten anspielen, sondern auf den neuen Mega-Accessoires-Trend wie Aufnäher oder Stickereien, die derzeit wieder auf allen möglichen Klamotten, Taschen oder sogar Schuhen zu finden sind. Im Neudeutschen werden diese dekorativen Verzierungen vereinfachend und verallgemeinernd nur "Patches" genannt. Im englischen Sprachraum wird hingegen korrekterweise noch zwischen "Patches" (Flecken, Flicken) und "Badges" (Abzeichen, Plakette, Emblem, Marke, Orden) unterschieden.
Beide können sowohl als bedruckte als auch als bestickte Varianten auftreten. Beide haben zudem noch nahe Verwandte namens Broschen oder Anstecknadeln, die lange Zeit ein schlechtes Image als Großmütterchen-Schmuck hatten, die aber im Sommer 2017 dank pfiffiger Neuinterpretationen sicherlich neue Freunde finden werden.
Experimentieren mit dieser Art von Mode-Dekoration
Fashion-Experten sind sich einig, dass die neue Lust am dekorativen Überschwang nach Jahren der Enthaltsamkeit in der Designer-Mode letztendlich durch Alessandro Michele wieder erweckt wurde. Seit seinem Amtsantritt bei Gucci hat er nicht nur die eigene Marke mehr oder weniger komplett umgekrempelt, sondern mit seinen Ideen auch den gesamten Markt ziemlich kräftig durchgeschüttelt. "Nach eher nüchternen, zurückhaltenden Jahren", so die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer Stil-Kolumne, "wird wieder mutiger mit Farben, Stil-Mix und vor allem Dekoration experimentiert bei Gucci neben Bändern, Perlen und Pailletten nun eben mit Stickereien. Längst sind Tigerkopf, Biene sowie der Schriftzug Blind for love beziehungsweise Laveugle par amour zu Markenzeichen des Renaissance-Meisters Michele geworden."
Apropos Renaissance: Damals hatten Patches, mit denen schon die alten Chinesen ihre Kleidungsstücke ausgebessert hatten, erstmals im Zuge des Aufstiegs von schmückendem Zierrat zu erlesener Handwerkskunst Einzug in die Roben des Adels gefunden. Während sie bis dahin vor allem im Umfeld der Armen und einfachen Leute gebräuchlich waren. Bis ins 19. Jahrhundert wurden sie von Hand hergestellt, danach ermöglichte die Industrielle Revolution deren massenweise Produktion durch Maschinen. Niemand wäre damals, im Unterschied zur heutigen Instagram-Ära, auf die Idee gekommen, dank der Verwendung spezieller Patches auffallen, sich abheben oder einzigartig rüberkommen zu wollen. "Wer Stoffstücke mit Bildern oder Zeichen auf der Kleidung trägt, möchte", so Tillman Prüfer in seiner "Zeit"-Stil-Kolumne, "gewöhnlich Haltung zeigen und Individualität beweisen. Dabei wurde die Idee, derlei auf Jacken zu nähen, zuerst beim Militär angewandt, wo es um Individualität gar nicht geht."
Dem Vorbild der US-Armee folgend, bei der die Patches schon im frühen 19. Jahrhundert zum Anzeigen des militärischen Rangs des Trägers verwendet wurden, wurden die Aufnäher bald auch von anderen Berufsgruppen in der Neuen Welt wie Feuerwehrmännern oder Polizisten übernommen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Patches gänzlich anders genutzt, vor allem um damit politische oder gesellschaftliche Einstellungen öffentlich zu bekunden. Die Hippies der 60er-Jahre spickten ihre Jacken mit Peace-Zeichen. In der Heavy-Metal-Szene waren martialische Aufnäher als Erkennungszeichen gebräuchlich, bei den Punks waren die Namen legendärer Bands auf Hosenbeinen oder Ärmeln zu finden. In der DDR drückten viele Jugendliche in den 80ern ihren Protest gegen staatliche Missstände durch den legendären Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" aus.
In die Mode zogen die Patches ausgerechnet über den Punk, die Gegenkultur schlechthin, ein. Und zwar vor allem dank der exzentrischen Designer-Lady Vivienne Westwood. In deren Fußstapfen sollten dann Martin Margiela, Ann Demeulemeester und vor allem Raf Simons treten sollten. Letzterer machte die Patches seit 1995 zu einer festen Institution, zu einem ganz persönlichen Markenzeichen aller seiner Kollektionen. Auch bei anderen Labels waren die Deko-Teilchen in den vergangenen Jahren schon mal aufgetaucht. Doch erst dank Alessandro Michele kann seit gut zwei Jahren von einem regelrechten Comeback gesprochen werden. Gucci, Dolce & Gabbana, Miu Miu, Valentino, Marc Jacobs, Peter Pilotto, G-Star, Scotch & Soda, Bas Kosters, Lupe (interessanter Newcomer mit fast nur Patches-Klamotten) oder eben Raf Simons sei es gedankt, die allesamt auch in ihren aktuellen Sommersortimenten dem speziellen Kleider-Dekorieren mittels Patches verpflichtet bleiben.
Immer mal wieder zwischenzeitig aufgetaucht
"In aktuellen Kollektionen gibt es sie", so Tillmann Prüfer, "bei Miu Miu, wo man Tierfiguren auf Jeansjacken heftet. Bei Raf Simons werden Patches wie kleine aufgestickte Abzeichen verwendet, und bei Dolce & Gabbana werden damit ganze Hosenbeine bedeckt. Am konsequentesten verwendet Alessandro Michele die Aufnäher bei Gucci. Ob Tiger oder Schlange fast jedes exotische Tier findet sich in seinen Kollektionen als Patch wieder."
Der Spaßfaktor spielt bei diesem "Dopamin-Dressing", wie es das Magazin "Grazia" ziemlich trefflich genannt hatte, eine große Rolle. Wobei es laut "Süddeutscher Zeitung" "nicht um ein Mehr an vulgärem Protz, sondern eher um ein Mehr an Fantasie, an spielerischer Dekadenz und unorthodoxer Attitüde" gehe. Die "Süddeutsche" weiter: "Oder anschaulicher formuliert: Entscheidend ist hier nicht, den größten Eisbecher mit den meisten Krokantstreuseln und der längsten gerollten Waffel zu bestellen, sondern sich mit allen zur Verfügung stehenden Toppings genüsslich eine so eigenartige wie einzigartige Mischung zusammenzustellen. Was dabei mitunter herauskommt, mag zugegeben nicht für jedermann konsumierbar sein, ist aber zum Zuschauen eine große Freude. Seit einer kleinen Ewigkeit hat die Mode nicht mehr so viel Spaß gemacht. Dieser Hang zum Überschwang kommt nicht zufällig genau jetzt so gut an. Die Welt da draußen ... ist schon deprimierend genug. Kaum jemand schlägt noch über die Stränge, stattdessen: bewusste Ernährung, Vollkasko-Absicherung, vernünftiges Miteinander. Es einfach mal knallen lassen wo geht das schon noch? Umso dankbarer ist das Ventil, dass die Mode nach Gucci hier bietet."
DIY: Patches kaufen und selbst kreativ werden
Statt viel Geld in die Patches-Designer-Varianten zu investieren, kann frau natürlich auch selbst Hand anlegen. Und die Dekos selbst aufnähen oder aufbügeln. Stylebook.de geriet denn auch angesichts des 2017 angeblich angesagten "DIY-Trends", womit das Basteln Marke "Do it yourself" gemeint war, vom Selbst-Batiken über Selbstschlitzen von Maxikleidern bis hin zum Patches-Aufbügeln, völlig aus dem Häuschen: "Jacken, Hosen und Shirts werden über und über mit Aufnähern, Anhängern und Aufschriften aufgepimpt, jede freie Fläche des Kleidungsstücks wird genutzt.
Und das Beste an diesem preisgünstigen Trend: Es entstehen immer coole Unikate." Online gibt es jede Menge coole Aufnäher bei Etsy. Tolle Motive bieten auch Halfpatch, Tought Times Press oder Coucou Suzette. Wer es nicht so mit Handarbeit hat und dennoch nicht viel ausgeben möchte, kann günstige Patches-Teile längst auch bei Zara oder Topshop kaufen.
Während den heutigen Patches, die übrigens 2017 auch in der Herrenmode bei Raf Simons, Saint Laurent oder Gucci für Aufsehen sorgen, zweifelsfrei etwas von Pop-Art anmutet, können Ladys bei der Entscheidung für moderne Broschen einen deutlich größeren Glamour-Faktor gewinnen. Ganz egal, ob es sich dabei um hochwertige Juwelierkunst oder Modeschmuck handelt. Die schönsten Broschen trugen Models auf den Catwalks von Balenciaga, Dries Van Noten oder Manish Arora. Florale Anstecker gab es auf den Laufstegen von Chanel, Gucci, Lanvin, Anna Sui oder Sonia Rykiel zu bestaunen.
Peter Lempert