Die Stadt der Zukunft ist ein Hotspot der Automobilindustrie. Ob Elektromobilität, ÖPNV oder Parkmanagement: Autohersteller werden zu Investoren für kommunale Verkehrsprojekte.
Digital, elektrisch, intelligent so soll der Mensch in Zukunft unterwegs sein. Einwände haben allenfalls jene, die fragen, wer das bezahlen soll. Schließlich nimmt der Drang der Menschen in die Stadt stetig zu. Die Infrastrukturen müssen an die Urbanisierung angepasst werden, die Stadtkassen aber sind leer. Schon heute fehlen selbst zur Instandhaltung von kommunalen Verkehrswegen sowie beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) jedes Jahr 2,7 Milliarden Euro, klagt der Deutsche Städtetag als Interessenvertreter der Kommunen.
Hinzu kommt die verheerende Schuldensituation. Allein die Großstädte in Nordrhein-Westfalen beispielsweise stehen mit 40 Milliarden Euro in der Kreide, wie eine Studie von Ernst & Young aufzeigt. Banken winken mittlerweile bei vielen kommunalen Großvorhaben ab. Wer in Zukunft große urbane Infrastrukturräder drehen will, braucht Partner aus der Industrie.
Die Stadt Wolfsburg hat so einen Partner. Einen, der sich gezwungenermaßen gerade neu erfindet: Volkswagen. Autokonzern und Stadt haben zum Jahreswechsel eine gemeinsame Initiative zur "Entwicklung einer digitalen Großstadt" gestartet. VW will die niedersächsische Stadt zum Hotspot der Elektromobilität machen. "Ziel ist es, die Lade-Infrastruktur so auszubauen, dass bis 2025 die Hälfte aller Bestandsfahrzeuge in Wolfsburg elektrisch unterwegs sein kann", heißt es in einem von VW-Chef Matthias Müller unterzeichneten Memorandum.
Darin ist auch vereinbart, dass die Stadt bei der Erneuerung ihrer eigenen Flotte Elektrofahrzeugen den Vorzug geben wird. Was bedeutet: In Wolfsburg muss eine digitale Infrastruktur aufgebaut werden, ohne die intelligente Mobilität nicht möglich ist. Neben Ladestationen geht es vor allem darum, die Datenflüsse sicherzustellen. So kündigten die Stadtwerke jetzt an, ein flächendeckendes Glasfasernetz im Gigabit-Bereich "bis in die Wohnungen" zu schaffen.
Ausrichtung der Verkehrspolitik korrigieren
"Die Stadt wird damit ein Großlabor für digitale Dienstleistungen, für neue Geschäftsfelder und Mobilitätskonzepte", glaubt VW-Vorstandsmitglied Dr. Karlheinz Blessing. Das Besondere am Wolfsburger Ansatz sei die Schaffung einer offenen Plattform, sagt dagegen die Stadt. Jeder, der sich ins Projekt einbringen wolle, könne die Plattform nutzen. Initiatoren, Entwickler, Start-ups sie alle bekämen eine gemeinsame Schnittstelle, beispielsweise zu Daten städtischer Gesellschaften, ohne die Verkehrsplanung nicht möglich ist. Daten also statt Beton bilden in Zukunft das Baumaterial einer intelligenten Infrastruktur.
Nur: Nicht jede Kommune hat Vorraussetzungen wie Wolfsburg. Die allermeisten Städte werden sich zumindest mittelfristig mit bescheideneren Visionen begnügen müssen. Bis 2030 dürfte es eher darum gehen, die Grundausrichtung vergangener Verkehrspolitik zu korrigieren. "Die heutigen Straßennetze sind das Ergebnis des Leitbildes einer autogerechten Stadt. Dieses galt im Prinzip in den vergangenen 50 Jahren. Bis sich eine Stadt entsprechend den heutigen Erkenntnissen verändert, vergehen weitere Jahrzehnte", bescheinigt eine Urbanitätsstudie der Uni Duisburg ("Neue Mobilität für die Stadt der Zukunft") im Auftrag der Mercator Stiftung.
Weg vom Individualverkehr das heißt im Umkehrschluss auch Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Mit bisherigen Angeboten lässt sich das kaum machen. Attraktivere Systeme werden gesucht. In Amsterdam startete im Sommer ein Feldversuch mit einer 20 Kilometer langen Teststrecke, auf der Mercedes mit einem "Future Bus" für teilautonomen ÖPNV am Start ist. Der Bus mit seinem Autopilotsystem fährt bis zu 70 km/h, hält selbstständig an Haltestellen und bremst natürlich für Hindernisse und Fußgänger.
Wie sich solche Massentransportmittel künftig intelligent in den normalen Straßenverkehr integrieren lassen, zeigt in Amsterdam ein weiterer Bus. Der auf der Airportlinie zwischen Harlem und der City verkehrende Wagen hat mit seinem etwa 300 Meter weit reichenden W-lan-Signal Zugang zur Ampelschaltung. Der Bus löst während der Fahrt eine Vorrangschaltung aus und verschafft sich somit seine eigene grüne Welle. Ein gutes Argument für zeitgestresste Flughafengäste, den Umstieg zumindest mal zu probieren.
Zurück zum Auto. Wie sehr sich die Hersteller mittlerweile mit der Gestaltung der urbanen Infrastruktur beschäftigen, zeigt Audi. Dort sieht man die "Intelligenz" eines Autos eher als Infrastruktur-Optimierer und nicht als Forderer. Anders ausgedrückt: Was da ist, muss besser genutzt werden. Das gilt vor allem beim Thema Parken. Der Verteilungskampf ums beste Plätzchen wird digital. Im Konsortium (BMW, Audi und Daimler) war es den drei Granden der deutschen Autoindustrie Ende 2015 gelungen, für fast drei Milliarden Euro den weltweit führenden Datenbankbetreiber Here zu erwerben, der bis dato Nokia gehörte. 80 Prozent aller Autos, die heute in Europa und Nordamerika mit integrierten Navis unterwegs sind, haben Karten von Here.
Mobilitätsdienstleistungen hinzukaufen
Die Investition dürfte sich lohnen, denn die Autohersteller werden damit zu Projektpartnern der Kommunen. "In manchen Großstädten gibt es heute Parkplätze, die noch nicht mal von der Verwaltung erfasst sind. Mit unseren Daten können Städte nun ihre Verkehrsführung und ihren Verkehrsfluss stark optimieren. Künftig wird es beispielsweise möglich sein, für wenige Euro einen Sensor in einen Pflasterstein einzulassen, der uns meldet, ob der Stellplatz frei ist oder nicht", erklärt Dr. Peter Steiner, der als Chef der Audi Electronics Venture GmbH den Konzern im Here-Konsortium vertritt.
Für Autokäufer ist es daher vermutlich mit der bloßen Anschaffung eines Gefährts in Zukunft nicht mehr getan. Sie werden zusätzlich entscheiden müssen, welche Mobilitätsdienstleistungen in bestimmten Städten hinzuzukaufen sind. Was die Einschätzung vieler Experten bestätigt, dass ein Mobilitätswandel vor allem ein Gesellschaftswandel ist: Aus Bürgern werden Kunden.
Alex Mannschatz